Schule, Frieden und Bundeswehr

Friedensbildung (k)ein Thema für junge Leute?

von Wilfried Drews
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Auf die Frage, ob und wie Frieden ein Thema ist, das junge Menschen beschäftigt, gibt es keine schnellen Antworten. Dies zeigt sich in der Praxis der Friedensbildung. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Erwartungen an junge Leute widersprüchlich sind. Einerseits wird von ihnen erwartet, dass sie sich durchsetzen, behaupten und selbstbewusst auftreten. Andererseits sollen junge Menschen sich anpassen und friedlich verhalten. Zudem machen Jugendliche in dieser Gemengelage die Erfahrung, dass ihre Mitsprache und Entscheidungen selten gefragt sind. Mitunter werden ihre Anliegen vereinnahmt oder funktionalisiert. So erleben Kinder und Jugendliche oftmals, dass sie mit ihren Anliegen wenig ernst genommen und ihre Stimmen kaum gehört werden.

Im gesellschaftlichen Raum erleben Jugendliche, dass die Bundeswehr weltweit international im Einsatz ist. Sie realisieren, dass immense Summen für Rüstungsgüter aufgewendet werden, während Gelder in anderen Bereichen fehlen. Dies zeigt sich beispielsweise im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs, in der Altersabsicherung, in der Bildung, im Bereich des bezahlbaren Wohnraums sowie im Bereich der Klimagerechtigkeit. Jugendliche kommen mitunter im Familien- und Freundeskreis oder in der Schule mit Menschen in Kontakt, die von Kriegsauswirkungen und -folgen direkt betroffen sind. Sei es, dass es sich um geflüchtete, asylsuchende oder kriegsverletzte Menschen handelt. Sei es, dass sie in ihrem Umfeld verwundete, posttraumatisierte SoldatInnen erleben. Jugendliche realisieren eine Diskrepanz zwischen einer lokalen, scheinbar mehr oder minder friedlichen Umgebung, in der Konflikte kommunikativ oder juristisch geregelt werden, und einem globalen Horizont, an dem Krisenregionen medial präsentiert werden. Die Propaganda der Kriegsberichterstattung sowie investigativer Journalismus erscheinen gleichzeitig auf der Bildoberfläche sozialer Netzwerke, während es wenig Mittel zu geben scheint, beide auseinanderhalten zu können. Junge Menschen erleben ein Auseinanderdriften zwischen den Erwartungen und den Vorstellungen eines friedlichen Umgangs in einer unfriedlichen Welt und den Bezügen einer realen konflikthaften Welt im Kleinen wie im Großen.

In einer ersten ernsthaften Auseinandersetzung ist das Thema Frieden für viele abstrakt und unnahbar. Dies zeigen Friedensbildungsseminare mit SchülerInnen. Vordergründig scheinen Krieg und Frieden im Alltag von jungen Menschen keine aktuellen Themen zu sein. Dennoch ist die Bundeswehr in Schule präsent. JugendoffizierInnen gehen dort regelmäßig ein und aus. Unklar ist, welchen Bildungsauftrag sie haben. Eindeutig ist, dass die Bundeswehr bei jungen Menschen nicht sehr beliebt ist. Ihr Werbeaufwand zeigt, sie hat ein Nachwuchsproblem. Aufgrund von Kooperationsverträgen mit einer Reihe von Bundesländern hat sie einen sogenannten privilegierten Zugang zur Schule. Dort darf sie informieren aber nicht für sich werben. Auch wenn zwischen Jugend- und Werbeoffizieren unterschieden wird, werfen KritikerInnen der Bundeswehr vor, dass die Grenze zwischen beiden fließend ist.

Besonders problematisch erscheint die Anwerbung von Minderjährigen. Bereits 2014 mahnte der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes bei einer Überprüfung die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland an. Kindernothilfe, UNICEF und andere Organisationen, die sich zum Deutschen Bündnis Kindersoldaten zusammengeschlossen haben, fordern ein Verbot der Rekrutierung von Minderjährigen in Deutschland. Auch die Evangelische Kirche im Rheinland formuliert in ihrem Friedenswort 2018 die Forderung nach einer Aussetzung öffentlicher Werbekampagnen der Bundeswehr, insbesondere wenn es sich um Jugendliche unter 18 Jahren handelt.

Viele KritikerInnen sehen im privilegierten Zugang zu Schulen den Beutelsbacher Konsens verletzt. Laut Beutelsbacher Konsens gilt nach der Kulturministerkonferenz aus dem Jahr 1970, dass das, was gesellschaftlich strittig ist, als Kontroverse im Unterricht und Bildung darzustellen ist. SchülerInnen sollen in die Lage zu versetzt werden, politische Situationen nach eigenen Interessenanlagen zu analysieren und die vorgefundene politische Lage im Sinne eigener Interessen zu beeinflussen. Damit verbunden ist auch das Verbot der Indoktrination (Überrumpelungsverbot). Darüber hinausgehend ist Friedensbildung in den UN-Kinderrechten als ein universales Bildungsziel formuliert. In Artikel 29.1 heißt es, „dass die Bildung des Kindes darauf ausgerichtet sein muss, das Kind auf ein verantwortungsbewusstes Leben in einer freien Gesellschaft im Geist der Verständigung, des Friedens, der Toleranz, der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Freundschaft zwischen allen Völkern und ethnischen, nationalen und religiösen Gruppen sowie zu Ureinwohnern vorzubereiten“. Grund genug, den Darstellungen militärischer Notwendigkeiten Bildungsangebote entgegenzusetzen, die Mittel der Gewaltfreiheit und der zivilen Konfliktbearbeitung präferieren.

Friedensbildung in Nordrhein-Westfalen
In Nordrhein-Westfalen haben sich Pax Christi, DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung, Friedensbildungsakteure der Evangelischen Kirchen in Westfalen und Rheinland sowie deren Jugendorganisationen zum Netzwerk Friedensbildung NRW zusammengeschlossen. Ziel ist es, Friedensbildung in Schulen und Bildungseinrichtungen zu fördern. Die Friedensbildungsorganisationen bieten vielfältige Angebote von Ausstellungen, Workshops, Schulbesuchen, Fachtagungen, Qualifizierungsmaßnahmen bis hin zu mehrtägigen Seminaren an.

Beispielsweise führt das Netzwerk Peacemaker der Evangelischen Jugend im Rheinland friedenspolitische Bildungsprogramme für Schulen am außerschulischen Lernort durch. Eigens dazu hat es am Hackhauser Hof junge Leute im Alter von 18 bis 27 Jahre als FriedensbildnerInnen ausgebildet, die seit 2014 Seminare mit Schulklassen durchführen. Drei bis vier Tage lang begleiten sie junge Leute ab Jahrgangsstufe 10, die sich mit Fragen zu Entstehung, Entwicklung von Krieg und mit Formen ziviler Konfliktbearbeitung auseinandersetzen. Dabei geht es um mehr als um Vermittlung von Wissen. Die Friedensbildung der Evangelischen Jugend im Rheinland präferiert eine eigenständige Auseinandersetzung und Bearbeitung der Thematik. So recherchieren die SchülerInnen zu aktuellen internationalen Konflikten wie Ukraine, Syrien, Palästina/Israel oder Jemen, um Akteure wie Betroffene mit deren Interessen, Bedürfnissen und Machtansprüchen zu identifizieren. Auf dem Programm stehen Zeitzeugenbefragungen und Grundsätze menschlicher Sicherheit im Kontext von Gerechtigkeit und Friedenskultur. Thematisiert werden Möglichkeiten des eigenen friedenspolitischen Engagements. Die Bandbreite erstreckt sich von zivilen Konfliktvermittlungs- und Verhandlungsansätzen wie beispielsweise Mediation bis hin zu Formen sozialer Verteidigung und gewaltfreiem Widerstand. Sicherheits- und Friedenspolitik auf diese Weise zu denken, ist für viele junge Menschen neu ebenso wie die Auseinandersetzung mit deutschen Rüstungsexporten. Ziel ist es, pazifistische Ansätze kennen zu lernen, zu erproben und zu beurteilen. Friedensbildung im außerschulischen Kontext bietet jungen Menschen daher die Möglichkeit, sich gesellschaftlich relevanten Fragen zu stellen, für die es an anderer Stelle wenig Raum gibt.

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Wilfried Drews ist Bildungsreferent an der Evangelische Jugendbildungsstätte Hackhauser Hof e.V. und koordiniert das Netzwerk Peacemaker.