Protest gegen die Lieferung der NVA-Schiffe nach Indonesien

Freispruch für "Timor und kein Trupp"

von Andrea Kollig
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Pfingsten 1993 besetzte eine Gruppe mit dem Namen "Timor und kein Trupp" drei Kriegsschiffe der ehemaligen NVA in Peenemünde, aus Pro­test gegen den Export der Kriegsflotte nach Indonesien.

"Timor und kein Trupp" war ein breites politisches Bündnis von Gruppen, die alle aus der DDR-Opposition kamen. Im letzten Jahr erhielten sie für die Peen­emünde-Aktion den Friedenspreis der Synode Oberhausen. Jetzt wurde zwei Rüstungsgegnern wegen der Besetzungs­aktion der Prozess gemacht.

Pfingsten 1993 demonstrieren ca. 250 Menschen aus Dresden, Halle, Berlin und anderen Städten der Ex-DDR in Peenemünde, wo, wie es der Abrü­stungsminister der letzten DDR-Regie­rung zugesagt hatte, die Kriegsschiffe verschrottet werden sollten. Nach Poli­zeiangaben kommt es während der Be­setzung zu Beschädigungen in der Kommandozentrale eines Schiffes. Nach mehreren Tagen endet die Aktion friedlich. Die Besetzer geben auf, und die Schiffe können auslaufen.

Offiziell sind die 39 Schiffe mittlerweile an Indonesien übergeben, doch drei der sog. Frosch-Landungsboote aus NVA-Beständen liegen merkwürdigerweise noch immer in Peenemünde.

Landfriedensbruch im besonders schwe­ren Fall, gefährlicher Eingriff in die Seefahrt - die Besetzer hatten ein Schiffstau gelöst und das Schiff driftete ab - und Sachbeschädigung lautete die Anklage für zwei Dresdner Teilnehmer. Laut Staatsanwaltschaft haben die bei­den "gemeinsam mit zahlreichen ande­ren, unbekannt gebliebenen Tätern" einen "bedeutenden Schaden" an der NVA-Flotte verursacht, und den See­verkehr beeinträchtigt. Schwerer Land­friedensbruch kann mit einer Haftstrafe bis zu zehn Jahren geahndet werden.

Das Verfahren gleicht einem peinlichen Provinztheater. Die Staatsanwältin übernimmt das Verfahren für einen er­krankten Kollegen, der sich bei der Auswahl der Zeugen, nur Beamte und Angestellte der örtlichen Polizei, wohl etwas gedacht haben muß. Der TAZ-Prozessbeobachter (TAZ v. 6.11.95) kommentiert das Geschehen im Ge­richtssaal: "Möglicherweise mußten diese Polizisten noch nie vor Gericht aussagen: fraglich ist, ob sie in der Poli­zeischule aufgepasst haben, als das für Ordnungshüter wohl nicht ganz un­wichtige Thema `Zeugenaussage` durchgenommen wurde ... Zu einer brauchbaren Aussage über jene Peen­emünder Pfingsttage ist jedenfalls kei­ner von ihnen in der Lage. Keiner von ihnen hat je einen der beiden Ange­klagten zu Gesicht bekommen in diesen Pfingsttagen 1993. Keiner hat einen der Angeklagten in flagranti erwischt, ge­schweige denn zum Tatvorwurf ver­nommen."

Ein Zeuge erklärt, er hätte "nur rein in­formativ" von der Besetzung Kenntnis erhalten und so geriet die Anklagever­tretung zunehmend in Beweisnot. Das Interessanteste an diesem Zeugen ist jedoch etwas ganz anderes: auf Nachfrage kommt heraus, was immer vermutet wurde, die deutschen Ermitt­lungsbeamten leisteten Amtshilfe für die indonesischen Behörden, indem sie über alle Schiffsschäden Protokoll führten.

Die Staatsanwältin versucht es noch einmal mit einer Polizistin, von der sie annimmt, daß sie die Namen der Ange­klagten zu Papier gebracht hat, doch auch sie weiß von nichts. Zuletzt ver­sucht die Staatsanwaltschaft wenigstens eine Verurteilung wegen Hausfriedens­bruch zu erreichen. Doch - leider - die Angeklagten kamen über öffentlich zu­gängliche Wege auf das Gelände.

Der Staatsanwältin bleibt nichts anderes übrig, als Freispruch zu beantragen. Der Anwalt vergleicht die Protestaktionen mit Aktionen gegen DDR-Unrecht. Er hält einen Staat für heuchlerisch, der die einen Widerständler als Helden hofiert, die Protestler von "Timor und kein Trupp" aber als Kriminelle verfolgt.

Der Richter entscheidet auf Freispruch. Da die Staatsanwaltschaft selbst Frei­spruch beantragte, legte sie keine Rechtsmittel mehr ein. Somit ist das dritte auch das letzte Peenemünde-Ver­fahren gewesen.

Während des Prozesses machten "Timor und kein Trupp" und der "Anarchistische Arbeitskreis Wolfspelz"  die Öffentlichkeit mit Flugblättern auf das Verfahren und die Vorgänge vor zweieinhalb Jahren aufmerksam. Nach Aussagen des Arbeitskreises erfolgreich und mit guter Resonanz sowie vielen Ge­sprächen.

Die 39 NVA-Kriegsschiffe sollen laut vertraglicher Abmachung zwischen Bonner Verteidigungsministerium und indonesischer Regierung nur zum Kü­stenschutz, der Sicherung der Seewege und zur Bekämpfung der Piraterie und des Schmuggels eingesetzt werden. Der Oberbefehlshaber der indonesischen Streitkräfte, General Feisal Tanjung sieht das offenbar anders. In einen In­terview mit dem Asian Defence Journal, erklärte er im Oktober: "Tatsächlich sieht der Plan vor, die Stärke der "Batallion-Landungskräfte" (Batallion Landing Team, BLT) zu erhöhen, in dem die bestehenden zwei BLTs konso­lidiert und eine neue BLT-Reserveein­heit aufgestellt wird. Mit der Bildung schlagkräftiger BLTs wird beabsichtigt, Störungen von innen zu überwinden. Mit dem kürzlichen Kauf von ehemals ostdeutschen Landungsschiffen sollen veraltete Landungseinheiten ersetzt werden...."

Dann werden mit Zustimmung der Bun­desregierung Unruhen niedergeschla­gen.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Andrea Kollig ist Mitarbeierin der BUKO-Kampagne: "Stoppt den Rü-stungsexport!" in Bremen.