Evangelische Kirche und Golfkrieg

von Werner Dierlamm
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Martin Luther hat die Stirn gehabt, der Kirche und dem Reich seiner Zeit zu widersprechen und den Satz gewagt: Auch Konzilien können irren.“ Ich denke, dass er sich konsequenterweise auch selbst in diese lrrtumsmöglichkeit eingeschlossen hat. Das bedeutet, dass es niemand in der Evangelischen Kirche, keine Institution und keine Person, wagen kann, in irgendeiner Sache ein für alle Mal und unwidersprechlich zu erklären, was wahr oder recht ist, ob es sich·schon um religiöse Glaubensfragen oder um sogenannte politische Ermessensfragen handelt.

Die Wahrheit ist im Prozeß
Dennoch beruft sich auch „die Evangelische Kirche“ (in Deutschland gehören vor allem Lutheraner und Reformierte dazu) auf Bibel und Bekenntnis. Für die lutherischen Kirchen gehört zum Beispiel die Augsburgische Konfession (1530) zu diesen Grundlagen. Im Zusammenhang mit dem Golfkrieg wird jetzt wieder häufig der Artikel XVI zitiert, wo es heißt, dass es Christen gestattet sei, „iure bellare“, d.h „rechte Kriege zu führen“, was immer man darunter verstehen mag. Aber darüber, wie Bibelworte oder historische Formulierungen in aktuellen Situationen und politischen Entscheidungsfragen auszulegen und anzuwenden sind, entbrennt dann der Streit. War der Golfkrieg, gemessen an „iure bellare“, erlaubt oder gar geboten?

Ein  anderes Beispiel: Evangelische Christen berufen Sich auf verschiedene Sätze derselben Schrift Martin Luthers.

Die einen zitieren:

"Ein ganzes Land oder die Welt mit dem Evangelium zu regieren sich unterwinden, das ist ebenso, als wenn ein Hirt in einen Stall Wölfe, Löwen, Adler, Schafe zusammentäte und jedes frei neben dem andern laufen ließe…"

Die anderen zitieren: "So muß auch ein Fürst die Bösen strafen, daß er nicht einen . Löffel aufhebe und·eine Schüssel zertrete und· um eines Schädels willen Land und Leute in Not bringe und das Land voll Witwen und Waisen mache ..."

(Beide Zitate aus: "Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei" 1523)

Das Bekennen der Christen ist also immer auslegungsbedürftig und·außerdem nicht abgeschlossen.

Bischofsworte, Synodalerklärungen, Denkschriften, Statements und Resolutionen von Basisgruppen setzen das Ringen um das, was in der jeweiligen Situation wahr und recht ist, fort.

Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein
Bei den vielen Demonstrationen und Bittgottesdiensten während der Golfkrise ist immer wieder die Weltkirchenkonferenz 1948 in Amsterdam zitiert worden: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“
Es spielt keine Rolle, dass dieser Satz nur die Überschrift eines Textabschnittes war und nicht das Ergebnis einer Abstimmung. Der Satz „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ hat sich durch sein eigenes Schwergewicht Geltung verschafft.

Dass der Krieg schrecklich und gegen Gottes Willen sei, war seit dem 2. Weltkrieg in der Evangelischen Kirchen so gut wie unbestritten. Diese Erkenntnis wurde immer wieder bestätigt und festgemacht, so z.B. während der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) im November 1981 in Fellbach, als der Ratsvorsitzende, Bischof Dr. Eduard Lohse, wörtlich erklärte: „Darum muss unumstößlich der Satz gelten: Krieg darf nicht sein.“

Auch die säkularisierte Form des Satzes von Amsterdam, die in der These C.F. v. Weizsäckers formuliert wurde, dass Frieden die Bedingung des technischen Zeitalters sei und darum die Institution des Krieges überwunden werden müsse, war in der evangelischen Kirche so gut wie unbestritten.
Als es schließlich zum Golfkrieg kam, habe ich keine Stimme in der Evangelischen Kirche in Deutschland gehört, die gewagt hätte, den Golfkrieg als eindeutig gerechten Krieg zu bezeichnen.

Selbst Militärbischof Heinz Georg Binder hat im Briefdienst von „Sicherung des Friedens“ geschrieben:

Der Wahnsinn der beiden Weltkriege in diesem . Jahrhundert, aber auch der Golfkrieg haben gezeigt, daß- alle Anstrengungen darauf gerichtet sein 'müssen, den Krieg als Mittel der Politik zu überwinden, weil der Krieg, gerecht oder nicht, zu den furchtbarsten Plagen der Menschheit gehört und. seine Ergeb¬nisse auch schon. vor· dem nuklearen Zeitalter in keinem menschlich erträglichen Verhältnis zu seinen Zielen stehen.“ (Febr./ März 1991).

„Gerecht oder nicht“ – es darf nicht verwundern, dass es auch bei evangelischen Christen, die eher dem progressiven Flügel zugerechnet werden, solche gab, die, ähnlich einigen Linksintellektuellen, sich mit einer gewissen Tapferkeit und Entschlossenheit öffentlich zum Krieg am Golf bekannten.

So soll der Präses der rheinischen Landeskirche Peter Beier zum Golfkrieg geäußert haben, er könne sich schlecht mit dem Gedanken abfinden,

„dass Christen grundsätzlich abseits stehen, wenn es darum geht, unter Umständen unter Anwendung von Gewalt irgendeinem Diktator in den Arm zu fallen, um Schlimmeres zu verhüten.“ (Briefdienst von „Sicherung des Friedens“ Febr./ März 1991)

Peter Beiers Stellungnahme stimmt mit einer bestimmten Richtung der reformierten Theologie überein, die einerseits die Friedensfrage zur Bekenntnisfrage macht und z.B. die Drohung mit Atomwaffen als gottlos und als Verleugnung aller drei Artikel des christlichen Glaubens bezeichnet, die sich aber andererseits nicht dazu durchringen kann, mit christlichen Militärtraditionen .zu brechen und den Krieg endgültig als  Mittel der Politik zu ächten.

Viele evangelischen Christen wird es dagegen ähnlich ergangen sein wie dem Bischof der evangelischen Landeskirche in Württemberg, Theo Sorg, dessen energische Warnung vor dem Krieg sich schließlich in ein gequältes, eingeschränktes Ja zum Krieg verwandelt hat.

Die energische Warnung:
"Kriege lösen keine Konflikte, sie schaffen nur neue Notsituationen, kosten bei der heutigen Art der Kriegsführung unverantwortlich hohe Zahlen von Menschenleben und setzen immer neue Unruheherde frei. Unsere Welt hat in diesem Jahrhundert so viele Kriege gesehen, unsere Menschheit ist durch ein solches Maß. an Leiden gegangen, dass jedem. weiteren Blutvergießen gewehrt werden muss." (Aus einem Brief an Bundeskanzler Kohl FR 2Z.12.90)

Das gequälte Ja:
So furchtbar und erschreckend der Gedanke auch ist, ich möchte fragen, ob der hannoversche Bischof Horst Hirschler nicht auf einem nachdenkenswerten Weg ist, wenn er zu bedenken gibt: "Es gibt keinen· gerechten Krieg. Gibt es aber nicht einen schrecklicherweise nötigen?" Ich füge·hinzu: Aber auch ein solcher Krieg ist Schuld. (Wort zur Lage vor der Württ. Evang.Landessynode 7.3.1991)

Was für die Zukunft auf dem Spiel steht
Der Golfkrieg war für die Pazifisten in der evangelischen Kirche und hoffentlich für viele andere auch ein wahrhaft abschreckendes Exempel. Weit davon entfernt, das kleinere Übel zu sein, hat er eine Unzahl entsetzlicher neuer Übel hervorgebracht, ein immer noch wachsendes Meer von Leiden.

Es spricht viel dafür, dass ein wichtiges Kriegsziel im Golfkrieg neben anderen auch dies war, den Völkern der Dritten Welt die Lehre zu erteilen: „Wagt es nicht, unsere Art der Lebensweise anzutasten. Wir werden unsere Interessen auch mit allen militärischen Mitteln, die uns zu Gebote stehen, rücksichtslos verteidigen.“ So hat sich das Bild des Krieges auch für uns, die wir bisher auf den Ost-West-Gegensatz fixiert waren, verwandelt. Wir tun gut daran, uns keine Illusionen zu machen über die Art der Konflikte, die auf uns zukommen werden. Das Missverständnis zwischen den Reichen und Mächtigen der Welt und der Milliarde von Menschen, die im Elend sind, ist unerträglich.

In den künftigen kriegerischen Auseinandersetzungen geht es wahrscheinlich weniger um dn drohenden Zusammenprall zwei atomar hochgerüsteter Weltmächte. Es geht darum, ob wir Reichen unsere unrechte Lebensweise, die uns durchaus als recht erscheinen mag, mit Waffengewalt verteidigen werden und ob das dann in Zukunft ein zuverlässiger, ja gebotener „Verteidigungskrieg“ sein soll.

Die „kleine Minderheit radikaler Pazifisten in der Evangelischen Kirche“ tut jedenfalls gut daran, auch und gerade unter den veränderten Bedingungen des modernen Krieges dafür einzutreten, dass der Krieg nach wie vor und jetzt erst recht als Mittel der Politik überwunden werden muss.
Zu überwinden ist auch die Schizophrenie, dass einerseits der Krieg zu den „furchtbarsten Plagen der Menschheit“ (Militärbischof Heinz Georg Binder) gezählt wird, dass er andererseits von denselben Menschen, die ihn so beurteilen, nach wie vor vorbereitet und, wenn es denn sein muss, ohne übertriebene Scheu vor eben diesen furchtbarsten Plagen der Menschheit“, auch geführt wird.

Es genügt allerdings nicht, dass wir uns mit dem „Nein zum Kriege“ zufriedengeben. Wir müssen lernen, Diktatoren und politischen Verbrechern wie Adolf Hitler anders zu begegnen und zu widerstehen als so, dass wir sie mit ihren eigenen mörderischen Waffen überwinden wollen, (die wir zuvor selbst entwickelt haben).

Hoffnungszeichen
Der Golfkrieg war .eine schwere Niederlage und ein großer Rückschlag für alle, die den Frieden mit ehrlichem Herzen suchen.

Trotzdem gibt es keinen Grund zur Resignation oder Verzweiflung, auch nicht für die Christen.

Seit dem Satz von Amsterdam 1948, dass Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll, ist das Zeugnis gegen den Krieg und die. Kriegsvorbereitungen unter den Christen in der Welt nicht mehr abgerissen. Der konziliare Prozess hat mit den Versammlungen in Magdeburg und Dresden, in Königstein und Stuttgart, in Basel und Seoul eine Fülle neuer treffender Erklärungen gegen Gewalt und Krieg gebracht, Ich weigere mich, zu glauben, dass alle diese Worte nichts bedeuten, dass sie nur Phrasen sind, Schall und Rauch.

Bei der 7. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Canberra (7.-20. Februar 1991) hat Prof. Dr. Konrad Raiser den Antrag eingebracht:

„Wir rufen die Kirchen auf, jede theologische oder moralische Rechtfertigung des Gebrauchs von militärischer Macht aufzugeben, sei es im Krieg oder durch andere Formen von aggressiven Sicherheitssystemen, und öffentliche Anwälte eines gerechten Friedens zu werden.“

Die Abstimmung hatte schon eine schwache, aber eindeutige Mehrheit für den Antrag ergeben, wurde aber später von Konrad Raiser wieder zurückgezogen.

Weil der Krieg "Zu den furchtbarsten Plagen der Menschheit gehört", kann ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass die Einsicht der Vernunft, die Anstrengung der Moral und die Geduld des Glaubens doch noch zu seiner Überwindung führt.

 

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Werner Dierlamm, ev. Pfarrer i.R. Initiator der Ökumenischen Aktion für Frieden und Gerechtigkeit Ohne Rüstung Leben (1977) und Initiator der "Schnorndorfer Erklärung": Den Krieg nicht mehr lernen (2007).