Verteidigungsrede zur Besetzung von „Schnöggersburg“ vor dem Bonner Amtsgericht

Gefechtsübungszentrum Altmark

von Katja Tempel
Hintergrund
Hintergrund

(red) Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus der Verteidigungsrede von Katja Tempel, die diese am 7.10.2021 vor dem Bonner Amtsgericht gehalten hat, nachdem sie gegen den Bußgeldbescheid über 400,- Euro Widerspruch eingelegt hatte. In der Rede betont Katja Tempel zunächst, dass Rechtsauffassungen in steter Weiterentwicklung begriffen werden müssen und fordert z.B. eine Neubewertung des längst überholten out-of-area-Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Nach einer Bilanzierung des Afghanistan-Desasters geht sie auf die verfassungsrechtlichen Grundlagen für Bundeswehreinsätze ein, die durch Art 87 GG auf Verteidigung beschränkt sein müssen. Art. 24 GG sei missbraucht worden, um die NATO in ein kollektives Sicherheitsbündnis umzudeuten, obwohl es ein „partikulär-egoistisches“ Bündnis sei. Der Krieg gegen den Terror sei auch mit den Prinzipien der UN-Charta und dem humanitären Völkerrecht unvereinbar gewesen.

 

Mit unserer Aktion im Sommer 2020 haben wir ganz bewusst die Kriegsübungen behindert. Wir sind an einem sonnigen Morgen ohne irgendwelche Absperrungen zu überwinden auf das Militärareal gegangen und haben uns in einem kleinen Dorf niedergelassen. Das kleine Heidedorf Salchau musste schon 1936 für die Truppenübungsplatznutzung weichen. Wir haben die alte Dorfstelle neu belebt: Wir hängten Wäsche auf, legten einen Pfad des Friedens an, beackerten den Boden und säten Gemüsesaat, wir haben Workshops und Lesungen abgehalten und abends legten wir uns zum Schlafen nieder. Unter einem sternenklaren Himmel, bewacht von Soldat*innen, ließ es sich gut schlafen. Aber eigentlich war das ein Trugschluss. Wir schliefen auf einem Platz, der an 240 Tagen den Kriegsvorbereitungen dient. Was wäre, wenn an 240 Tagen hier die Ausbildung für den Zivilen Friedensdienst stattfinden würde? Wenn die militärische Übungsstadt Schnöggersburg mit ihren Hotels in ein großes internationales Seminar- und Trainingszentrum umgenutzt würde? Wenn über die Jahre statt 40.000 Soldat*innen 40.000 Menschen aus aller Welt in Methoden der gewaltfreien Konfliktbearbeitung, Mediation und gewaltfreier Intervention ausgebildet würden? Schnöggersburg wäre noch ausbaubar. … Aus der Altmark könnten konstruktive Impulse ausgehen, die weltweit zum Tragen kommen könnten. Überall in Deutschland könnten Militärbasen in Gewaltfreie Trainingszentren umgewandelt werden. Wir würden Frieden lernen und lehren, nicht Krieg. Die alte Parole: „Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen“ würde endlich wieder glaubhaft werden.

Dann, genau dann, würden wir als Gesellschaft die Vorgaben aus Artikel 24 GG umsetzen: Wir würden uns an kollektiver gegenseitiger Sicherheit orientieren, nicht an partikulär-egoistischen Zielen.

Und wir würden an einem Frieden arbeiten, der nicht durch Waffengewalt erzwungen, sondern durch Interessensausgleich, Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Heimat, Anerkennung und Sicherheit und des gegenseitigen Respektes vor allem Lebendigen geprägt wäre.
Deshalb waren wir auf dem Platz. Wir haben einen Teil dieser Vision vorweggenommen.

(red) Danach geht Katja Tempel auf die strafrechtliche Rechtfertigung der Aktion ein, indem sie auf Art. 25 GG verweist, dem gemäß das Völkerrecht gegenüber einfachen Gesetzen vorrangig ist. Laut Art. 25 erzeugt das Völkerrecht auch unmittelbare Rechte und Pflichten für die Bundesbürger*innen. Außerdem beschreibe § 16 des Ordnungswidrigkeitenrechts den rechtfertigenden Notstand, dem gemäß Gefahrenabwehr auch Gesetzesverletzungen einschließen könne, zumal wenn die Gefahr gegenwärtig und die Tat ein angemessenes Mittel ist.

Ziviler Ungehorsam
Sie, Frau Dr. Verheyden (die Vorsitzende Richterin, d. Red.), haben einmal in einem Prozess hier erklärt, dass Sie es für legitim halten, Sorgen und Ängste zu haben, allerdings sei der Rechtsstaat noch funktionierend, so dass Gesetzesübertretungen illegitim seien.
Ja, der Rechtsstaat bewährt sich immer wieder, aber an einigen Stellen schwächelt er. Und das ist staatstheoretisch auch genauso gedacht: Bürger*innen sind Impulsgeber*innen, machen auf Schwachstellen aufmerksam, korrigieren festgefahrene Urteile. Wir haben es praktisch mit einem Staat als lernendem System zu tun – wenn er denn lernen will, und davon gehe ich aus.

Das, was hier vor Gericht in Bonn auch zur Entscheidung ansteht, ist indirekt die Frage, ob Aktionen Zivilen Ungehorsams unsere Demokratie gefährden oder sie weiterentwickeln.

Da wir unser Handeln als Zivilen Ungehorsam verstehen, möchte ich an dieser Stelle Robin Celikates zitieren. Geboren 1977, ein deutscher Sozialwissenschaftler und Philosoph, der seit 2010 als Professor für Sozialphilosophie und Politische Philosophie und seit 2012 als Vize-Direktor der Amsterdam School for Cultural Analysis an der Universität von Amsterdam tätig ist. Celikates gehört zu den führenden Wissenschaftlern weltweit, die sich mit der Erforschung des Zivilen Ungehorsams beschäftigen. In einem Aufsatz mit dem Titel „Ziviler Ungehorsam und radikale Demokratie – Konstituierende (verfassungsstärkende) vs. Konstituierte (staatliche Macht) Macht“ analysiert er:

„In dieser radikaldemokratischen Perspektive ist Demokratie nicht minimalistisch auf die Durchführung periodischer Wahlen und die Existenz einer Opposition reduzierbar, sondern muss als politische Praxis der kollektiven Selbstbestimmung verstanden werden, die ihren Ort zwar auch, aber eben nicht nur in staatlichen Institutionen hat. Die Akteure reklamieren im zivilen Ungehorsam  ihre aktive Bürgerschaft, die sie eher als politische Praxis denn als staatlich zugewiesenen Status begreifen… . Gegen die Vorstellung einer entpolitisierten Sphäre des Rechts und der Verwaltung streben sie gerade eine Politisierung – also die erneute Verhandlung einer Frage im politischen Konflikt – an. Sie beziehen sich weder auf ihr Gewissen noch auf ein höheres Recht, weder auf moralphilosophische Prinzipien noch auf eine privilegierte Einsicht, sondern darauf was es heißt, ein Bürger und eben kein bloßer Untertan zu sein. (…) Wer unter solchen Bedingungen im zivilen Ungehorsam einen Verstoß gegen die Norm politischer Gleichheit erblickt, sieht die Dinge damit gerade falsch herum. Ziviler Ungehorsam ist Ausdruck, nicht Begrenzung der demokratischen Selbstbestimmung der Freien und Gleichen, denn er hat das Ziel und die Funktion, die Dialektik von konstituierender und konstituierter Macht in Gang zu halten …“

Konstituierend ist das, was wir als Handelnde machen: Wir stärken die Verfassung. Konstituierte Macht ist die Macht der staatlichen Institutionen. Das bedeutet: auch durch unsere Aktionen wird demokratische Weiterentwicklung staatlichen Handelns und der Rechtsprechung gefördert.
IALANA, die deutsche Sektion der „International Association of Lawyers against Nuclear Arms“ macht seit Jahren folgende Erfahrung:

„Gerade die Normen des Völkerrechts, die auf die Bewahrung und Schaffung des Friedens ausgerichtet sind, aber auch die Gewaltverbote und Friedensgebote des nationalen Rechts werden immer wieder missachtet, gerade auch von denen, die einen Amtseid auf die Verfassung und damit zugleich auch auf das geltende Völkerrecht geleistet haben. Dies geschieht nicht nur durch Regierungen und Exekutivorgane, die sich in ihrer Außenpolitik nach ihren Worten immer nur für „den Frieden“ einsetzen. Es gilt auch für Gerichte, deren Entscheidungen friedensrechtliche Gebote fahrlässig übersehen, übergehen oder gar missachten.

Dabei gibt es das „Friedensgebot“ des Grundgesetzes und der UN-Charta, das vom Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zu Bundeswehreinsätzen im Ausland (Out of Area Urteil von 1994) vielfach rhetorisch herangezogen, jedoch in seinen Wirkungen weder praxisnah entfaltet noch hinreichend zur Wirksamkeit gebracht wird.

Es ist deshalb dringend an der Zeit, die konkreten Inhalte und Funktion(en) der Friedensgebote des Grundgesetzes und des geltenden Völkerrechts neu zu vermessen. In welcher Weise können Juristinnen und Juristen bei deren Anwendung und praktischer Umsetzung wirkungsvoller mitwirken? Dazu gehört auch die kritische Frage, ob das geltende Völkerrecht in seinem heutigen Zuschnitt in der Lage ist, diese Friedensgebote implementieren zu helfen? Ist eine stärkere Verrechtlichung der internationalen Beziehungen sinnvoll und wünschenswert? Welche Rolle kann dabei innerstaatlichen und internationalen Gerichten zukommen? Empfiehlt es sich, z.B. bei Verletzungen des völkerrechtlichen Gewaltverbotes oder anderer völkerrechtlicher Delikte stärker auf strafrechtliche Verfahren gegen Entscheidungsträger zu setzen, in welcher Weise?“

Und hier sind wir bei Ihrer Rolle als hauptberuflicher Richterin angekommen: Auch Ihnen obliegt die Verantwortung, dem Recht zu seinem Recht zu verhelfen. Sprich: das Völkerrecht in einen Zusammenhang mit dem Friedensgebot des Grundgesetzes zu sehen und Handlungen, die gegen die Verletzung dieser Rechtsnormen gerichtet sind, straffrei zu sprechen. Sie sind genauso verantwortlich für unsere Demokratie, wie wir es sind. Wenn Sie rechtlich unsicher sind, ob Auslandseinsätze der Bundeswehr einer erneuten Überprüfung des BverfG bedürfen, dann reichen Sie eine Richtervorlage ein. Ansonsten bitte ich Sie, mein Handeln als gedeckt durch die Sanktionsfreiheit des rechtfertigenden Notstands zu akzeptieren.

Katja Tempel wurde zu einem Bußgeld verurteilt, das auf 250,- Euro herabgesetzt wurde. Die Richterin signalisierte zwar Verständnis für die Aktion, wollte der Rechtsauffassung von Katja Tempel jedoch nicht folgen. Die vollständige Rede kann bei K. Tempel angefordert werden: katja [dot] tempel [at] jpberlin [dot] de. Siehe auch: www.gewaltfreie-aktion-guez-abschaffen.de (Bearbeitung: Martin Singe)
Katja Tempel ist Aktivistin und Hebamme aus dem Wendland.

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Katja Tempel arbeitet in der "Kurve" in Wustrow, Wendland