Friedensnetzwerke - ein Konzept für die internationale Friedensarbeit

von Barbara Müller
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Friedensarbeit der 90er Jahre im Umbruch
Die Friedensarbeit in der Bundesrepublik hat sich seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes dramatischen Veränderungen gegenübergesehen. Der Golfkrieg, der Krieg im ehemaligen Jugoslawien, die Debatteum Militäreinsätze zu humanitären Zwecken und die zunehmende Gewalt gegen AusländerInnen forderten binnen weniger Jahre Antworten, denen sich die Friedensbewegung stellte. Die Antworten waren meist praktischer und konkreter Art, wie Hilfe für Flüchtlinge sowohl in der Bundesrepublik als auch in Flüchtlingslagern. In der Bundesrepublik gab es Massenaktionen gegen die Kriegsbeteiligung am Golf, später gegen die Aushöhlung des Asylrechts. Die Initiative für einen "Zivilen Friedensdienst" versuchte eine konzeptionelle Antwort für die Herausforderung zu entwickeln, sich gegenüber Krieg und Krisen im Ausland mit friedfertigen Mitteln zu verhalten.

In allen diesen Bereichen haben die AktivistInnen in den letzten Jahren mit großem Einsatz praktische Erfahrungen gesammelt: Friedensorganisationen sind zu Projektträgern von Auslandseinsätzen von Freiwilligen geworden, haben Beziehungen zu Friedensgruppen im ehemaligen Jugoslawien aufgebaut, haben es geschafft, Tausenden von Flüchtlingen ein Obdach zu verschaffen und engagieren sich nun in Versöhnungsarbeit oder bei der Aufarbeitung der Kriegsfolgen. Das Engagement erstreckt sich inzwischen über Jahre und fordert einen anhaltenden hohen Einsatz.

Ein Konzept, das zur Effizienzsteigerung der Friedensarbeit dienen soll, soll nun vorgestellt werden. "Peace Constituencies" heißt der Begriff, um den es geht und der zunächst in seiner Geschichte dargestellt werden soll.

Der Begriffder "Peace Constituency", was soviel heißt wie "Friedensnetzwerke", stammt von John Paul Lederach, der als Praktiker und Analytiker von Friedensprozessen mit der Materie vertraut ist. Seine Vorstellung von einer positiven Veränderung von Konfliktkonstellationen beschreibt er mit dem Begriff "Peacebuilding" ("Friedensschaffen"), was viel mehr umfasst als Versöhnungs- und Wiederaufbauarbeit nach dem Ende eines Krieges. Gemeint ist die langfristige Umwandlung eines Kriegssystems, das durch tief getrennte, feindliche und gewaltsame Beziehungen gekennzeichnet ist, in ein Friedenssystem, das gerechte und wechselseitige Beziehungen aufweist. Diese Beziehungen ermöglichen es, Konflikte mit gewaltlosen Mechanismen auszutragen. Um dahin zu kommen, braucht es eine "Infrastruktur". Diese besteht aus Netzen von Personen, aus ihren Beziehungen und Aktivitäten und aus sozialen Mechanismen, die dem gewünschten Wandel Dauerhaftigkeit verleihen. Das sind eine Reihe von konkreten Voraussetzungen, zu denen noch eine weitere kommt: Diese Infrastruktur muss durch den Konflikt selber begründet sein und sich kreativ aus der Kultur und aus dem Kontext entwickeln.

Ein Beispiel zur Konkretisierung: die Friedenskommission in Nicaragua
All diese Überlegungen sind ziemlich abstrakt und gewinnen Kontur durch ein Beispiel, das Lederach aus dem Konflikt in Nicaragua beschreibt. Er war dort in den 80ern externes Mitglied einer Gruppe von einheimischen Kirchenleuten, die im Konflikt zwischen der Sandinistischen Regierung und Widerstandsgruppen an der Ostküste vermitteln sollte. Die Kirchenleute folgten in ihrem Zugang zum Konflikt dem Muster, das in Zentralamerika alltäglich vorzufinden war, und das sich an Vertrauen, Verbundensein mit einer Gemeinschaft und einem bestimmten Gespür für den richtigen Zeitpunkt orientierte. Die Zusammensetzung der Gruppe spiegelte diese Grundlinie wider, indem sie aus Nicaraguensern bestand, die hauptsächlich von der Ostküste kamen und damit direkt aus der vom Konflikt betroffenen Region. Sie besaßen langjährige Beziehungen zu den Schlüsselfiguren des Widerstands und zu Regierungsmitgliedern. Als Individuen waren sie dahermehr der einen oder der anderen Seite verbunden, als Gruppe konnten sie eine Balance herstellen, die den Führungsfiguren beider Seiten Glaubwürdigkeit und Sicherheit signalisierte. Ihre Beziehungen zu den am Konflikt beteiligten Personen waren umfassender als ihre Vermittlungsrolle, und sie waren vor, während und nach dem Konflikt weiter in dem Beziehungsnetz der Akteure. Für die Vermittlungsgruppe kam es nun darauf an, den Gesprächsprozess zwischen den Konfliktparteien und die Suche nach Lösungsmöglichkeiten durch Initiativen zum richtigen Zeitpunkt in Gang zu halten und hierfür ständig die Situation neu einzuschätzen. Dies erforderte Langfristigkeit und Verlässlichkeit des Engagements. Es bedeutete, ständig an den Türen wieder anzuklopfen und evtl. einen abgelehnten Vorschlag zu einem besseren Zeitpunkt erneut vorzutragen.

Die Gruppe der Kirchenleute war auf der nationalen Ebene angesiedelt, arbeitete aber tatsächlich vor Ort, weit weg von der Zentrale mit lokalen Friedenskommissionen, dann wieder bei der Leitung von Gesprächen auf der Topebene oder in der Region, um Schlüsselpersonen über die Grenze zu helfen. Sie waren gleichzeitig permanent im Kontakt mit internationalen Agenturen wie den Kirchen, NGOs, den Vereinten Nationen und Geldgebern.

Die Rolle von Außenseitern
Außenseiter spielen eine eminent wichtige Rolle in der Stützung und Stärkung dieser "Friedensnetzwerke" und sie können helfen, einen Raum zu schaffen, in dem sich der Prozess der internen Konfliktbearbeitung formiert und Lösungswege entwickeln. Raum schaffen, Verbindungen herstellen, und die Kapazität der internen Ressourcen zur Bildung von "Friedensnetzwerken" fördern, das sieht Lederach als die Hauptaufgaben von Auswärtigen in diesem Prozess an.

In Deutschland gab es ein "Gorleben-Peace-Team", das die Auseinandersetzungen um den Castor-Transport im Wendland beobachtete und international zusammengesetzt war. Es ist ein Beispiel dafür, dass nicht nur in "anderen" Gesellschaften ein "auswärtiger" Blick auf Konflikte hilfreich sein kann, sondern auch in unserer eigenen.

Bislang haben sich Friedensorganisationen bei der Planung ihrer Intervention in ihrer eigenen oder in der ihr nahestehenden Umgebung bewegt. Die Idee von "Friedensnetzwerken" als aktiven Netzwerken auf den verschiedenen Ebenen einer Gesellschaft, könnte den Horizont der Arbeit verbreitern, indem folgende Fragen gestelltwürden:

- Welche Fähigkeiten und welche Funktionen haben die Organisationen, mit denen wir verbunden sind, innerhalb einer solchen Infrastruktur? Was können wir dafür tun, um diese Fähigkeiten zu stärken? Welche Rolle könnten sie innerhalb von Friedensnetzwerken spielen?

- Welche weiteren Akteure sind dort von Bedeutung, und durch welche Akteure bei uns könnten sie für eine Beteiligung in "Friedensnetzwerken" aktiviert werden? Welche Akteure bei uns könnten mit dortigen Akteuren in Verbindung gebracht werden?

Auf den ersten Blick bietet die Idee von "Friedensnetzwerken", die als aktive Netze auf eine Mobilisierung für eine konstruktive Konfliktbearbeitung hinwirken, zahlreiche Anknüpfungs- und Verbindungspunkte.

Friedensnetzwerke in Deutschland
Nicht zuletzt ist die Idee auch für die Konfliktbearbeitung im eigenen Land anregend. Wie würden hier "Friedensnetzwerke" aussehen? Welche gesellschaftlichen Kreise wären für welche Konfliktkonstellationen unabdingbare Mitglieder solcher Netze? Wie wären sie zu gewinnen? Und wie ist ein frühzeitiges Aktiv-Werden zu erreichen? Wenn es um die eigene Gesellschaft und ihre Verkrustungen und Fragmentierungen geht, wird die Herausforderung umso deutlicher, die in der Vernetzung und Aktivierung unterschiedlichster und bislang unverbundener, aber strategisch wichtiger Gruppen liegt.

Die in den 90er Jahren neu entwickelte Praxis der Friedensbewegung mit ihren Auslandsaktivitäten spricht also dafür, sich genauer mit den Prozessen von interner Konfliktbearbeitung zu befassen, an denen die Partner teilhaben.

Inwieweit hier die Idee von "Friedensnetzwerken" fruchtbar ist, wird sich erst dadurch herausstellen, wie sie geeignet ist, Fragen zu stellen und ein Verständnis für Strukturen und Prozesse zu schaffen, die in die beschriebene Richtung gehen. Und hier erscheint die Idee, tatsächlich in der Lage, konkrete Fragen nach Schlüsselakteuren und Schlüsselbereichen zuzulassen und dem Handeln eine konkrete Richtung und Orientierung zu geben.

Fällig wäre eine Überprüfung der Idee der "Friedensnetzwerke" durch PraktikerInnen mit eigener Erfahrung. Dies anzuregen, war die Absicht dieses Beitrages.

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Barbara Müller ist Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung, Mitarbeiterin im Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung und Mitglied des Initiativkreises der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung