Forum für Frieden und Versöhnung im früheren Jugoslawien?

von Christine Schweitzer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Vom 17. bis 20. September hat in Verona ein "Forum für Frieden und Versöhnung auf dem Gebiet des früheren Jugoslawien" stattgefunden. Ca 150 TeilnehmerInnen von mehr als 50 verschiedenen Nichtregie­rungsorganisationen, vor allem den Antikriegsbewegungen und politi­schen Parteien aus allen Gebieten des früheren Jugoslawiens besuch­ten das Foru. Dazu kamen mehr als 50 BeobachterInnen aus ganz eu­ropa. Das Treffen war von einem dreizehnköpfigen Organisationskomi­tee unter dem Vorsitz von Marijana Grandits, Mitglied des Österreichi­schen Parlaments und Alexander Langer, Mitglied des Europaparla­ments (beide GRÜNE) einberufen worden.

Das Forum verfolgte zwei Ziele: Das er­ste Ziel war, neue Ideen für Frieden und  Versöhnung zu sammeln, wie sie aus der breiten Vertretung der ex-jugoslawi­schen zivilen Gesellschaft gewonnen werden konnten. Die spezifischen Vor­schläge des Forums, die Ergebnisse viertägiger Beratungen, wurden in der Schlußerklärung des Forums (aus der auch diese Einleitung zu großen Teilen stammt) aufgezählt. Das zweite Ziel war, einen permanenten Prozeß der De­batte und Beratung zwischen all den Sektoren der ex-jugoslawischen zivilen Gesellschaft zu initiieren, einen positi­ven Dialog zwischen den demokrati­schen und friedensorientierten Kräften in allen Staaten zu fördern und den lau­fenden internationalen Friedensprozeß zu beeinflussen. Die kombinierte Bürge­rInnen-und Kommunen-Friedenskonfe­renz der Helsinki-BürgerInnenver­samm­lung, die Anfang November in Skopje stattfinden wird, soll ein weiterer Schritt auf diesem Weg sein.

Das Forum erstreckte sich über drei Tage, von denen die "JugoslawInnen" einen Tag unter sich blieben; die ande­ren beiden Tage durften die internatio­nalen BeobachterInnen zuhören (aber nicht an der Diskussion teilnehmen). Dieses Vorgehen zeichnet u.E. dieses Treffen gegenüber etlichen anderen Konferenzen, z.B. den von der Helsinki-BürgerInnenversammlung (HCA) ver­anstalteten aus. In dem Kreis von Ve­rona verständigten sich BürgerInnen des ehemaligen Jugoslawiens; bei Konfe­renzen der HCA dominieren leicht Men­schen anderer Ländern. In drei Plena wurden Vorschläge gesammelt, wie der Krieg gestoppt werden könne, wie ver­hindert werden könne, daß er sich aus­weite und wie der Schutz der Men­schenrechte eingefordert werden könne. Daran schlossen sich drei Arbeitsgrup­pen über Bosnien-Herzegowina, die Vojvodina, den Kosovo und Makedo­nien an. Der letzte Tag wurde genutzt, die Schlußerklärung und weitere Ap­pelle zu formulieren.

Die Diskussionen waren gut und kon­zentriert, besonders, wenn man bedenkt, daß die meisten TeilnehmerInnen sich entweder vorher nicht kannten oder nicht mehr gesehen hatten, seit ihre Länder zu gegnerischen Kriegsparteien geworden waren. Deutlich war die Angst zu spüren, Kontroversen zu offen auszutragen, in typisch nationale Argu­mentationsmuster hineingezogen zu werden. Die Betonung von seiten der Veranstalter, daß man sich darauf kon­zentrieren solle, was jetzt getan werden könne, nicht darauf, wer woran wieviel Mitschuld trage, war dabei sehr hilfreich.

Fast alle betonten die Notwendigkeit bilateraler Treffen, um die Diskussionen fortzuführen. Einige konkrete Verabre­dungen hierzu wurden sofort getroffen; es wird voraussichtlich mindestens je ein bilaterales serbisch-kroatisches, ser­bisch-kosovisches und mazedonisch-griechisches Treffen geben.

Aus der Schlußerklärung:

"Generelle Prinzipien: Das Forum stellte fest:

1.    massive Verletzungen der Menschen­rechte und des humanitären Gesetzes

2.    die Gewißheit, daß der Konflikt sich ausweiten wird

3.    das Versagen des internationalen Friedensprozesses bei der Herstel­lung von Minimalbedingungen für Frieden und Versöhnung

4     das Fehlen eines klaren politischen Konzeptes für eine umfassende Re­gelung für den Balkan

5     grundlegende Normen der Demokra­tie und Menschenrechte haben nie in der Region geherrscht.

Wesentliche Punkte aus der Diskussion und / oder der Schlußerklärung waren folgende:

*     Das Forum war sich darin einig, daß die einzige langfristige Lösung des Konfliktes in Bosnien-Herzegowina die Errichtung eines UN-Protektorats sein wird. Das Protektorat würde das Territorium kontrollieren, die Demi­litarisierung und Auflösung der Mili­zen betreiben und versuchen, eine zi­vile Gesellschaft wiederherzustellen. Der Vorschlag eines UN-Protektorats wurde als einzige Möglichkeit ange­sehen, zu verhindern, daß die kämp­fenden Parteien bis zum bitteren  Ende für die Aufteilung des Gebietes Krieg führen würden.

*     Es gab keinen Konsens bezüglich ei­ner Militärintervention. In der Schlußerklärung las sich dies dann so: "Das Forum stellte fest, daß die Debatte über eine Militärintervention nutzlos polarisiert wurde...(und) eine Intervention schon begonnen hat. Die gegenwärtige UN-Intervention hat aber keine klarformulierten Ziele und daher keine eindeutigen Mittel, ir­gendetwas zu erreichen. Die gegen­wärtige Intervention riskiert daher eine explosive Eskalation, ohne Frie­den zu erreichen." Einigen tat man sich auf eine internationales Verbot allen Luftverkehrs über Bosnien (mit Ausnahme der Hilfsflüge).

*     Die Vorschläge einer "Friedens­inva­sion" (Friedensmärschen o.ä.) nach Sara­jevo wurde von den meisten Anwe­senden, besonders von den Vertretern aus Sarajevo selbst abge­lehnt. (Anmerkung hierzu: die Initia­tive der Beati i costruttori di pace hat später ergeben, daß diese Ablehnung doch nicht so einhellig war, wie es in Ve­rona schien.)

*     Es gab verschiedene Meinungen be­züglich der Sanktionen gegen "Rest-Jugoslawien". Die hauptsächlich VertreterInnen aus dieser Region vertraten entschieden die Forderung, daß die Sanktionen aufgehoben wer­den sollten, um ein positives Signal zu setzen, daß die Politik von Pani'c honoriert werde. Panic und Milosevic befänden sich in einem Machtkampf, in dem Panic ein außenpolitischer Er­folg sehr nützen würde, wenn er nicht sogar essentiell für sein politisches Überleben sei. Die Sanktionen träfen hauptsächlich die kleinen Leute und eine Folge sei, daß rechtsextreme Gruppen wie die um Seselj immer mehr an Zulauf gewönnen. Einige (bei weitem nicht alle) Repräsentan­tInnen aus Kroatien und Slowenien schlossen sich der Forderung nach Aufhebung der Sanktionen aus hu­manitären Erwägungen an.

*     Die Möglichkeit der Verhängung von Sanktionen gegen Kroatien wegen dessen Mitbeteiligung am Krieg in Bosnien-Herzegowina wurde nicht diskutiert, obgleich von Seiten der BeobachterInnen schriftlich um De­batte dieses Vorschlags gebeten wor­den war.

*     Die sofortige völkerrechtliche Aner­kennung der Republik Makedonien wurde als entscheidender (und im wesentlichen ausreichender) Schritt angesehen, die Ausweitung des Krieges in diese Region zu verhin­dern. Es wurde darauf hingewiesen, daß Makedonien die Kriterien erfüllt, die von der EG Ende 1991 als Vor­aussetzungen für eine Anerkennung formuliert worden waren. Die Vor­enthaltung der Anerkennung schüre nationale Spannungen und Konflikte mit Griechenland und Serbien. Ein weiterer Aspekt in diesem Zusam­menhang ist, daß Makedonien auf der einen Seite als "Rest-Jugoslawien" unter das Embargo fällt, ihm aber auf der anderen Seite vorgehalten wird, daß es eben dieses Embargo gegen Serbien nicht einhalte, was man unter diesen Umständen ja kaum von Skopje erwarten könne.

*     In Verona - wie auch bei anderen in­ternationalen Treffen - wurde auch deutlich, daß ein Großteil der griechi­schen Friedens-und Alternativgrup­pen die Position ihrer Regierung ge­genüber Makedonien teilt. Zwischen den MakedonierInnen und den anwe­senden GriechInnen wurde ein bilate­rales Treffen in Skopje vereinbart, um die -zeitweilig trotz des Redever­botes für BeobachterInnen ziemlich laut gewordene - Diskussion fortzu­setzen.

*     Als eine weitere wichtige Maßnahme, eine Ausweitung des Konfliktes zu verhindern, wurde die Entsendung von militärischen und Menschen­rechts-BeobachterInnen angesehen. Die meisten Anwesenden schienen dabei allein an offizielle Beobachte­rInnen von EG, KSZE oder UNO zu denken. Es gab aber auch den Vor­schlag, NGOs anderer Länder (etwa PBI oder andere gewaltfreie Organi­sationen) anzusprechen, ob sie nicht solche Beobachtermissionen organi­sieren könnten, falls die offiziellen Stellen dieser Forderung nicht nach­kommen.

*     Ein sehr schwieriges und konfliktbe­ladenes Gebiet ist die Frage der Zu­kunft der Vojvodina und des Kosovo. Hier konnte sich das Forum nur auf die Forderung nach zukünftigen Be­ratungen über dieses Thema einigen, zu sehr gingen die Vorstellungen auseinander. Mein Eindruck war, daß die serbische Opposition in beiden Fällen dazu bereit wäre, eine Wie­derherstellung der Autonomie nach der Verfassung von 1974 zu erwägen. (Das heißt, einen Autonomiestatus innerhalb Serbiens.) Während dies für die Bewegungen in der Vojvodina evtl. ein zufriedenstellendes Ergebnis sein könnte, ist dies für die Kosovo-AlbanerInnen entschieden zu wenig. Sie wollen die Loslösung von Ser­bien. Es blieb in Verona auch unklar, ob eine Wiederherstellung der Auto­nomie als erster Schritt für sie ak­zeptabel sein könnte.

*     Allgemein gab es keinen Konsens über die Frage, ob Nationalitä­ten/nationale Minderheiten kollektive Rechte besitzen. Einig war man sich aber darin, daß die Einhaltung der (individuellen) Menschenrechte über­all gewährleistet sein muß.

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Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.