Fußball WM: Ein Eigentor gegen·die·Grundrechte

von Heiner Busch

Rund hunderttausend PolizistInnen aus Bund und Ländern, circa zehntausend Angestellte privater Sicherheitsdienste, eine unbekannte Zahl von Geheimdienstleuten und schließlich siebentausend Soldaten sind dazu aufgeboten, über die Sicherheit der Fußballweltmeisterschaft zu wachen.

 

Entrümpelung und Privatisierung des öffentlichen Raumes

Von dem kommerziellen Großereignis „FIFA WM Deutschland 2006™" erwarten sich die Vertreter des Fußballgeschäfts volle Kassen und die PolitikerInnen Werbung für den Standort Deutschland. Nichts soll dieses Ereignis stören -weder Obdachlose und DrogenkonsumentInnen in den Innenstädten noch politische Demonstrationen zur Unzeit. Hamburger Kaufleute haben sich deshalb - unterstützt vom Innensenator - schon im Januar für ein Bettelverbot in der Hansestadt stark gemacht. In Berlin musste der Christopher Street Day, der Tag an dem die Homosexuellen mit Demonstrationen und Festen weltweit an ihre fortbestehende Diskriminierung erinnern, verschoben werden, weil die wegen der WM angeblich überlastete Polizei behauptet, nicht für ihren Schutz garantieren zu können.

Weite Teile der Innenstädte werden während der WM zu polizeilichen Kontrollzonen, in denen nicht nur die als Risiko eingestuften Fans mit besonderer polizeilicher Obhut zu rechnen haben. Die Innenministerkonferenz hat sich im Februar darauf geeinigt, die so genannten „Public Viewing Areas", rund 200 öffentliche Plätze quer durch die gesamte Republik, an denen die Fußballspiele auf Großbildleinwänden zu sehen sind, zu „private areas" umzufunktionieren. Einzäunung, Einlasskontrollen und·Patrouillen durch Ordnungsdienste der privaten Veranstalter sind hier ebenso angesagt wie eine Videoüberwachung, deren Ergebnisse der Polizei zur Verfügung stehen.

Testfeld für die Sicherheitsindustrie
Diese besondere „public-private partnership" macht vor, wie die in deutschen Städten noch bestehenden Einschränkungen für diese Technik auch in Zukunft durch eine scheinbare Privatisierung öffentlicher Räume umgangen werden können. In den (privaten) Stadien besteht die FIFA auf Videoüberwachungsanlagen mit Zoom-Einrichtung, an die nicht nur die Stadionsicherheitsdienste, sondern auch die Polizei angeschlossen sind.

Tickets für die WM-Spiele sind personalisiert und mit RFID-Chips (kontaktlos lesbaren Funkchips) ausgestattet. Bei der Bestellung der Eintrittskarten mussten die Interessierten einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen und lieferten massenweise Daten ab, die vor allem für die WM-Sponsoren von Interesse sein dürften.

In einigen Bundesländern wird die Polizei während der WM neue mobile Fingerabdruck-Scanner einsetzen, die den Abgleich mit den im bundesweiten Fingerabdruck-Identifizierungssystem. AFIS gespeicherten Daten vor Ort ermöglichen sollen. Bayern hat bereits angekündigt, diese Geräte nach der WM für die „Schleierfahndung" einzusetzen.

Massenhafte Sicherheitsüberprüfung
Alle etwa 250.000 Personen, die ohne Ticket ins Stadion wollen -von der Journalistin über den Würstchenverkäufer bis zur Putzfrau und zum freiwilligen Helfer - mussten sich für die WM akkreditieren. Dabei mussten sie „freiwillig" unterzeichnen, dass sie mit einer Sicherheitsüberprüfung einverstanden sind. Dieses Geschäft erledigen das Bundeskriminalamt (BKA) und der Verfassungsschutz, ihr „Votum" geht an das WM-Organisationskomitee, das es dann unter anderem dem Arbeitgeber mitteilt. Für die ist die WM eine willkommene Gelegenheit, ihr Personal politisch ,,checken" zu lassen.

Einbezug der Geheimdienste

Zwar hält das „Nationale Sicherheitskonzept" fest, dass es keine Anzeichen für geplante Anschläge gegen die WM gibt. Dennoch wollen es die Innenministerien nicht bei den „normalen" Sicherheitsstandards belassen. Sowohl in der eigens zur WM eingerichteten „Besonderen Aufbau-Organisation" des BKA als auch in dem zum „National Information and Cooperation Centre" NICC umfunktionierten Lagezentrum des Bundesinnenministeriums werden polizeiliche Staatsschützer und Geheimdienste zusammenarbeiten, Daten sammeln und täglich neue Lagebilder erstellen. Die organisatorische Trennung von Polizei und Geheimdiensten ist längst zur legitimatorischen Makulatur verkommen.

Militärischer Einsatz im Innern
Insgesamt siebentausend Soldaten sollen während der WM in verschiedenster Form auftreten. Beteiligt ist das Militär zunächst bei der Überwachung der während der WM geltenden Flugverbotszonen – im „Nationalen Lage und Führungszentrum Sicherheit im Luftraum" (NLFZ) sowie zusätzlich in den AWACS-Radar-Aufklärungsflugzeugen der NATO. Der Abschuss von zivilen Flugzeugen ist seitdem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 zum Luftsicherheitsgesetz jedoch vom Tisch.

Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Urteil erneut die verfassungsrechtlichen Grenzen·des Bundeswehreinsatzes im Innern deutlich gemacht. Zu polizeilichen Aufgaben können die Soldaten während der WM nicht eingesetzt werden. Die von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble geforderte schnelle Grundgesetzänderung war vor den tollen Tagen des Fußballs nicht machbar, und auch der Einsatz von Bundeswehrangehörigen unter der Tarnkappe einer Polizeiuniform ist nicht möglich. Auch wenn die Soldaten ,,nur" Sanitätsdienst und andere unbewaffnete Assistenzdienste leisten, ist ihr massenhafter Einsatz eine erneute Werbeveranstaltung für den inneren Einsatz der Armee.

Fans als gefährliche Gruppe

Obwohl die „Hooligan-»Szene in den Fußballstadien quer durch Europa weitgehend verschwunden ist, macht die Polizei vor der WM nicht nur ihre Bereitschaftsabteilungen und Festnahme-Trupps mobil, sondern rüstet auch zu einer ideologischen Angstkampagne. Bereits im vergangenen Jahr hieß es, die Zahl der „Risikofans" liege allein in Deutschland bei Zehntausend. In der bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport" sind derzeit etwa siebentausend Personen gespeichert.

Die Polizei verfügt über ein abgestuftes Repertoire von Zwangsmaßnahmen, das von „Gefährderansprachen" - Besuchen der Polizei zu Hause oder am Arbeitsplatz - über Aufenthaltsverbote und Meldeauflagen bis hin zur vorbeugenden Ingewahrsamnahme reicht, die in einigen Bundesländern bis zu vierzehn Tage dauern kann.

Europa der Polizeien in Aktion

Seit 1988 haben die Polizeien der heutigen EU-Staaten eine fußballbezogene Zusammenarbeit entwickelt. Die polizeilichen Fußballinformationsstellen tauschen sowohl Lagebilder über die erwarteten Fangruppen, ihre mögliche Zusammensetzung, Anfahrtswege und Unterkünfte als auch personenbezogene Informationen aus. Sie entsenden „szenekundige Beamte", denen die deutsche Polizei bei der WM teilweise sogar ein Festnahmerecht einräumen will.

Die Kontrollen an den EU-Binnengrenzen, die eigentlich abgeschafft sein sollten, werden aufgrund einer Ausnahmeklausel des Schengener Übereinkommens (Art.2 Abs. 2) wieder eingeführt. Einige Staaten können ähnlich wie die BRD Ausreiseverbote verhängen. Großbritannien hat 3.500 Personen mit solchen „banning orders" belegt.

Was tun?

Das Konzert der Sicherheit bei der WM wird zum neuerlichen Test für das präventivpolizeiliche Instrumentarium, für einen bisher ungekannten auf die Dauer eines ganzen Monats ausgerichteten personellen Großaufwand, für die Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten und für die Kooperation der „Sicherheitskräfte" im internationalen Rahmen, für neue Sicherheitstechniken und für eine neue Rolle des Militärs im Innern.

Gerade deshalb ist zu befürchten, dass der Quasi-Ausnahmezustand nach Abpfiff des Endspiels nicht einfach vorbei ist. Die WM droht Muster zu etablieren - für kommende Großveranstaltungen wie etwa den GB-Gipfel im nächsten Jahr, aber auch für den Alltag. Unabhängig davon, ob uns das Geschehen auf dem grünen Rasen fasziniert oder nervt, muss uns deshalb die WM interessieren. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet dieses Sicherheitskonzert unter grundrechtlicher Perspektive und wird die Ergebnisse dokumentieren.

Hinweis: Das Grundrechte-Komitee hat diesen Text in einer längeren Fassung als DIN-A-4-Faltflugblatt veröffentlicht.

Einzelexemplar kostenlos; 25 Ex. 5 Euro Vorkasse: Komitee für Grundrechte und Demokratie, Aquinostr. 7-11, 506

 

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