Einleitung zum Schwerpunkt

Feministische Außenpolitik

von Annegret KrügerWencke Dreiss
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Wir befinden uns in einer Zeit mit so vielen parallelen Krisen wie noch nie zuvor. Drohende Umweltkatastrophen, Pandemien, anhaltende Krisen und Kriege werden immer brisanter. Außenpolitische Prozesse erfordern daher eine Anpassung, um gerecht und transformativ auf die Herausforderungen und die globalen Umschwünge antworten zu können. Eine Außenpolitik, die alle Menschen einschließt und die die universellen Menschenrechte wahrt. Eine Außenpolitik, die inklusive Lösungen für die Krisen und globalen Gefahren der heutigen Zeit findet. Eine Außenpolitik, die Ungerechtigkeiten, strukturelle Gewalt und ungleiche Machtverteilungen anerkennt und abbaut und einen Frieden herstellt, der von langfristiger Dauer ist.

Diese Ziele umfasst das Konzept der Feministischen Außenpolitik (FAP). Spätestens mit der Vorstellung der Leitlinien der deutschen FAP in diesem Jahr kam das Konzept in die Schlagzeilen. Die neue Koalition bekennt sich bereits in ihrem Koalitionsvertrag 2021 zu einer Feminist Foreign Policy. Erstmals ausgerufen wurde das Konzept der FAP bereits 2014 von Schweden durch die damalige Außenministerin Margot Wallström. Der Ursprung der Idee, feministische Ansätze in die Außenpolitik zu bringen, reicht aber sogar bis ins Jahr 1915 zurück. Auf dem damaligen internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag entstanden die ersten Grundgedanken für einen neuen außenpolitischen Ansatz, der feministische Werte und einen erweiterten Sicherheitsbegriff beinhaltete. Die Ideen hinter einer FAP sind also alles andere als neu. Völkerrechtlich bindend wurden diese Gedanken jedoch erst Jahre später, im Zuge der UN-Sicherheitsresolution 1325 aus dem Jahr 2000. Aus der Resolution geht die Agenda „Frauen, Frieden und Sicherheit“ hervor, welche mitunter die wichtigste Grundlage für die Entstehung der FAP bildet, da sie die Belange und Erfahrungen von Frauen z. B. im Kontext von Konflikten und bei Friedensverhandlungen einbezieht und geschlechtsbezogene Themen erstmals anerkennt und festschreibt. In den folgenden Jahren kamen neun weitere UN-Resolutionen hinzu.

Mittlerweile haben sieben Länder eine FAP ausgerufen. Es verfolgen Kanada (2017), Frankreich (2018), Luxemburg (2019), Mexiko (2020), Spanien (2021), Libyen (2021), die Niederlande (2022) und seit 2021 eben auch Deutschland eine FAP. Zwar setzt jedes Land die Kernpunkte seiner FAP etwas unterschiedlich, dennoch kennzeichnen drei allgemeine Grundsätze das Konzept. Angelehnt an das schwedische Beispiel der FAP umfassen diese Rechte, Ressourcen und Repräsentanz („drei R“). Deutschland fügt noch das „D“ für Diversität hinzu, dadurch sollen alle Menschen einer Gesellschaft in den Strukturen der Außenpolitik berücksichtigt werden.

Feminismus
Die feministische Grundlage der FAP bezieht sich auf den intersektionalen Feminismus. Der Begriff Intersektionalität geht auf das englische Wort „intersection“ zurück, was mit Kreuzung übersetzt wird. Das Konzept von Kimberlè Crenshaw beschreibt das Aufeinandertreffen bzw. das Kreuzen unterschiedlicher Diskriminierungen aufgrund sozialer Kategorien wie Geschlecht, Herkunft, Klasse, race oder Alter. Diese Formen von Mehrfachdiskriminierungen gilt es aufzudecken und in Analysen für Machtungleichheiten einfließen zu lassen. FAP erweitert demnach bereits existierende Ansätze um die Komponente intersektional, indem insbesondere marginalisierte Menschen in den Fokus rücken.

Frieden und Sicherheit
FAP priorisiert ein feministisches Verständnis von Sicherheit und stellt sich gegen die militarisierten Konzepte traditionell geführter Außenpolitiken und gegen die Fokussierung auf Staaten als Akteure, wie in den traditionellen Theorien der Internationalen Beziehungen. Das Konzept der feministischen Sicherheit geht dabei aus dem Konzept der menschlichen Sicherheit hervor, welche das Individuum in den Vordergrund rückt und Belange der persönlichen Sicherheit und individuellen Freiheit berücksichtigt. Außerdem bezieht sich menschliche Sicherheit auf alle Bereiche einer Gesellschaft, wodurch Gesundheit, Umwelt, Wirtschaft und Politik in den Fokus rücken. Feministische Sicherheit führt diese Idee weiter und betont explizit das Sichtbarmachen marginalisierter Menschen.

FAP stellt infrage, dass Macht oftmals mit militärischer Stärke gleichgesetzt wird. Aus diesem Denken resultierend nimmt nämlich die Verbreitung von Waffen und die Entstehung von Kriegen stetig zu anstatt ab. Es ist eine gesellschaftlich konstruierte Männlichkeit, die Konzepte wie Stärke, Mut und Schutz mit Gewalt gleichstellt. Auch betitelt als militarisierte Männlichkeit, welche Produkt der verankerten patriarchalen Strukturen in unserer Gesellschaft ist. Es ist eindeutig, dass militarisierte Männlichkeit allen Menschen in einer Gesellschaft schadet. Sie sieht Abrüstung als Schwäche und verkörpert so einen negativen Frieden (1), der sich auf die Abwehr von Gefahren konzentriert, nicht aber darüber hinausgeht. Frieden ohne Waffen wird dabei als Utopie angesehen. FAP verfolgt stattdessen einen positiven Frieden (2), der Sicherheit für alle Menschen etabliert und sich auf alle Bereiche der Gesellschaft bezieht. Alle Formen struktureller Gewalt sollen abgebaut und Freiheit für alle Menschen gewährt werden. Positiver Frieden geht über die Abwesenheit von Krieg hinaus, denn der Schutz des Individuums steht im Vordergrund, und im Besonderen werden die Belange marginalisierter Menschen berücksichtigt. Es geht um ein Abrücken staatszentrierter nationaler Sicherheitsstrategien, die nur die Machterhaltung, bereits privilegierter Personen stützen. Vielmehr versucht FAP historische Ungleichheiten, wie Kolonialismus zu überwinden, weshalb ein postkolonialer Ansatz wichtig ist. FAP ist folglich ein wichtiges Mittel, um nachhaltigen Frieden zu erreichen, nicht nur in Bezug auf Sicherheit, sondern auch hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und den Abbau von (Neo-) Kolonialismus.

Studien belegen, dass Frauen und marginalisierte Gruppen besonders unter kriegerischen Zuständen und auch über bewaffnete Konflikte heraus vermehrtes Leid erfahren, sei es aufgrund von sexualisierter Gewalt, Ausbeutung oder Diskriminierung. FAP stellt Strukturen her, die die politische und soziale Teilhabe von Frauen an Friedensprozessen ermöglicht und jegliche Gefahren abbaut. Frauen und marginalisierte Gruppen sollen nicht länger (nur) als Opfer angesehen werden, sondern zu aktiven Akteur*innen in der internationalen Außenpolitik werden. Die Erfahrungen und Repräsentanz vulnerabler Gruppen sind notwendig, um Prozesse für Frieden an individuelle Bedürfnisse anzupassen. Außerdem zeigt sich, dass Friedensvereinbarungen länger halten, wenn Frauen daran beteiligt sind. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Friedensabkommen mindestens 15 Jahre lang hält, erhöht sich um 35%, wenn Frauen daran beteiligt sind, wie die Forschung von Laurel Stone zeigt. Außerdem zeigt u.a. die Forschung von Valerie Hudson auf, dass ein Staat umso weniger anfällig für Konflikte und Kriege ist, je mehr Geschlechtergerechtigkeit in ihm ausgeprägt ist.

Es steht außer Frage, dass FAP als Werkzeug dient, um strukturelle Machstrukturen aufzubrechen, sie zu überwinden und um eine friedlichere Gesellschaft für alle Menschen zu etablieren. Zwischen Theorie und staatlicher Umsetzung gilt die Zivilgesellschaft als Korrektiv. FAP kann daher nur mit der Einbindung kritischer, Graswurzel- und feministischer Akteur*innen gelingen. Sie sind Garant*innen dafür, dass Stimmen von marginalisierten Menschen Gehör finden.

Anmerkungen
(1) Der Begriff des negativen Friedens geht auf Johan Galtung zurück und bezeichnet Frieden als die Abwesenheit von Gewalt.
(2) Johan Galtung beschreibt den positiven Frieden als die Abwesenheit von jeglicher struktureller Gewalt, der somit über die Abwesenheit von Krieg hinausgeht.

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Annegret Krüger arbeitet beim Netzwerk Friedenskooperative in Bonn.
Sie studiert Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Integration und Migration an der katholischen Hochschule in Mainz. In ihrer Bachelorarbeit hat sie sich mit dem Konzept Feministischer Außenpolitik auseinandergesetzt. Von April bis Juni 2023 absolvierte sie ein Praktikum beim Netzwerk Friedenskooperative.