Friedensbewegung und regionale Konflikte - ratlos, tatlos, unglaubwürdig?

von Wolfram Brönner

Zunächst einmal stimmt der Verwurf nicht ganz, daß die Friedensbewegung sich in den zurückliegenden Jahren nicht um Konflikte in der sog. Dritten Welt geschert hätte. Sie hat, wenngleich in Maßen. So gab es in der Phase 1982-84 im Kontext mit dem Reagan-Besuch oder AirLand Battle eine ansehnliche Auseinandersetzung mit dem NATO-Interventionismus in der Dritten Welt bis hin zu Massenprotesten gegen die Mittelamerika-Intervention und den USA-Angriff auf Libyen im April 1986 (Demonstration von 70-80.000, großteils Friedenskräfte). Auch befaßten sich die Friedenskräfte verschiedentlich mit dem Interventionsziel Nicaragua oder dem Südlichen Afrika, vor allem Südafrika. Allerdings regten sie sich kaum, als sich im Herbst 1987 in der Region Persischer Golf dank des Aufmarsches und der Angriffe von US/NATO-Kriegsschiffen auf iranische Ziele die Krise dramatisch zuspitzte.

Sieht man/frau sich den Aufruf der Tübinger Aktionskonferenz vom Mai 1988 genauer an, dann finden sich neben der Hauptorientierung "Atomwaffen abschaffen, Europa abrüsten" - die ich im Übrigen ausgezeichnet finde und teile - auch begrüßenswerte Verknüpfungspunkte zur Dritten Welt:

BRD-Rüstungsexportstopp, Unterstützung der IWF/Weltbank-Kampagne und der Eschborner Protestaktion im November dJ., womit die Friedensbewegung sich dagegen wendet, daß die "Bundesrepublik durch ihre Rüstungsexport-Politik an den Kriegen in der 'Dritten Welt' direkt beteiligt ist, insbesondere auch am Iran-Irak-Krieg .. " Aber: Ein Antikriegs-Engagement gegenüber der Dritten Welt, das sich lediglich auf den Aspekt der Rüstungsexporte beschränkt, greift viel zu kurz. Und die diesbezügliche Benennung des Regionalkonflikts Golfkrieg drängt die Frage auf: Weshalb fehlt hier die Forderung nach einem unverzüglichen Friedensschluß gemäß Resolution 589 des UN - Sicherheitsrates vom Juli 1987 oder jene nach dem Abzug der US-Kriegsflotte aus der Krisenregion samt der "Ersatz"-Bundesmarine aus dem Mittelmeer?

Überdies gälte es, das Verlangen von CDU- und NATO-Kreisen nach künftiger Beteiligung der BRD bei Golfeinsätzen (bzw. a la AirLand Battle 2000 in Afrika) zurückzuweisen.

Umdenken dringlich:

Ein solches Umdenken ist meines Erachtens heute umso dringlicher, als sich mit dem Vorankommen des globalen Dialogs und Abrüstungsprozesses neue Chancen auftun für die Beilegung der brisantesten Regionalkonflikte. Inwiefern kann von einem Wechselverhältnis zwischen beiden Aspekten gesprochen werden?

Zum einen standen regionale Krisen, nämlich die Iran- und vor allem die Afghanistankrise, 1979/80 Pate bei Carters Übergang zur globalen Konfrontationspolitik. Die NATO "Nachrüstung" und die Erweiterung der US-Militärpräsenz in der Dritten Welt wurden damals namentlich mit dem sowjetischen Eingreifen in Afghanistan gerechtfertigt. Die Reagan-Administration führte sodann sämtliche Befreiungsprozesse oder Regionalkonflikte schlechthin auf einen "sowjetischen Expansionismus" zurück, womit sie ihren forcierten Interventionismus (Neoglobalismus), von Nicaragua, EI Salvador über Grenada, den Libanon, Libyen, Kamputschea und Afghanistan bis hin zu Angola, zu kaschieren suchte. Das Schüren bzw. die wiederholte Zuspitzung von Regionalkonflikten wirkte als Negativposten auf das Ost-West-Verhältnis, vertiefte noch die Gräben der globalen Konfrontation zwischen den Weltmächten. Hinzu trat mit der US - Erstschlagsstrategie ein neuartiger Bedrohungsfaktor: Die Pentagon - Strategie sah für den Fall eines militärischen Zusammenstoßes mit der UdSSR oder Präventivschlages gegen diese bzw. ihr verbündete Staaten eine horizontale Eskalation vor. Demnach mußte etwa bei einer Kriegseskalation im Nahen und Mittleren Osten mit einem US/NATO-Angriff an der Zentralfront Europa oder in Ostasien/Westpazifik gerechnet werden.

Waren bei den ersten Gipfeltreffen Gorbatschow-Reagan die Regionalkonflikte, voran Afghanistan, Hemmschuhe für ein Vorankommen im globalen Dialog und Abrüstungspoker, so waren nach den Gipfeln von Washington und Moskau, nach dem Präzedenzfall des Genfer Afghanistan Vertragswerkes hier weitere Fortschritte zu verzeichnen. In jüngster Zeit rückten insbesondere in Sachen Kampuchea und Angola/Namibia politische Verhandlungslösungen greifbar nahe. Die vertrauensbildenden Rückwirkungen solcher Konfliktbereinigungen, für die ein Disengagement und eine Garantiemacht-Rolle der Weltmächte typisch sind, auf deren globalen politischen Dialog sollte nicht geringgeschätzt werden.

US-Außenpolitik widersprüchlich

Andererseits muß angesichts des realistischeren Trends in der Reagan'schen Außenpolitik auch ihre fortdauernde Widersprüchlichkeit gesehen werden. So sabotiert Washington weiter den gegen seinen Willen zustande gekommenen Mittelamerika-Friedensprozeß (Abkommen von Esquipulas II im August 1987). So setzt die Reagan - Administration in der Golfregion entgegen der UNO-Resolution 589 mehr auf militärische Alleingänge als auf vereinte politische Verhandlungsinitiativen, etwa die Entsendung einer UN-Friedenstruppe oder neue Vermittlungsvorstöße des UN-Generalsekretärs.

Zweifellos aber ergeben sich insgesamt aus dem eröffneten globalen Abrüstungsprozeß und Dialog der Weltmächte neue Chancen für die Erste wie die Dritte Welt: politische Kompromißlösungen für Kriegs- und Krisenfälle werden begünstigt; der Abbau regionaler Konfliktfelder bietet die Gelegenheit zur Demilitarisierung der Nord-Süd-Beziehungen und gerade für höchstgerüstete Entwicklungsländer zur Senkung ihrer Rüstungslasten; ebenso die globalen Abrüstungsschritte, konkret Rüstungskürzungen seitens der Industriestaaten, Mittel frei machen u.a. für neue Entwicklungsressourcen der Dritten Welt. Ein Vorankommen in der politischen Beilegung von Regionalkonflikten könnte hier bahnbrechend wirken und die Abrüstungsdynamik weltweit befördern helfen.

Ansatzmöglichkeiten für die FB

Dies allerdings kann nicht dem Selbstlauf überlassen werden, sondern erfordert das aktive Aufgreifen, (Mit) Vorantreiben durch die Friedensbewegung:

Dabei gilt es einmal, das Engagement auf jene Abbauversuche von Regionalkonflikten zu konzentrieren, bei denen es positive Ansätze bzw. bereits Verhandlungsprozesse gibt oder wo interventionistische Widerstände durch internationalen Druck überwunden werden müssen bzw. können (Mittelamerika, Golfkrieg).

Zum zweiten muß den versuchten Rückgriffen konservativer US/NATO - Kreise auf den Militärinterventionismus oder auf modifizierte Erstschlagskonzepte, was etwa für die Langzeitstrategie "Abgestufte Abschreckung" der Ikle/Wohlstetter Kommisson1) oder die sog. NATO-Modernisierung zutrifft, entschiedener Widerstand entgegengesetzt und bei neuerlichen Interventionsabenteuern Protest mobilisiert werden.

Drittens sollte gegen jegliche Interventionsbeteiligung bzw. -Beihilfen der der Bundesrepublik, ihre Rüstungs- und Atomexportgeschäfte agiert werden. Entschieden zurückweisen müssen Friedens- und Solidaritätsbewegung die von CDU/CSU- Kreisen erstrebte Beteiligung bundesdeutscher Streitkräfte bei NATO-Einsätzen außerhalb von deren Geltungsbereich, vor allem in Nahost und der Golfregion. In diesem Kontext halte ich es auch für völlig treffend, daß die Friedensbewegung die Kampagne für Rüstungsexportstopp, z. B. in Eschborn im November d.J., aktiv unterstützt, und daß sie dabei einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung der BRD-Waffenlieferungen an die Kriegsparteien Irak, Iran (hinzukommen sollte die ganze Golfregion, vorab Saudi-Arabien!) legt. Ein anderer Adressat von höchster weltpolitischer Brisanz wäre das Apartheid-Regime Südafrikas, das gegen Angola, Namibia, Mozambique u.a. afrikanische sog. Frontstaaten sowie gegen das eigene Volk Krieg führt - mit der BRD als Hinterland für Pretorias Rüstungs-, Atomtechnologie- und Industriegüterzufuhr. Aufgrund ihrer besonders skrupellosen Atomexportpolitik hat die BRD, unter Unterlaufung des Atomwaffensperrvertrages, außerdem ein neues Gefahrenmoment mit heraufbeschworen: die Atomwaffenfähigkeit solcher Staaten wie Südafrika, Pakistan, Brasilien oder perspektivisch des Iran. Dies hat zu tun mit der Bonner Ambition, nach 1995 selbst zur Atommacht aufzusteigen. Hier gilt es, seitens der Friedens-, Anti-AKW- und Dritte-Welt-Bewegung, vereinten Widerstand zu organisieren.

Insgesamt geht es darum, daß die Friedensbewegung aktuell wie auf Dauer Druck mitentfaltet, um die gewachsenen Chancen für die Beseitigung zunächst einmal der explosivsten, eskalationsträchtigensten regionalen Kriege bzw. Kriegsherde (=Regionalkonflikte) zu nutzen und die Durchsetzung der Prinzips "Abrüstung für Entwicklung" wie des Selbstbestimmungsrechts der Völker der Dritten Welt aktiv mit voranzutreiben. Die von der Friedensbewegung in ihren Bonner Aufruf vom November 1987 festgeschriebenen "Kampagnen für die Beendigung von Kriegen in der „3. Welt" sollten sich von daher konzentrieren auf die Beendigung der aktuell gefährlichsten regionalen Kriege im Persischen Golf, Mittelamerika, im Südlichen Afrika und in Nahost. Sie könnte damit nur an Wirkung und Glaubwürdigkeit hinzugewinnen.

Anmerkung:

1) DRITTE WELT, Marburg, Nr. 7/1988, S. 10 - 16, Einschätzung und Wortlaut des Entwurfseiner neuen integrierten US-Langzeitstrategie

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Chefredakteur der DRITTE WELT Zeitschrift