Article VI Forum in Berlin

Für eine atomwaffenfreie Welt

von Xanthe Hall
Initiativen
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Artikel VI ist für die Menschen, die für die Abschaffung der Atomwaffen arbeiten, ein Schlüsselbegriff. Das ist nämlich der Abrüstungsartikel im Atomwaffensperrvertrag. Laut diesem Artikel haben sich alle „offiziellen“ Atomwaffenstaaten 1970 verpflichtet, das Wettrüsten zu beenden und ihre Atomwaffenarsenale komplett abzuschaffen. Obwohl dies in dem Artikel nicht ausdrücklich so formuliert wird, hat der Internationale Gerichtshof 1996 einstimmig befunden: „Es besteht eine völkerrechtliche Verpflichtung, in redlicher Absicht Verhandlungen zu führen und zum Abschluss zu bringen, die zu nuklearer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und wirksamer internationaler Kontrolle führen.[i]“

Im Artikel VI steht jedoch nicht, in welchem Zeitraum die Abrüstung stattfinden sollte. Der Atomwaffensperrvertrag war zunächst nur für 25 Jahre gültig und musste 1995 unbefristet verlängert werden, was impliziert, dass die Vertragsparteien ursprünglich wohl davon ausgingen, dass der Vertrag binnen 25 Jahren hätte erfüllt werden können. Fast 40 Jahre nach dem Inkrafttreten dieses Vertrages könnte der Weg zur vollständigen atomaren Abrüstung mit dem Article VI Forum in Berlin nun doch näher gekommen sein.

Das Forum wird von einem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen (NROs) mit dem Namen „Middle Powers Initiative“ (MPI[ii]) veranstaltet, der auch die IPPNW angehört. Das Forum in Berlin am 29. und 30. Januar 2009 war das sechste in einer Reihe seit dem Scheitern der Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Jahr 2005. Weitere Foren hatten bereits in New York, Den Haag, Ottawa, Wien und Dublin stattgefunden. Alle Foren, außer dem ersten, wurden von den Regierungen des jeweiligen Gastlandes mitveranstaltet. Auch das Berliner Forum wurde vom Auswärtigen Amt mitfinanziert. Zweck der Foren ist es, RegierungsvertreterInnen – meistens Abrüstungsbotschafter, manchmal Abgeordnete oder Minister – mit ExpertInnen und NROs zusammen zu bringen und informell über die rechtlichen, technischen und politischen Vorbedingungen einer atomwaffenfreien Welt zu diskutieren.

Über die letzten vier Jahre ist ein Forum entstanden, in dem sich ExpertInnen in einer entspannten und freundlichen Atmosphäre informell austauschen konnten.

Dies wurde hauptsächlich dadurch ermöglicht, dass die Atomwaffenstaaten nicht mit eingeladen wurden. Nur mittelmächtige Staaten (middle powers), die als „ähnlich denkend“ gelten (like-minded states), waren willkommen. Die Idee dahinter war, eine Strategie für die nächste Überprüfungskonferenz unter der Leitung von MPI auszuarbeiten, um die Abrüstungsagenda weiter voranzubringen und ein wiederholtes Scheitern der Konferenz zu verhindern.

Logik der Nulllösung
Bei der öffentlichen Veranstaltung am Vorabend in der Jerusalemkirche stellte Jan Lodal, ehemaliger Präsident des US Atlantic Council und langjähriger Sicherheitsberater der Republikaner, die „Logik der Nulllösung“ (Logic of Zero[iii]) vor. Diese Vision wird in den USA als Obamas Blaupause für die Abrüstung verstanden, nicht zuletzt weil der Co-Autor, Ivo Daalder, als nächster NATO-Botschafter der USA nominiert wurde[iv].

Lodal propagierte die Auffassung, dass alle Gespräche über Reduzierungen im Kontext der Abschaffung aller Atomwaffen stattfinden sollten. Ausgangspunkt sollte das Ziel „Null Atomwaffen“ sein. Darüber hinaus wäre es erst einmal wichtig, dass die USA und Russland dieses öffentlich erklären würden. Dann könnte man mit der Arbeit beginnen. Sein Vorschlag: zuerst die bisherige Doktrin zurück nehmen. Atomwaffen sollten – solange sie noch bestehen – nur der atomaren Abschreckung dienen, und zwar nur um den Einsatz von Atomwaffen zu verhindern (und nicht andere Massenvernichtungswaffen). Damit käme man von der unsäglichen Doktrin des „präventiven“ Einsatzes weg. In einem zweiten Schritt sollten die US-amerikanischen und russischen Atomwaffen auf jeweils 1.000 Sprengköpfe reduziert werden. Als diese Zahl bei der Diskussion in Frage gestellt wurde, antwortete Lodal, dass dies momentan einfach ein realistisches Ziel sei, eine Zahl von 50 oder 100 Atomwaffen bereite zu viele Probleme. Besser sei es, schnell das Ziel zu erreichen, das jetzt erreichbar ist.

Nuklearwaffenkonvention
Henrik Salander, der neue Vorsitzende der Middle Powers Initiative, plädierte ebenfalls für realistische kleine Schritte, allerdings sollten sie in einen größeren Rahmen eingebettet sein. Als Rahmen nannte er die Nuklearwaffenkonvention (NWC). MPI hat die Forderung nach einer NWC höher auf ihre Agenda gesetzt, seitdem UN-Generalsekretär Ban-Ki Moon im letzten Oktober die NWC als möglichen Weg zu einer atomwaffenfreien Welt vorgeschlagen hat.

Daher widmete das Article VI Forum dem Thema NWC ein ganzes Plenum, in dem der Präsident des Global Security Institute, Jonathan Granoff, auf den 5-Punkte-Plan des UN-Generalsekretärs für umfassende Nichtverbreitung und Abrüstung hinwies. Eine solche Konvention würde sowohl den Artikel VI des NVV, als auch die oben genannten vom Internationalen Gerichtshof genannten Verpflichtungen erfüllen.

Den Modellentwurf einer Nuklearwaffenkonvention (MNWC) stellte Kernphysiker Dr. Jürgen Scheffran von INESAP vor. Er zeigte, dass der Weg zur Spitze des „Abrüstungsberges“ nicht nur Schritte beinhaltet, sondern auch umfassende Vorgehensweisen. Die Abschaffung der Atomwaffen solle in fünf Phasen erfolgen, angefangen mit der Senkung der Alarmstufen und der Schließung von Anlagen zur Forschung und Herstellung von Atomwaffen bis hin zur Zerstörung aller Atomwaffen.

Fazit
Das Article VI Forum eröffnete die Diskussion über Modelle auf dem Weg zu einer atomwaffenfreien Welt. Der Bogen der Debatte reichte von der „Vision“ einer Welt ohne Atomwaffen bis hin zu konkreten praktischen Vorschlägen über den möglichen Weg dorthin. Es bleibt die Frage, ob die Spitze des Abrüstungsberges noch so tief in den Wolken verborgen ist, dass wir den Weg bis nach oben nicht sehen können und erst konkret planen können, wenn wir weiter voran gekommen sind (wie Henry Kissinger es behauptet)? Oder können wir mit unserer Vorstellungskraft bereits jetzt den Weg dort hin sehen und unsere Strategie auf dem Weg nach oben immer wieder verbessern und Korrekturen vornehmen? Auf jeden Fall identifizierte das Forum einige Stolpersteine, die noch existieren und erst beiseite geräumt werden müssen, bevor der Weg begehbar ist. Einer dieser Stolpersteine ist das Problem der Verbreitung der zivilen Nutzung der Atomenergie, die Hermann Scheer mit einem überzeugenden Plädoyer für eine Energiewende konterte. Das nächste MPI-Treffen wird im Oktober 2009 in Atlanta im Jimmy Carter Center stattfinden.

 

Anmerkungen
[i] Internationaler Gerichtshof: “Rechtsgutachten zur Illegalität vom Einsatz und von der Androhung des Einsatzes mit Atomwaffen”, 8. Juli 1996

[ii] http://www.middlepowers.org

[iii] Daalder, Ivo und Lodal, Jan: The Logic of Zero, in Foreign Affairs, Nov/Dez 2008, http://www.brookings.edu/~/media/Files/rc/articles/2008/11_nuclear_weapo...

[iv] http://de.news.yahoo.com/1/20090311/tpl-obama-nominiert-botschafter-fr-a...

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