Für Serbiens neue Zukunft fehlt das Geld

von Outi Arajärvi
Hintergrund
Hintergrund

3 Jahre nach dem Nato-Angriff und anderthalb Jahre nach dem Sturz von Milosevic trifft man in Serbien zwar Leute, die hoffnungsvoll Pläne für eine bessere Zukunft schmieden, aber man trifft auch auf viel Elend, Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit.

Die zerstrittene Regierungskoalition DOS driftet immer weiter auseinander und die Anhänger von Milosevic erhalten neuen Auftrieb, seitdem der Prozess gegen den früheren Machthaber in Den Haag läuft. Der alte Demagoge konnte sich über den Bildschirm als Patriot und Märtyrer in der serbischen Öffentlichkeit präsentieren und findet Anklang bei den vielen Enttäuschten und Verlierern, die wieder oder immer noch glauben, dass die ganze Welt gegen Serbien ist. Immer häufiger finden Demonstrationen gegen den Prozess und gegen die Abhängigkeit der neuen Regierung vom Westen und vor allem von den USA statt.

Und tatsächlich ist die Djindjic-Regierung von westlichen Geldgebern abhängig. Die wirtschaftliche Situation hat sich nicht verbessert sondern verschärft sich noch weiter, weil viele früher noch staatlich subventionierte Betriebe pleite machen. Und alle schauen bang auf die Privatisierung der letzten Staatsbetriebe, die einen Teil der Bevölkerung wenigstens nominell beschäftigt haben. Gleichzeitig fließen die versprochenen Kredite aus dem Ausland äußerst schleppend ins Land.

Wie sich diese Situation auf das Leben der einfachen Leute auswirkt, zumal in der Provinz, konnte ich bei einer Reise zu unserem Projektpartner in Dimitrovgrad im Südosten Serbiens beobachten. Dimitrovgrad ist eine kleine Stadt, die direkt an der Grenze zu Bulgarien und am Fuße des Balkangebirges liegt. Dort oben, in der schon etwas rauheren Bergluft, leben Serben und Angehörige der bulgarischen Minderheit gemischt und sprechen einen Dialekt, der weder in Serbien noch in Bulgarien von der übrigen Bevölkerung gut verstanden wird. Hier waren die Menschen schon zu Zeiten des Kommunismus ärmer als sonstwo in Jugoslawien. Früher lebten sie nicht schlecht von der Landwirtschaft, aber die kollektivierten Großbetriebe passten nicht in die kleinräumige Bergregion, und Kleinbauern hatten keine Überlebenschance. Landflucht aus der Region in die größeren Industriezentren hinterließ verlassene Dörfer und eine immer älter werdende Bevölkerung.
 

Jetzt gibt es aber auch kein Überleben mehr in den Städten, es wird geschätzt, dass die Arbeitslosigkeit 80% beträgt. Nirgends in Serbien verdienen die Menschen viel, das Durchschnittseinkommen liegt bei etwa 250 Euro, in der Region von Dimitrovgrad beträgt es nur 10% davon. Die Menschen leben von ihren Gemüsegärten im Vorgarten und vom Schwein im Schuppen hinterm Haus - die Städte erleben eine "Rurbanisierung" und eine Rückkehr in die Subsistenzwirtschaft. Sehr verbreitet ist auch der Schmuggel. Es ist eine ganz einfache, fast sichere und bequeme Art des Zusatzverdienstes: man geht ein paar Kilometer über die Grenze nach Bulgarien, kauft Zigaretten, die legale Menge oder vielleicht auch mehr und läuft zurück. Hinter der Grenze in Serbien warten schon die Großabnehmer.

Hier haben wirklich viele keine Hoffnung mehr auf bessere Zeiten, verharren in der Armut und klagen. Die jungen Leute wollen weg - wenn sie nicht können, hängen sie in den Cafés herum und gehen nachmittags schmuggeln. In den Dörfern ringsum gibt es verfallene Häuser, und nur schlechte Straßen führen zu den entlegenen Orten in der wunderbaren Natur des Balkangebirges, wo man noch Steinadler sehen kann.

Desto beeindruckender ist es, wenn man die Mitglieder des Vereins Natura Balkanika trifft. Es ist eine Gruppe von vorwiegend jungen Leuten, die sich am Ende der Milosevic-Ära zu einer der vielen Otpor (Widerstands)-Gruppen zusammengeschlossen haben. Nach der Wende wollten sie nicht weg, sondern dort bleiben und ihre Region wieder aufbauen. Es sind junge Agronomen, Tiermediziner oder Studenten, die vom Leben auf dem Lande träumen, mit Ziegen und Schafen.

Aber nicht nur das, sie haben weitreichende Pläne, sie führen uns von einem Ort zum anderen: "hier können am besten Kühe weiden, das Grasland ist wunderbar nahrhaft und die Luft sauber", "hier wachsen die besten Himbeeren in ganz Europa - Jugoslawien war früher führend im Himbeerexport" und "hier entstehen die Bungalows für die Touristen, natürlich nur ökologisch. Es werden markierte Wanderwege gebaut, die zu den Bauernhöfen führen. Die Bauern können Milch und Käse verkaufen und so etwas dazuverdienen." "Diese Schluchten sind berühmt, früher kamen die Leute aus ganz Serbien zu diesen Kurorten" usw.

Endlos können sie begeistert von den Potentialen ihrer Region erzählen. Nur das Geld fehlt ihnen. Natürlich hat auch die Kommune kein Geld, auch wenn der Vizebürgermeister die Gruppe stark unterstützt und auch das einzige Touristik-Unternehmen des Ortes ein Auto für die Rundtour leiht. Wenn schon in Belgrad kein Geld fließt, dann erst recht nicht im letzten Winkel des Landes.

Ifak, Institut für angewandte Kulturforschung in Göttingen - selbst ein kleiner Verein - hat sich mit Natura Balkanika zusammengesetzt und endlos viele Anträge bei deutschen Geldgebern gestellt. Letzten Endes, nach mehr als einem Jahr, haben wir eine kleine Zuwendung von der Niedersächsischen Lottostiftung bekommen und konnten so mit einer Pilotphase anfangen. Wir bieten Schulungen in ökologischer Landwirtschaft an und finanzieren eine Informationsreise der VertreterInnen von Natura Balkanika nach Deutschland, damit wir weiter Fundraising betreiben können.

Noch sind sie da, die vielen Visionen und Hoffnungen und noch ist es dort ruhig und die Bewohner gehen friedlich miteinander um. Nur etwa 150 km weiter im Südwesten liegt das mazedonische Krisengebiet, und im Westen liegt die Grenze zu Kosovo. Auch sie gehörten immer zu den ärmsten Regionen Jugoslawiens. Die Kriege im ehemaligen Jugoslawien hatten auch viel mit enttäuschten Hoffnungen und mit den Gefühlen der Verlierer zu tun, die geschickt von den Machthabern manipuliert wurden. Die echten Friedensperspektiven müssen auch die ökonomischen Lebensperspektiven der Menschen berücksichtigen. Unser Projekt ist nur ein kleines Beispiel und dennoch entstehen daraus schon jetzt viele Aktivitäten.

Kontakt: IFAK e.V., Düstere Str. 16-17, 37073 Göttingen, Tel.: 05593/802 9009, Email: Outi Arajarvi [at] t-online [dot] de, Spendenkonto: Kto.Nr. 500 744 bei der Sparkasse Göttingen (BLZ 260 500 01), Stichwort: Serbien

Ausgabe

Rubrik

Hintergrund
Outi Arajärvi arbeitet zum Thema Migration im Bereich Bildung und Forschung und ist Ko-Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung.