Bundesregierung und Ukraine

Friedensarbeit braucht Kontinuität

von Björn Kunter

Bundesregierung und Bundestag reagieren auf aktuelle Krisen in der europäischen Nachbarschaft gerne mit der Bereitstellung von Sondermitteln für zivilgesellschaftliche Friedensarbeit. So wurden für die Ukraine im letzten Sommer 5 Millionen Euro und in diesem Jahr erweitert auf alle Länder der 'Östlichen Partnerschaft' (dazu gehören neben der Ukraine auch Belarus, Georgien, Modawien, Armenien undAserbeidjan) sogar 14 Millionen Euro bereitgestellt. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, die Kriterien und Verfahren der Mittelvergabe widersprechen jedoch den Standards der nachhaltigen Konflikttransformation und laufen Gefahr, wirkungslos zu verpuffen oder gar Schaden anzurichten.

Friedensarbeit braucht Kontinuität und einen langen Atem, wobei ausländische Förderung der Zivilgesellschaft fast ausschließlich über Partnerbeziehungen geschieht, die ebenfalls Zeit zum Wachsen benötigen. Doch die Bundesmittel werden jeweils nur für ein Haushaltsjahr vergeben. Die Projektpartner haben nicht nur keine Planungssicherheit, sie müssen zum Jahresanfang ihre Arbeit für mehrere Monate unterbrechen, bis die neuen Projekte genehmigt sind. In 2015 konnten die Projekte sogar erst im Juni starten.

Durch die ungleichmäßige Verteilung von Sondermitteln und ähnliche Programme anderer ausländischer Geldgeber werden die Zivilgesellschaft in der Ukraine und ihre Partner systematisch überfordert und teilweise überfördert. Laufende langfristige Projekte werden geschadet, weil zu den Hochzeiten des Mittelzuflusses lokale MitarbeiterInnen, ExpertInnenen und Ehrenamtliche abgeworben und systematisch überlastet werden.

Do No Harm?
Auch hat das Auswärtige Amt als Vergeber der Mittel keine Kapazitäten, um die Einhaltung des Do No Harm – Prinzips (des auch von der Bundesregierung anerkannten humanitären Prinzips, bei Hilfe und in der Entwicklungszusammenarbeit keinen unbeabsichtigten Schaden zuzufügen) für die Sondermittel übersehen zu können. Weitere typische schädliche Nebenwirkungen ausländischer Finanzierung sind daher zu erwarten, wie:

  • die Zerstörung oder Hemmung lokaler Selbstfinanzierungsmechanismen der NGO-Arbeit und Verstärkung von Abhängigkeitsbeziehungen zwischen lokalen Organisationen und ausländischen Partnern.
  • die Korrumpierung lokaler Partner, wenn Kontrollmechanismen nicht ausgearbeitet oder aus Zeitgründen nicht angewandt werden, da viel Geld schnell ausgegeben werden „muss“.
  • eine Beschränkung auf übliche lokalen Partner, also den Kreis „projekterfahrener“ Organisationen, die Projekte und Projektberichte zuverlässig erledigen können, anstelle langfristiger Investitionen in neue Partner, die gefunden und eingearbeitet werden müssen.
  • eine Vernachlässigung von Ost-Ost-Beziehungen und Verstärkung von Konkurrenzen zwischen lokalen Partnern.
  • eine Entfremdung zwischen staatlichen Institutionen und gesellschaftlichen Organisationen, weil staatliche Aufgaben unreflektiert an (zuverlässigere) gesellschaftliche Organisationen vergeben werden oder weil parallele Programme (selbst des gleichen Geldgebers) mit staatlichen und gesellschaftlichen Partnern neben- oder gar gegeneinander laufen.
  • eine systematische Überbetonung der Wirkungen ausländischer Projekte und Missachtung lokaler Faktoren durch die Projektberichtslogik.

Zudem sind Schäden aufgrund der besonderen Konfliktsituation zu erwarten. Etwa:

  • eine konfliktunsensible Auswahl von Partnern und/oder Beschränkung auf „leicht zu handhabbare“ Projekte allein mit homogenen Partnerschaften.
  • Retraumatisierungen oder die Verfestigung von Feindbildern bei TeilnehmerInnen von Maßnahmen, da den beteiligten Organisationen die Lernprozesse fehlten, um sachgemäß mit der Krisensituation umgehen zu können.

Vor allem aber legt der aktuelle Forschungsstand nahe, dass die Projekte größtenteils wirkungslos bleiben werden. Denn die empirische Auswertung hunderter Friedensprojekte durch das „Reflecting on Peace Practice“ Programm (siehe cdainc.org) zeigte, dass Projekte, die allein auf individuelle Veränderungsprozesse zielen, aber keine soziopolitische Handlungsebene einziehen, keine statistisch erkennbare Wirkung auf Friedensprozesse entfalten. Das gleiche gilt für Projekte die sich alleine auf Führungspersönlichkeiten oder alleine auf die Erreichung vieler Einzelpersonen konzentrieren, ohne die beiden Prozesse miteinander in Bezug zu bringen. Beispielsweise gelten die deutsch-französischen und deutsch-polnischen Jugendwerke zu Recht als wichtiger Faktor der internationalen Versöhnung, aber diese Wirkung entfalteten sie nicht allein durch die Förderung zigtausender Begegnungen, sondern erst in Kombination mit den politischen Prozessen der EU-Mitgliedschaft. Der Schlüssel zu wirkungsvoller Friedensarbeit liegt somit in der Koordinierung und strategischen Verknüpfung verschiedenster Projekte, die zueinander in Beziehung treten und so zur Entwicklung gesellschaftlicher Sektoren beitragen können. Eine Koordinierung der Einzelprojekte durch das Auswärtige Amt findet jedoch nicht statt, und die Koordinierung der Projekte untereinander wird sogar eher erschwert. Zudem zielen die Förderrichtlinien der Ukraine-Sondermittel fast ausschließlich auf die Förderung von Begegnungen und kulturellen Dialog, Projekte also, die allenfalls langfristig und indirekt wirken können.

Forderungen
Mit der Auflage von Ad hoc Mitteln zur aktuellen Bewältigung bewaffneter Konflikte ist zeitgleich eine außenpolitische zivilgesellschaftliche Schwerpunktsetzung über mindestens fünf, besser noch zehn Jahre zu beschließen, damit parallel zur schnellen Mittelvergabe die Strukturen der gesellschaftlichen Konflikttransformation und die Partnerbeziehungen mitwachsen und systematisch aufgebaut werden können. Hierzu gehören:

  1. Die Ermöglichung langjähriger Projektvorhaben
    Der Aufbau einer oder mehrerer Instanzen zur Koordinierung der zivilgesellschaftlichen Friedensarbeit und Konflikttransformation.
  2. Zivilgesellschaftliche Förderung sollte am Ideal langfristiger Partnerschaften organisiert werden, dass heißt, Maßnahmen sollten bevorzugt gefördert werden, die bestehende Partnerschaften stabilisieren, professionalisieren und erweitern oder neue Partnerschaften schaffen und durch Einbindung in Netzwerke absichern.
  3. Die Bürgerdiplomatie, also die selbstorganisierte wildwüchsige Begegnung und Austausch der Menschen über die Grenzen hinweg, ist eine besondere Stärke der deutsch-osteuropäischen Beziehungen. Sie bildet den Humus, auf dem zivilgesellschaftliche Friedensarbeit aufbauen kann. Eine langfristige Förderung ist deshalb auch unabhängig von kurzfristigen Wirkungserwartungen sinnvoll. Diese sollte jedoch nicht direkt über das Auswärtige Amt erfolgen, sondern an eine Vergabeorganisation abgegeben werden, die in Absprache mit dem Auswärtigen Amt, das Verfahren standardisieren und durch Pauschalen bürokratiearm durchführen kann.
  4. Nichts fördert die Bürgerdiplomatie so sehr wie die Einführung der Visafreiheit und der Abbau restriktiver Hürden beim Grenzübertritt.
  5. Eine besondere Bedeutung kommt dem bisher sträflich vernachlässigtem Ost-Ost-Austausch zu. Projekte, die zur Netzwerkbildung und Koordinierung von Aktiven aus der ukrainischen Zivilgesellschaft mit Partnern in der Nachbarschaft inklusive Russland beitragen, sollten daher vorrangig gefördert werden, gegebenenfalls auch ohne deutsche Beteiligung, z.B. durch strukturelle Förderung von regionalen Netzwerken.
  6. Neben der finanziellen Förderung wird der politische Rahmen auch durch Diplomatie und politische Regelungen geprägt. Schon jetzt sind die deutschen Botschaften in der Region sehr hilfsbereit bei der Erteilung von Visa und stehen den Initiativen helfend zur Seite. Angesichts der zunehmenden Komplikationen im „Grenzverkehr“ zur Krim und der Realität besetzter Territorien bzw. eines (einfrierenden) Konfliktes sollten Zivilgesellschaft und Diplomatie gemeinsam daran arbeiten, zu pragmatischen Lösungen zu kommen, um Reise-, Rede- und Vertragsfreiheit mit Partnern in den betroffenen Gebieten zu ermöglichen.
  7. Die Zivilgesellschaft braucht dringend auch wieder ein Forum des Dialogs unter Beteiligung des russländischen Staats. Die Bundesregierung sollte sich daher verstärkt dafür einsetzen, den Petersburger Dialog zu reformieren, wobei die Rolle der Zivilgesellschaft ausgeweitet werden muss.

Last but not least kann die Zivilgesellschaftliche Friedensarbeit die Arbeit im staatlichen Sektor nicht ersetzen. Zur Unterstützung demokratischer Reformen im Bereich staatlicher Institutionen braucht es auch staatliche Programme der Transformationspartnerschaft in Zusammenarbeit mit den Regierungen der Zielländer. Doch leider laufen staatliche und zivilgesellschaftliche (und wirtschaftliche) Aktivitäten bisher unverbunden nebeneinander her. Über gegenseitige Information, Austausch- und Beratungsforen sollte das Wissen über die jeweils andere Säule verbessert  und ein Raum zur Bildung gemeinsamer Strategien und Koordinierung geschaffen werden.

Auch ein Jahr nach der Annexion der Krim sind alle Beteiligten auf der Suche. Die Zivilgesellschaft in Ost- und Mitteleuropa ebenso wie ihre westlichen Partner, ebenso wie die Friedens- und Konfliktforschung und die Politik. Noch keine fertigen Antworten zu haben ist schmerzhaft, aber die Krise eröffnet uns auch eine Chance, gemeinsam auf die Suche zu gehen, Neues auszuprobieren und miteinander zu lernen. 

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Björn Kunter ist seit zwanzig Jahren in der zivilgesellschaftlichen Friedensarbeit und Demokratieförderung in Belarus, Russland und der Ukraine tätig. In 2014 koordinierte er ein durch die oben genannten Sondermittel finanziertes Projekt der KURVE Wustrow.