Debatte in der „Evangelischen Kirche in Deutschlands“

Frieden als Auftrag kirchlichen Handelns

von Jan Gildemeister

Die EKD-Synode im November 2019 hatte zum Thema „Kirche auf dem Weg der Gerechtigkeit und des Friedens“ eine so genannte „Kundgebung“ verfasst. Eine Replik auf Ulrich Freys Artikel „Schwerpunkt Frieden. Ein Kommentar zur Kundgebung der Synode der EKD“ im Friedensforum 1/2020.

 

 

 

Die EKD-Kundgebung positioniert sich zwar nicht in der Frage der atomaren Abschreckung, wie Ulrich Frey im letzten Friedensforum schrieb, aber seine Fokussierung auf diesen Aspekt führt dazu, dass er die erfreulichen Aspekte der Kundgebung nur kurz erwähnt. Seine Einschätzung, dass die fehlende (explizite) Ablehnung der Abschreckung einen „Stillstand der Entwicklung von Friedenstheologie und Friedensethik“ markiert und „friedenspolitisch die Suche nach einer nachhaltigen Sicherheits- und Friedenspolitik“ blockiert, teile ich nicht. Vielmehr liegt der Kundgebung das Verständnis der menschlichen bzw. gemeinsamen Sicherheit zugrunde und sie folgt über weite Strecken einer Friedenslogik. Allerdings war der letzte Schritt offenbar nicht mehrheitsfähig: Die direkte, deutliche Kritik der aktuellen Sicherheitsstrategie und -politik und die Unterstützung der (badischen) Initiative „Sicherheit neu denken“.

„Frieden“ ist einerseits ein Kernthema biblischer Verkündigung und ein Auftrag kirchlichen Handelns, andererseits ist es ein vielschichtiges und komplexes Thema und auch in der Evangelischen Kirche politisch umstritten. Die kontrovers diskutierte und letztlich mit nur einer Gegenstimme beschlossene Kundgebung ist insofern ein Kompromiss, der dennoch in vielerlei Hinsicht einen Fortschritt markiert.

Im theologischen Einstieg wird u.a. die Kraft der Gewaltfreiheit in der biblischen Botschaft hervorgehoben. Nach der Nennung relevanter Veränderungen seit Veröffentlichung der EKD-Friedensdenkschrift 2007 – von Klimawandel, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten über steigende Ausgaben für Rüstung und Militär bis zu einem rauer gewordenen gesellschaftlichen Klima – wird festgestellt, dass „eine gerechtere, ressourcen-schonendere und die Würde achtende Weltordnung (…) der wichtigste Beitrag für mehr globale Sicherheit und weniger Konflikte (ist). Die wichtigen globalen Herausforderungen lassen sich nicht militärisch lösen, sie bedürfen des politischen Ausgleichs sowie der Berücksichtigung des Rechtes und des Wohles aller Beteiligten.“ (S. 2)

Die Kundgebung geht im Folgenden der Frage nach, wie (militärische) Gewalt und kriegerische Mittel durch Vorbeugung und Eindämmung von Gewalt sowie konstruktive Konfliktbearbeitung überwunden werden können. Gefordert wird beispielsweise im Bundesetat mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes u.a. für die Bekämpfung von Gewaltursachen, für Krisenprävention sowie für gewaltfreie Konfliktbearbeitung. (S. 3)

Hervorgehoben wird die Bedeutung von einer nachhaltigen Entwicklung und Klimaschutz für gerechten Frieden. Die Synode spricht sich „für ein entschiedenes Engagement von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zur Einhaltung der ökologischen Grenzen unserer Erde aus“. Die Klimaschutzziele des Koalitionsvertrags sind endlich entschieden umzusetzen. Und weiter: „Wir treten ein für eine Ethik, eine Ökonomie und einen Lebensstil des Genug.“ (S. 3)

Im Kapitel zum gesellschaftlichen Frieden werden soziale Probleme als Ursache für populistische Argumentationen, Extremismus und Gewaltbereitschaft genannt. „Rassismus und Ausgrenzung widersprechen dem christlichen Gebot der Nächstenliebe.“ (S. 4) Handlungsbedarf wird insbesondere bei der Kirche selbst gesehen, als Bündnispartner zur Gestaltung des Gemeinwesens ebenso wie im Bereich der Friedensbildung und Konfliktbearbeitung.

Bezogen auf die internationale Ebene fokussiert die Kundgebung auf die Europäische Union „als Projekt des Friedens und der Versöhnung“. Gemeinsam mit anderen Kirchen in Europa „wollen wir eine klar vernehmbare Stimme für den Frieden sein“ (S. 5). Neben einem Ausbau friedensfördernder Institutionen und Instrumente und einer friedensverträglichen (Außen-)Politik fordert die Synode auch restriktivere Rüstungsexportregelungen für Deutschland und auf EU-Ebene.

Als friedensethische Herausforderungen werden die Autonomisierung von Waffensystemen, der Cyberraum und Atomwaffen näher beschrieben. „Bei autonomen Waffen, die der menschlichen Kontrolle entzogen sind, treten wir für eine völkerrechtliche Ächtung ein.“ (S. 6) Bei Atomwaffen werden Gespräche und Verhandlungen mit den Partnerinnen und Partnern in NATO, EU und OSZE als Voraussetzung für das Ziel, den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen, genannt. Neben dieser eher vagen Formulierung scheut sich die Synode aber vor einer eindeutigen Ablehnung der atomaren Abschreckung. 

Zum Schluss bezieht die Kundgebung sich auf die weltweite Ökumene: „Auf dem Weg zur Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (…) folgen wir seinem Aufruf, an dem Ökumenischen Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens (…) teilzunehmen. Als Teil der Friedensbewegung Gottes in diese Welt hinein verpflichten wir uns, in unseren eigenen Strukturen und Veränderungsprozessen, in unserem täglichen Handeln sowie in den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen um Gottes Frieden zu bitten, ihn beständig zu suchen und für Gerechtigkeit und Frieden einzutreten.“ (S. 7)

 

Gesamtbewertung

Wenn man berücksichtigt, dass die Evangelischen Kirche in der Friedensfrage die Breite der gesellschaftlichen Meinungen widerspiegelt und sich – in der Bundesrepublik – traditionell regierungsnah äußert, ist der Kundgebungstext aus zwei Gründen bemerkenswert:

Zum einen durch seinen Fokus darauf, dass (militärische) Gewalt durch Krisenprävention und Zivile Konfliktbearbeitung überwunden werden muss. Die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen militärische Gewalt als „ultima ratio“ notwendig oder gerechtfertigt ist, wird im Gegensatz zur EKD-Friedensdenkschrift nicht behandelt und damit vermieden, dass die gewaltfreie Perspektive dahinter verloren geht. Stattdessen wird darauf hingewiesen, dass sich die vorhandenen Probleme nicht militärisch lösen lassen und dass durch gewaltfreie Mittel viel bewirkt wurde und werden kann. Dass zugrunde liegende Sicherheitsverständnis hat entsprechend keine „Bedrohungen“ für Deutschland und seine wirtschaftlichen Interessen im Blick, sondern die Sicherheit aller Menschen und die gemeinsame Sicherheit von Staaten. So heißt es bezogen auf Europa: „Dauerhafter Frieden ist nur zu erreichen, wenn auch die Sicherheit anderer in den Blick genommen wird.“ (S. 5) Die Kundgebung bietet insgesamt ethische Orientierung.

Zum anderen enthält der mit sieben Seiten insgesamt relativ lange Kundgebungstext eine Vielzahl wichtiger politischer Forderungen, Impulse und Selbstverpflichtungen. Es wird nun darauf ankommen, dass diese auch in den politischen Äußerungen und in der kirchlichen Praxis ihren Niederschlag finden. Damit verbunden ist die Frage, ob die EKD der evangelischen Friedensarbeit mit dem Ratsbeauftragten für Friedensarbeit an der Spitze die berechtigte Anerkennung beimisst und die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung stellt.

Ein Wermutstropfen ist dagegen, dass die EKD sich nicht zu einer klaren Ablehnung der nuklearen Abschreckung und der Forderung an die Bundesregierung, unverzüglich den Atomwaffenverbotsvertrag zu unterzeichnen, durchringen konnte. Hier sind der Ökumenische Rat der Kirchen sowie die katholische Kirche - durch entsprechende Äußerungen des Papstes und der deutschen Kommission justitia et pax - einen Schritt weiter gegangen.

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Hintergrund
Jan Gildemeister ist Geschäftsführer der AGDF.