Zum 3. Friedenspolitischen Ratschlag in Kassel

Friedensbewegung rückt zusammen

von Peter Strutynski
Initiativen
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Seit den Massenaktionen gegen den Golfkrieg (1991) und den Protesten gegen die französischen Atomtests im vergangenen Jahr macht die Friedensbewegung nicht gerade viel von sich reden. Dennoch gibt es sie noch. Sie arbeitet zum Teil eher im Stillen, z.B. in zahlreichen humanitären Kampagnen (Flüchtlingshilfe oder Versöhnungsarbeit), zum Teil in sporadischen bundes- bis weltweiten Ein-Punkt-Bewegungen wie der Anti-Minen-Kampagne oder Anti-Atomwaffen-Bewegung, zum Teil vorwiegend auf lokaler Ebene, z.B. bei der Organisierung der traditionellen Ostermärsche, Hiroshima-Gedenkveranstaltungen oder als Bürgerinitiativen gegen Truppenübungsplätze (z.B. FREIe HEIDe, OFFENe HEIDe) usw. Mit der Gründung einer Reihe berufsbezogener Initiativen hat sich die Friedensbewegung außerdem schon vor Jahren eine bundesweite organisatorische Struktur geschaffen, die auf Dauer angelegt ist und sich von politischen "Konjunkturen" nicht so ohne weiteres erschüttern läßt.

Die bedeutendsten Organisationen dieser Art sind wohl die IPPNW, die IALANA (International Association of Lawyers Against Nuclear Arms), die Naturwissenschaftler-Initiative Verantwortung für den Frieden, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) und die im "Darmstädter Signal" zusammengeschlossenen demokratischen Soldaten. Auch wenn deren Aktivitäten heute insgesamt nicht mehr so spektakulär scheinen wie in den 80er Jahren, so wirken sie doch sehr erfolgreich in ihrem jeweiligen beruflichen Umfeld und treten sporadisch mit vielbeachteten Kongressen und Kampagnen an die Öffentlichkeit. Was aber seit einigen Jahren weniger gut klappt, das sind der kontinuierliche Meinungsaustausch und die politische Vernetzung der lokalen, regionalen, kampagnenorientierten und berufsbezogenen Initiativen.

"Ratschläge" seit 1994

Um diesem strukturellen Defizit beizukommen, treffen sich seit 1994 wachsende Teile der Friedensbewegung jährlich zu einem bundesweiten Erfahrungs- und Meinungsaustausch in Kassel beim "Friedenspolitischen Ratschlag". Organisiert wird der "Ratschlag" von Friedenswissenschaftlern der Kasseler Universität in Zusammenarbeit mit dem Kasseler Friedensforum und einer Reihe mit ihm eng kooperierender Initiativen, regionaler und überregionaler Gruppen etwa aus Frankfurt, Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Dresden, Kiel und Rostock.

Der 3. Friedenspolitische Ratschlag, der am 7. und 8. Dezember 1996 in der Universität Gesamthochschule Kassel stattfand, stand unter dem Motto: "Abrüsten - Armut bekämpfen - Kriegsursachen beseitigen. Entwicklung braucht Frieden". Die über 250 TeilnehmerInnen haben eine Bilanz ihrer Arbeit gezogen, den gegenwärtigen Standort und politischen Stellenwert der Friedensbewegung bestimmt und - vor allem - über gemeinsame politische Projekte und Strategien diskutiert.

Annäherung an Gewerkschaften

Signalwirkung hatte der Auftritt der Vorsitzenden der Gewerkschaft Handel Banken und Versicherung (HBV), Frau Margret Mönig-Raane. Sie sprach im Eröffnungsplenum zum Thema "Hochrüstung und Sozialabbau" und appellierte an die TeilnehmerInnen, den Zusammenhang von Globalisierung, Unterentwicklung in der Dritten Welt und Arbeitsplatz- und Sozialabbau in unserem Land stärker zu beachten. Sie rief zu entschiedenem Widerstand gegen unsinnige, teure und gefährliche Rüstungsgroßprojekte wie den Eurofighter auf. Gerade dieser letzte Punkt wurde in einer Resolution am zweiten Kongreßtag ausdrücklich bestätigt. Der Kampf gegen den Eurofighter ist eines der zentralen Projekte, das die deutsche Friedensbewegung in der nächsten Zeit gemeinsam verfolgen wird. In diesem Zusammenhang muß die Ankündigung der Bundesregierung zu Beginn dieses Jahres alarmieren, wonach die zum Bau des Eurofighters noch fehlenden Mittel in Höhe von 2,4 Mrd. DM zu gleichen Teilen aus dem Verteidigungshaushalt und dem Haushalt des Bundesfinanzministeriums aufzubringen seien (Frankfurter Rundschau, 06.01.97).

Das Bemühen um eine Wiederannäherung von Friedens- und Gewerkschaftsbewegung zog sich wie ein roter Faden durch fast alle Diskussionen. Es sei Zeit, so waren sich alle einig, eine gemeinsame bundesweite Initiative für "Frieden und Arbeit" zu unterstützen. Eine solche Initiative wurde denn auch aus der Taufe gehoben; sie trägt von Gewerkschaftsseite bereits ein paar Unterstützungsunterschriften prominenter Gewerkschafter wie Detlef Hensche (Vorsitz. IG Medien), Margret Mönig-Raane (Vorsitz. Gew. HBV), Horst Schmitthenner oder Karin Benz-Overhage (beide IGM-Vorstandsmitglieder). Die Tragfähigkeit einer solchen Initiative, die ja bisher erst auf dem Papier steht, muß sich natürlich noch in der Praxis erweisen. Hier gilt es, gemeinsame Projekte und Aktivitäten von Friedensinitiativen und Gewerkschaften zu entwikkeln. Auch wenn Abrüstung nicht alle sozialen Fragen in unserem Land löst, so wäre sie doch eine Weichenstellung für die Durchsetzung eines anderen Prinzips der Bonner Politik.

Gegen Bosnieneinsatz und Atomwaffen

Auf dem Kongreß wurde nach intensiver Diskussion mit den Experten Prof. Dr. Andreas Buro (Komitee für Grundrechte und Demokratie) und Angelika Beer (MdB, Bündnis90/Grüne) eine klare Stellungnahme gegen die vorgesehene Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Bosnien verabschiedet. Dieser Resolution lag eine Analyse zugrunde, derzufolge der gegenwärtige Waffenstillstand in Bosnien nicht den NATO-Bombardements zu verdanken war, sondern aus der Bereitschaft der drei Konfliktparteien resultierte, auf der Basis der Holbrooke'schen Vermittlungsergebnisse die Kämpfe zu beenden. Die unter NATO-Befehl stehenden Streitkräfte IFOR und die Nachfolgetruppe SFOR verfolgen u.a. das politische Ziel, aller Welt vor Augen zu führen, daß es ohne Militär, ohne NATO nicht ginge, und daß die Vereinten Nationen als friedenserhaltende Kraft nicht gebraucht würden. In diesem Kontext muß auch das Engagement der Bundeswehr gesehen werden, das am 13. Dezember 1996 mit einer satten Mehrheit vom Bundestag um 18 Monate verlängert wurde. Daß dabei das Stationierungsgebiet nach Bosnien hineinverlegt und der Kampfauftrag noch erweitert wurde, ist nur ein weiterer Beleg für die - äußerst geschickte - Salamitaktik, mit der das Verteidigungsministerium der Öffentlichkeit weltweite Militäreinsätze "schmackhaft" macht und sie in den Rang der außenpolitischen Normalität erheben will. Die Friedensbewegung tut gut daran, diese Militarisierungstendenzen entschieden zu bekämpfen und ihnen eine eigene Logik des Friedens und der Versöhnung entgegenzusetzen. In bezug auf das ehemalige Jugoslawien heißt das, die vom Militär verschwendeten Mittel für zivile Aufbauprogramme zu verwenden, wobei insbesondere jene Regionen und Gruppierungen in Bosnien zu unterstützen sind, in denen serbische, kroatische und muslimische Volksgruppen friedlich zusammenleben und -arbeiten.

Ausführlich befaßte sich der "Ratschlag" mit den Konsequenzen aus dem Beschluß des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag zu den Atomwaffen vom 8.7.1996, wonach der Einsatz und die Androhung eines Einsatzes von Atomwaffen für völkerrechtswidrig erklärt wurden. Diese Gerichtsentscheidung stand am - vorläufigen - Ende einer weltweiten Kampagne, die von den international agierenden Nicht-Regiergungsorganisationen IPPNW, IALANA und IPB (International Peace Bureau) im Mai 1992 ins Leben gerufen worden war. Inzwischen befaßt sich auch die UNO mit einer Resolution, die auf dieses Urteil Bezug nimmt und eine Nuklearkonvention vorschlägt, die Entwicklung, Produktion, Erprobung, Stationierung, Lagerung, Einsatzdrohung oder den Einsatz von Atomwaffen verbietet und ihre Abschaffung durchführen hilft. Die Bundesregierung muß gezwungen werden, ihre Blockadehaltung in internationalen Gremien gegenüber atomaren Abrüstungsverpflichtungen aufzugeben.

Vielfalt und politisches Mandat

Eine große Rolle spielte der Austausch von Aktionserfahrungen aus verschiedenen Regionen. Berichte gab es z.B. vom Widerstand der Bürger gegen den Bundeswehr-Bombenabwurfplatz in der FREIen HEIDe, von ähnlichen Protesten gegen Truppenübungsplätze in Sachsen-Anhalt oder in der Rhön, von den Aktivitäten überregionaler Kampagnen (z.B. Anti-Minen-Kampagne) und von vielfältigen Aktivitäten der Friedensinitiativen "vor Ort", die vielleicht weniger spektakulär, aber wichtig für die aufklärerische Basisarbeit in und mit der Bevölkerung sind. In diesem Zusammenhang wurde z.B. auch beschlossen, Aktivitäten zu unterstützen, die die Existenzberechtigung der Bundeswehr - in einem Land, das "keine Feinde" hat, wie es im Verteidigungsweißbuch 1994 heißt - in Frage stellen (für eine "Bundesrepublik ohne Armee"). Entsprechende Aktionstage im kommenden Mai werden von DFG-VK-Gruppen bereits geplant.

Während der Abschlußdiskussion im Plenum mag der Eindruck entstanden sein, der Friedensratschlag ringe außerdem darum, ein bestimmtes Widerstandsprojekt (FREIe HEIDe) zu einem nationalen "Kristallisationsort" der Friedensbewegung zu erheben. Ein Beschluß hierzu wurde aus guten Gründen aber nicht gefaßt. Abgesehen davon, daß sich so etwas ohnehin nicht "von oben" dekretieren läßt, scheint es für viele Friedensinitiativen illusorisch oder nicht vermittelbar zu sein, den Kampf um das "Bombodrom" in der Wittstocker Heide als die entscheidende Auseinandersetzung um die Zukunft des politischen Auftrags der Bundeswehr anzusehen.

Eine große Rolle spielte in den Diskussionen der Wunsch, die Friedensbewegung möge in der Öffentlichkeit doch (wieder!) mit einer Stimme sprechen und sich auf vordringliche, zentrale politische Forderungen konzentrieren. Nun ist dies erstens leichter gesagt als getan, und zweitens ist es auch nicht unbedingt immer erforderlich. "Mit einer Stimme sprechen" darf z.B. nicht heißen, die nach wie vor große politische Spannweite der Friedensbewegung zu ignorieren und Minderheitenpositionen auszugrenzen. Es wäre aus meiner Sicht z.B. fatal, wenn man jenen die Zugehörigkeit zur Friedensbewegung abstreiten würde, die in der Bosnien-Frage zu einer anderen Analyse des Friedensprozesses und der Wirkung der dortigen Truppenpräsenz gekommen sind. Genauso darf der vielfach zum Ausdruck gekommene Wunsch nach einer Konzentration der Friedensbewegung auf "einen zentralen Punkt" nicht zu einer Einebnung der Vielfalt friedenspolitischer Themen, Aktionsansätze und Kulturen führen. Sie müssen ebenso erhalten bleiben wie die eingespielten organisatorischen Strukturen, derer sich die Friedensinitiativen je nach örtlichen Gegebenheiten und Traditionen bedienen. Worauf es aus meiner Sicht ankommt, ist, der Friedensbewegung in ihrer Vielfalt und Vielheit eine Klammer zu geben, die ich "politisches Mandat" nenne. Dieses politische Mandat zeigt sich sowohl in gemeinsam erarbeiteten, konsensualen Forderungen der Friedensbewegung (vgl. die vom 3. Ratschlag verabschiedeten Resolutionen), als auch in zeitlich koordinierten Aktionen/Demonstrationen/Veranstaltungen wie den Ostermärschen, den Hiroshima-Gedenkveranstaltungen oder den Aktionen zum Anti-Kriegstag (in Zeiten größerer friedensbewegter öffentlicher Unruhe gehören selbstverständlich auch wieder zentrale Demonstrationen dazu).

Um den Wunsch nach einer größeren "Politikfähigkeit" der Friedensbewegung realisieren zu können und gleichzeitig die Kontinuität der "Ratschlags"-Bewegung sowie die informationelle "Vernetzung" der Friedensbewegung zu verbessern, wurde die Bildung eines "Arbeitsausschusses Friedensratschlag" (AFriRa) verabredet. Dem Ausschuß sollen rund 40 FriedensaktivistInnen aus verschiedenen Regionen der Bundesrepublik angehören. Er ist darüber hinaus für alle Interessierten offen. Seine wichtigste Aufgabe wird darin bestehen, den durch die drei bisherigen Friedensratschläge in Gang gekommenen Diskussionsprozeß weiterzuführen, also zunächst die Ergebnisse des 3. Ratschlags auszuwerten und zu verbreitern und sodann den 4. Ratschlag vorzubereiten. Der AFriRa trifft sich zum ersten Mal am 8. Februar in Kassel.

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Peter Strutynski, AG Friedensforschung, Kassel, ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag.