Aufgaben und Themenfelder

Friedenspädagogik 2013 - Tübinger Rück- und Ausblicke

von Uli Jäger

„Stärkung der Friedenspädagogik durch Neustrukturierung“ – Mit dieser Meldung machte das ehemalige Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. (ift) Anfang 2012 auf die erfolgte Integration in die Berghof Foundation aufmerksam. Über 35 Jahre arbeitete das ift bereits mit der Stiftung zusammen. Die über Jahrzehnte hinweg Schritt für Schritt aufgebauten Tätigkeitsbereiche konnten sich nur durch die kontinuierliche Unterstützung der ehemaligen Berghof Stiftung für Konfliktforschung so positiv entwickeln. Dies ist eine der Erkenntnisse aus langjähriger friedenspädagogischer Arbeit: Trotz zahlreicher und vielfältiger Projektförderung durch Ministerien, Kirchen, Gewerkschaften, Stiftungen oder Nichtregierungsorganisationen, trotz der Beiträge der über 200 Mitglieder und trotz der ideellen Unterstützung einer wachsenden Community bedurfte es einer privaten Stiftung, um der Friedenspädagogik in Deutschland Rückhalt, Verlässlichkeit und einen Ort zu geben. Einer der Umkehrschlüsse lautet: In den zurückliegenden Jahrzehnten war es nicht möglich, mit öffentlichen Mitteln eine Infrastruktur für Friedenserziehung zu etablieren. Vielleicht liegt ein Hauptgrund in der stets kritischen Distanz zu allen Versuchen, Frieden bzw. die Wege zum Frieden „von oben“ zu verordnen.  

Dokumentiert in vielen Veröffentlichungen hat sich ein „Tübinger Verständnis“ von Friedenspädagogik entwickelt. Friedenspädagogik sucht demnach Antworten auf die anhaltende Gewaltbereitschaft und Friedlosigkeit in und zwischen den Gesellschaften bzw. Staaten dieser Erde und leistet auf der Grundlage eines differenzierten Friedensbegriffes einen pädagogisch orientierten Beitrag zur Etablierung von Kulturen des Friedens. Sie zielt auf die weltweite Ächtung von Krieg, leistet einen Beitrag zur Reduzierung von individueller, sozialer und politischer Gewalt, hilft, mit Konflikten konstruktiv umzugehen, unterstützt die Entwicklung von Vorstellungen wie Menschen friedlich miteinander leben können und fördert die Identität von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften als FriedensstifterInnen.

Friedenspädagogik berücksichtigt die Erkenntnisse und Ergebnisse der Friedenswissenschaften und möglichst auch anderer relevanter Disziplinen wie der Resilienzforschung, Neurobiologie oder der Medienwissenschaft bei der Entwicklung eigenständiger Theorieansätze und der Ausgestaltung der Praxisfelder. Friedenspädagogik ignoriert nicht die destruktiven menschlichen Potenziale, aber weiß im Einklang mit der Wissenschaft um die Kooperations-, Empathie- und Lernfähigkeit des Menschen und setzt auf deren Kraft in Bezug auf die Möglichkeit der verändernden Einwirkung auf unüberbrückbar erscheinende Interessengegensätze und gewaltfördernde Machtverhältnisse, Traditionen und Strukturen.

Friedenspädagogik bezieht sich auf friedensfördernde Werte wie Gewaltlosigkeit und Menschenrechte, verfolgt gleichzeitig partizipative, offene Lernprozesse, bietet Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit moralischen Dilemmata bezüglich der Anwendung von (militärischer) Gewalt an und unterstützt die Suche nach eigenen Standpunkten und nach Handlungsoptionen für aktive Gewaltlosigkeit.

Themen und Entwicklung
Noch gibt es keine umfassende friedenswissenschaftliche Darstellung der Geschichte der Friedenspädagogik im Nachkriegsdeutschland. Manche Betrachtungen orientieren sich an unterschiedlichen historischen Phasen, andere stellen eher die Auseinandersetzung mit Themen in den Vordergrund, mit denen sich Friedenspädagogik bis heute beschäftigt. Übergreifend kann festgestellt werden, dass die sich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges entfaltende Praxeologie der Friedenspädagogik immer in einer engen Beziehung entweder zu weltpolitischen Konstellationen und Umbrüchen oder zu innergesellschaftlichen Herausforderungen steht. Während für die internationale Ebene Stichworte wie Kalter Krieg, das atomare Wettrüsten oder ethnopolitische Kriege nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes einen Bezugsrahmen für friedenspädagogische Ansätze bilden, haben auf der anderen Seite Themen wie Rüstungs- und Militärkritik, Fremdenfeindlichkeit oder Gewaltdarstellungen in den Medien immer in einem hohen Maße die friedenspädagogische Agenda bestimmt. Die stete Berücksichtigung beider Ebenen ist eine wesentliche Konstante der Friedenspädagogik. Die daraus resultierende Vielfalt der Themen und Ansätze steht für die Breite der Disziplin und kann einerseits als Stärke begriffen werden, andererseits ergeben sich daraus große Herausforderungen bei der Suche nach einem eindeutigen (fachwissenschaftlichen) Profil.

So hat sich Friedenspädagogik immer mit zentralen Fragen des menschlichen Zusammenlebens beschäftigt, wenn auch eher in einem Nischendasein. Denn bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg konnte sich Friedenserziehung nicht als das leitende Motiv für die von den Alliierten betriebene Reducation durchsetzen. Zu früh hat der Kalte Krieg mit seiner neuerlichen Feindbildproduktion das Denken und Handeln der (politisch und gesellschaftlich) Verantwortlichen bestimmt. Die immer wieder geforderte formale Etablierung von Friedenserziehung in der Schule konnte ebenfalls nicht erreicht werden.

So waren es neben engagierten LehrerInnen vor allem Jugendverbände und Friedensorganisationen, welche frühzeitig die Impulse der Friedenspädagogik bezüglich einer Erziehung zur Völkerverständigung oder zum Umgang mit individuellen und gesellschaftlichen Gewaltpotenzialen aufgriffen. Die parallele Ansprache von schulischem und außerschulischem Bildungsbereich ist eine weitere Konstante der Friedenspädagogik. In den siebziger Jahren fand eine starke Politisierung der Friedenserziehung statt, geprägt durch Lernerfahrungen der Friedensbewegung und durch Einflüsse durch die Friedensforschung. Daraus resultierte die ebenfalls bis heute gültige Konstante, dass Frieden nicht durch Bewusstseinsveränderung allein hergestellt werden kann, sondern durch gezieltes politisches, die Gewaltstrukturen der Gesellschaft und des internationalen Systems verringerndes Handeln ergänzt werden muss.

In Zusammenwirken mit der Friedens- und Konfliktforschung wurden komplexe Sachverhalte didaktisch und methodisch so aufbereitet, dass sich Lernräume und -möglichkeiten für unterschiedliche Zielgruppen eröffneten. Die Konzeption solcher Lernräume und –arrangements einschließlich der dazu erforderlichen Lernmedien hat sich als „Tübinger Ansatz“ zwischenzeitlich nicht nur bundesweit etabliert, sondern ist auch in vielen Konflikt- und Kriegsregionen weltweit gefragt.

Als besonders prominent hat sich der Lernort Schule als Aufgabenfeld für die Friedenspädagogik herauskristallisiert, und bis heute erhalten. So hat der jüngst im hohen Alter verstorbene Herman Röhrs (er lehrte an der Universität Heidelberg und gilt als einer der „Väter“ der Friedenspädagogik) bereits zu Beginn der achtziger Jahre praxisorientierte, aber grundlegende konzeptionelle Überlegungen zum Thema „Friedenserziehung und Schule“ vorgelegt. Gleichwohl zeigte sich am Lernort Schule exemplarisch, wie sich Friedenspädagogik häufig in Opposition zu staatlichen Institutionen und Vorgaben wiederfand. So konnten sich die Kultusminister der Länder bis heute nicht auf ein einheitliches Konzept für Friedenserziehung an Schulen einigen.

Friedenspädagogik in der Berghof Foundation
„Creating Space for Conflict Transformation“ – So lautet das Leitmotiv der Berghof Foundation. Hier findet sich „Tübinger“ Friedenspädagogik konzeptionell wieder. Wer Frieden schaffen will und wer zum Friedensengagement ermutigen möchte, muss sich mit Konflikten konstruktiv auseinandersetzen und Räume schaffen, in denen Frieden gemeinsam gelernt werden kann. Die kommenden Jahre werden zeigen, was von der Berghof Foundation friedenspädagogisch zu erwarten ist. Das Georg-Zundel Haus als Ort der Friedenspädagogik in Tübingen bleibt erhalten, ebenso das nun bei der Berghof Foundation angestellte Team. Und es gibt einen Förderverein. Seine Aufgabe ist es, den Bereich Friedenspädagogik im Rahmen der Berghof Foundation mit Ideen und Initiativen öffentlichkeitswirksam zu unterstützen. Die bisherigen Arbeitsbereiche und Informationsangebote werden im Wesentlichen fortgeführt bzw. erweitert, sei es Peace Counts oder Globales Lernen, Gewaltprävention oder die „Friedensbildung“ in Schulen. Letztere Diskussion muss genutzt werden für einen Schritt nach vorne. Es geht um nicht weniger als um die Frage, wie sich die SchülerInnengeneration von heute auf die friedenspolitischen Herausforderungen von morgen vorbereiten kann – im Sinne einer Friedenslogik oder ob sie Sicherheits- und Militärlogik ohne Reflexionsmöglichkeiten mit nach Hause nehmen und in ihre Zukunftsvorstellungen integrieren.

Synergieeffekte wird es geben: Der Erfahrungsschatz bezüglich friedensorientierter Forschungsansätze (z.B. der Aktionsforschung) und der internationalen Friedensförderung ist groß. „Reflectice Learning“ ist das Ziel eines der neuen Programmbereiche und beinhaltet das systematische Lernen innerhalb der Organisation und gemeinsam mit den vielen Partnern im In- und Ausland. 

Mehr als in den Jahren zuvor wird es darum gehen, in englischer Sprache geführte Diskussionen in den deutschsprachigen Diskurs zurückzukoppeln und umgekehrt. Die Veröffentlichung des neuen „Berghof Glossars zur Konfliktbearbeitung“ in deutscher und englischer Sprache ist ein erster wegweisender Schritt in diese Richtung. Gleichzeitig wird zum Beispiel daran gearbeitet, das im deutschsprachigen Raum zwischenzeitlich erprobte  Internetangebot für Kinder (www.frieden-fragen.de) für den englischsprachigen Raum zu öffnen. Die Schaffung von Räumen für Dialoge sind notwendig, um langjährige Erfahrungen im deutschen Kontext für die internationale Diskussion und vor allem für die Arbeit in Konflikt- und Kriegsregionen fruchtbar machen zu können. Die drängenden Fragen von Projektpartnern sind nicht zu überhören. Sie wünschen sich die Lessons Learned aus Kaltem Krieg, Ost-West-Konflikt und der Überwindung eines autoritären Systems in verständlicher Sprache für das gegenseitige Lernen. Im Kontext der aktuellen Debatten um die Möglichkeiten der Friedensförderung in Postkonfliktgesellschaften und der diesbezüglichen Rolle von Bildung steigt auch in der Entwicklungszusammenarbeit das Interesse an der Geschichte der Friedenspädagogik in Deutschland. Und konkret: Für das Jahr 2013 sind Projekte in Deutschland, Jordanien, Indien und im Kaukasus geplant.

Die Aufgaben sind enorm, aber faszinierend. Auch und gerade weil Bescheidenheit und Akzeptanz der eigenen Grenzen lange Jahre gute Ratgeber Tübinger Friedenspädagogik waren. Gewöhnen muss sich die deutschsprachige Community allerdings an die Bezeichnung „Berghof Foundation / Friedenspädagogik Tübingen“. Sie ist nicht nur zweisprachig, sondern auch sperrig. Typisch friedenspädagogisch.

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Uli Jäger, von 1986 bis 2011 Ko-Leiter des Instituts für Friedenspädagogik Tübingen e.V.; seit 2012 Director of Peace Education bei der Berghof Foundation/ Friedenspädagogik Tübingen.