Gedankenskizze für einen gerechten Frieden

Friedensethik vor und nach einem Angriff auf den Irak

von Ulrich Frey
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Gegenwärtig konditioniert die Führung der USA - durch wen und mit welcher Motivation auch immer - die Welt für einen Angriff der USA auf den Irak unter dem grausamen Diktator Saddam Hussein. Optionen für Angriffspläne werden öffentlich, Politiker werben um Unterstützung von US-Absichten, materielle und finanzielle Ressourcen werden für eine ungeheure Kriegsmaschine bereitgestellt. Auch in Europa bereiten sich Regierungen und Politiker auf eine anscheinend unabweisliche Beteiligung vor. Präsident Bush rechtfertigte "präventive Schläge" der USA in einer programmatischen Rede am 2. Juni 2002 vor Absolventen der US-Militärakademie West Point. Er verlangte, "jederzeit bereit zu sein, um ohne Zeitverlust in jeder dunklen Ecke der Welt zuschlagen zu können. Unsere Sicherheit verlangt von allen Amerikanern, resolut nach vorne zu schauen und bereit für präventive Schläge zu sein, wann immer das notwendig ist, um unsere Freiheit und unser Leben zu verteidigen". "Der Krieg gegen den Terror wird nicht in der Defensive gewonnen, wir müssen die Schlacht auf dem Boden der Feinde führen, ihre Pläne vereiteln und den schlimmsten Bedrohungen begegnen, bevor sie auftauchen."

Friedensethisch ist ein präventiver Angriff auf den Irak derzeit nicht zu rechtfertigen, weder nach der überholten Lehre vom gerechten Krieg noch unter dem Gesichtspunkt einer ebenfalls fragwürdigen "ultima ratio" militärischer Gewalt. Dies kann aus Raumgründen nur ohne weitere Begründung festgestellt werden. Zur Rechtfertigung eines "gerechten Krieges" gibt es derzeit, vom Ergebnis her gesehen, keine Gründe. Weder ist ein gerechter Grund (causa iusta) ersichtlich, noch eine legitime bzw. kompetente Autorität (legitima potestas), noch eine richtige Absicht (recta intentio) oder die Angemessenheit der Mittel (debitus modus). Gleichwohl könnte es sein, dass das Muster des gerechten Krieges zur Rechtfertigung herangezogen wird, wie es sechzig US-amerikanische Intellektuelle um den Kreis "American values" schon getan haben: Unter ausdrücklicher Inanspruchnahme der Lehre vom gerechten Krieg unterstützten sie den Präsidenten im Falle bin Laden, indem sie schreiben: "Organized killers with gobal reach now threaten all of us. In the name of universal human morality, and fully conscious of the restrictions and reqirements of a just war, we support our government`s, and our society`s, decision to use force of arms against them." (1) Auch die Voraussetzungen des Einsatzes von militärischer Gewalt nach den Kriterien der "ultima ratio" sind nicht ersichtlich. Die EKD hatte sie im Jahre 1994 so definiert: "Im Maße des Möglichen ist aber sicherzustellen, dass die Anwendung militärischer Gewalt nur als ultima ratio (äußerste Möglichkeit) und nur im unbedingt erforderlichen Umfang erfolgt. Dabei ist der Einsatz militärischer Mittel nur zulässig zur Notwehr, zur Nothilfe und zum Schutz bedrohter Menschen, ihres Lebens, ihrer Freiheit und der Selbstbestimmung ihres Gemeinwesens. Bekämpft und zerstört werden darf allein das militärische Potential der Gegner. Wird zu diesem Ziel militärische Gewalt angewendet, dann ist zu gewährleisten, dass solches Eingreifen im Rahmen und nach den Regeln der Vereinen Nationen getroffen wird, die Politik im Rahmen des Schutzes oder der Wiederherstellung einer rechtlich verfassten Friedensordnung über klar angebbare Ziele einer Intervention verfügt, die an den Zielen gemessenen Erfolgsaussichten realistisch veranschlagt werden, von Anfang an bedacht wird, wie eine solche Intervention beendet werden kann."

Friedensethisch wäre ein Krieg gegen den Irak ein historischer Rückschritt nach den mühsamen konstruktiven Bemühungen seit der Katastrophe des 2. Weltkrieges. (Diese liegt vielleicht schon zu lange zurück.) Unübersehbare politische und ökonomische Folgen wären in Folge eines Krieges gegen den Irak weltweit zu befürchten, auch für Europa. Krieg gegen den Irak wäre - friedensethisch bewertet - ein Rückfall in das freie Kriegsführungsrecht (liberum ius ad bellum) von souveränen Nationalstaaten gegen die Charta der Vereinten Nationen, die in Art. 2 Absatz 3 fordert: "Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden."

Deshalb ist es eine öffentliche Aufgabe von gesellschaftlichen Gruppen und staatlichen Institutionen und Einrichtungen, dem zerstörerischen Sog solcher Politik entgegenzuwirken. Alle beide sollten Kriegsabsichten deutlich widersprechen und eine andere Politik in Gang setzen. Protest reicht alleine nicht aus, besonders kein personalisierter in Richtung der Person des gegenwärtigen Präsidenten der USA. Notwendig ist eine normativ begründete Alternative mit aufgefächerten politischen Handlungsmöglichkeiten. Dazu will diese Gedankenskizze in der friedensethischen Perspektive eines "gerechten Friedens" beitragen, der nicht mehr an Kriterien des "gerechten Kriegs" orientiert ist.
 

Eine "Lehre vom gerechten Frieden" in Abkehr von der Lehre vom "gerechten Krieg" wurde zuerst von den christlichen Kirchen in der DDR bei der Ökumenischen Versammlung 1988 Dresden - Magdeburg - Dresden angemahnt. Nachdem sowohl die Deutsche Bischofskonferenz (2) als auch die EKD3 dieses Leitbild vertreten, hat es einen hohen Grad von Konsens erreicht. Noch ist es aber zu wenig ausgeführt, um öffentliche Willensbildung und politisches Handeln anzuleiten. Die Irak-Krise verstärkt die Notwendigkeit, darüber nachzudenken, was ein "gerechter Friede" sein könnte, wie er zustande kommt und wie er erhalten werden kann. Folgende normativen und friedenspolitischen Fixpunkte sind auswahlweise denkbar. Sie mögen altbekannt sein, erweisen sich aber im konkreten Falle als bitter notwendig:

Sowohl grundsätzliche als auch nicht grundsätzliche Pazifisten können zu dem Ziel zusammenwirken, die Öffentlichkeit von der Fehlerhaftigkeit eines Krieges oder anderer nicht zu rechtfertigender Gewalt zu überzeugen, beide da, wo sie Einfluss haben. Unterschiede in der begründenden Argumentation sollten dazu dienen, die Überzeugungskraft zu optimieren.

Auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen ist Krieg wegen des allgemeinen Gewaltverbotes des Artikels Art. 2 (3) keine Alternative staatlichen Handelns mehr. Allerdings haben die UN kein dem Gewaltverbot entsprechendes Gewaltmonopol zur Durchsetzung der Charta. Deshalb ist in Richtung eines völkerrechtlich geregelten übernationalen Gewaltmonopols zu arbeiten, das Nationalstaaten Schranken setzt. Zu prüfen bleibt, unter welchen Voraussetzungen ein übernationales Gewaltmonopol nach strikt polizeilichen Gesichtspunkten eingegrenzt werden kann.

Um Gewalt als Mittel staatlicher Außenpolitik zugunsten von gewaltfreien und gewaltarmen Mitteln politisch und gesellschaftlich abzubauen, bedarf es bahnbrechender Entscheidungen zum Aufbau von Strukturen zur friedlichen Streitbeilegung und der Förderung von ziviler Konfliktbearbeitung. Gegenwärtig haben - über Jahrhunderte tradiert - immer noch gewaltorientierte Methoden und Instrumente die Oberhand. Wir sind gegenwärtig erst am Beginn dieser Aufholjagd, können aber schon auf erste Erfolge verweisen. Früher unhinterfragte Überzeugungen, nur Gewalt hülfe gegen Gewalt, werden nach negativen Erfahrungen u.a. im Nahen Osten in Zweifel gezogen. Demokratie und Menschenrechte gewinnen immer stärkere institutionelle Bedeutung z.B. in der internationalen Zusammenarbeit (Stichwort: good governance) als Maßstab und Mittel positiver Sanktionen.

Förderung von weltweiter Gerechtigkeit zur Sicherung der Lebensgrundlagen. Mit dem Begriff der "menschlichen Entwicklung" hat UNDP dazu eine zutreffende Zielbestimmung gefunden. Danach ist die menschliche Entwicklung "ein(en) Prozess, der die Wahlmöglichkeiten der Menschen erweitert". Dazu gehören wesentlich ein langes und gesundes Leben, Wissen erwerben und Zugang zu den Mitteln für einen angemessenen Lebensstandard. Zusätzlich geforderte Gestaltungsmöglichkeiten sind die "politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit über kreative und produktive Betätigung bis hin zu einem Leben in persönlichem Selbstrespekt und unter dem Schutz garantierter Menschenrechte." (4)

Weil Sprache Inhalte transportiert und damit ein Mittel in der politischen Auseinandersetzung ist, muss man sich klar darüber werden, was unter Begriffen wie Krieg und Terrorismus zu verstehen ist, die gegenwärtig die Öffentlichkeit verwirren und zur Irreleitung genutzt werden. Krieg im überkommenen völkerrechtlichen Verständnis ist von der immer stärker auftretenden entgrenzten und privatisierten Gewalt zu unterscheiden. Auch Terrorismus ist nicht mit Krieg gleichzusetzen, was aber z.B. die US-Administration tut. Unsauberes Denken führt zu Gewalteinsätzen, wo differenziertes Handeln angebracht wäre.

Das Verständnis von Sicherheit ist in dem neuen Strategischen Konzept der NATO vom April 1999 erheblich ausgeweitet worden: "Im Fall eines bewaffneten Angriffs auf das Gebiet der Bündnispartner, aus welcher Richtung auch immer, finden Artikel 5 und 6 des Vertrages von Washington Anwendung. Die Sicherheit des Bündnisses muss jedoch auch den globalen Kontext berücksichtigen. Sicherheitsinteressen des Bündnisses können von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen. Die unkontrollierte Bewegung einer großen Zahl von Menschen, insbesondere als Folge bewaffneter Konflikte, kann ebenfalls Probleme für die Sicherheit und Stabilität des Bündnisses aufwerfen" (Ziffer 24). Die kolportierte Absicht der USA, bei der NATO-Tagung in Prag im November 2002 die Unterstützung präventiver Kriege zu verlangen, zeigt die Gefährlichkeit dieses weiten Verständnisses von Sicherheit. Anregungen zur Weiterarbeit liefert aus staatlicher Perspektive die Definition von Sicherheit im Gesamtkonzept der rot-grünen Bundesregierung vom 7.4.2000 "Krisenprävention und Konfliktbeilegung". Danach umfasst Sicherheit "die politische, ökonomische, ökologische und soziale Stabilität. Grundlage dafür sind die Achtung der Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, partizipatorische Entscheidungsfindung, Bewahrung natürlicher Ressourcen, Entwicklungschancen in allen Weltregionen und die Nutzung friedlicher Konfliktlösungsmechanismen".

Weil Gerechtigkeit und Frieden auch immer von der Gewährleistung von Recht abhängen, sind alle innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Bemühungen zur Stärkung von Institutionen des Rechts zu unterstützen, so z.B. das Funktionieren des neuen Internationalen Strafgerichtshofes. Dieser ist ein Lichtblick für die gesamte Menschheit, die angesichts des vielen ungesühnten Unrechts auf etwas mehr Gerechtigkeit hofft.

Aus alledem ergibt sich für den Fall eines möglichen Krieges gegen den Irak:
 

  •  Keine Unterstützung für Absichten, Ressourcen (Öl!) ohne Rechtstitel durch militärische Gewalt zu sichern,
     
  •  keine Bereitstellung von Soldaten oder Geld,
     
  •  kein Einsatz von Fuchs-Spürpanzern,
     
  •  keine Überflugrechte.

 

Anmerkungen:
1 Vgl. Dokumentation in der Frankfurter Rundschau vom 14.2.2002, www.americanvalues.org
 

2 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), "Gerechter Friede", 27.9.2000
 

3 Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Schritte auf dem Weg des Friedens, Orientierungspunkte für Friedensethik und Friedenspolitik, Ein Beitrag der Evangelischen Kirche in Deutschland, 3. um eine Aktualisierung ergänzte Auflage, 2001
 

4 UNDP, Bericht über die menschliche Entwicklung 1995, S. 13

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Krisen und Kriege
Ulrich Frey ist Mitglied im SprecherInnenrat der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung.