Wie direkte Demokratie die repräsentative Demokratie ergänzt

Gelingende Einmischung gegen Verlegung eines Ankunftszentrums

von Mia Lindemann
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Am 11. April 2021 gewann ein Heidelberger Bündnis aus verschiedenen Organisationen der Zivilgesellschaft und Parteien einen Bürgerentscheid mit 70 % Ja-Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung von rund 40 %. Das Bündnis wandte sich gegen die Verlagerung eines Ankunftszentrums für Flüchtlinge an einen abgelegenen unwirtlichen Ort („Wolfsgärten“) zwischen Bahngleisen und Autobahnen. Ein realpolitisches Engagement – zweifellos.

Das Ankunftszentrum steht bisher auf einer großen Konversionsfläche. Sie gilt als Heidelbergs letzte große Chance zur Erweiterung der Stadt. Die IBA (Internationale Bauausstellung) entwickelte einen Masterplan mit anspruchsvollen Ideen für die „Wissensstadt der Zukunft“, einen „Leuchtturm“ des ökologisch bewussten Städtebaus. Der Gemeinderat hatte 2015 nur der vorübergehenden Nutzung des verlassenen Ortes für das vom Land Baden-Württemberg betriebene Ankunftszentrum zugestimmt, im Juni 2020 beschloss er mit den Stimmen der Konservativen und der Grünen die Verlagerung des Ankunftszentrums in die „Wolfsgärten“.

Schon zuvor hatte sich das Bündnis BAFF (Bündnis für Ankunftszentrum, Flüchtlinge und Flächenerhalt) gebildet. Darin engagierten sich u.a. der Asylarbeitskreis, der NABU-AK Umweltpolitik, die Ärzt*innen des Ankunftszentrums, die Flüchtlingsseelsorgerin. Wir stellten den Gemeinderäten ein Argumentationspapier zur Verfügung, in dem alle wichtigen Argumente für eine Kampagne bereits enthalten waren:

  1. Der Standort „Wolfsgärten“ wäre das Gegenteil von Willkommenskultur, keine Möglichkeit der Integration, viel zu abgelegen, zu laut und zu klein, um Gelegenheiten zur Freizeitgestaltung zu bieten. Dagegen biete der Ausbau eines neuen Stadtviertels im PHV die Möglichkeit, das Ankunftszentrum dort zu integrieren. „Stadt geht miteinander“ war ein Slogan.
  2. Das nur acht Hektar große Areal der „Wolfsgärten“ wurde zwar vor vielen Jahren als Gewerbegebiet ausgewiesen, aber tatsächlich wird es als fruchtbare Ackerfläche (Lößboden) genutzt. Noch mehr Flächenversiegelung ist nicht verantwortbar. „Wolfsgärten bleiben grün“ war der andere Slogan.
  3. Kostengünstiges Wohnen ja, dem stünde die Integration des Ankunftszentrums in den neuen Stadtteil nicht entgegen. Wenn Großinvestoren abgeschreckt werden, so kann dies eine Chance für kostengünstigen Wohnungsbau sein – alles machbar, auch ohne weitere Flächenversiegelung.

Nach dem Gemeinderatsbeschluss für die Verlagerung des Ankunftszentrums leiteten wir das Bürgerbegehren ein, für das wir rund 7.500 Stimmen brauchten. Ein „Orgateam“ besorgte die Organisationsarbeit, darunter die wöchentlichen Pressemitteilungen, homepage und instagram-Präsenz, die Erstellung eines Flyers und die Herstellung von Plakaten, finanziert durch Spenden. Die Zeit der Lockerungen der Corona-Auflagen im Herbst 2020 reichte gerade, um ca. 11.500 Unterschriften unter das Bürgerbegehren am 8. November überreichen zu können. Dafür hatten wir auf allen Wochenmärkten Unterschriften an Ständen gesammelt und mit geschätzt 15.000 Bürger*innen diskutiert. In jedem Stadtteil organisierten und koordinierten sich Unterstützer*innen, die zentrale Koordination kam vom Orgateam. Weitere Aktivist*innen verteilten Flyer in die Haushalte. Auch dabei kamen gute Diskussionen zustande.

Die örtliche Zeitung begleitete die Kampagne mit unseren Pressemitteilungen und Leser*innenbriefen, eigenen Artikeln und Interviews zu dem Thema und hielt sie so auf hohem Bekanntheitsgrad. Nach Weihnachten führten wir die Kampagne für den Bürgerentscheid fort: wieder Produktion von Plakaten und Flyern, Verteilung in die Haushalte, Organisation von Veranstaltungen und Teilnahme an öffentlichen Diskussionen (Corona-bedingt online). In einer Veranstaltungsreihe im März luden wir Expert*innen zu einer Diskussion über ein „gutes“ Ankunftszentrum ein; aber auch um Für und Wider des Standorts noch einmal mit bisher nicht gehörten kritischen Beteiligten zu diskutieren.

Nach wie vor begleitete die lokale Rhein-Neckar-Zeitung die Kampagne. Erst nach der Landtagswahl versuchte die Stadt mit großem finanziellen Aufwand, Plakaten, Plakatwänden, Flyern und Diskussionsveranstaltungen uns etwas entgegenzusetzen. Aber das stieß offenbar eher auf Ablehnung bei den Heidelberger*innen. Noch mehr JA-Stimmen als bei den Briefwähler*innen (Briefwahlunterlagen waren von der Stadt an alle Berechtigten verschickt worden) gab es bei denen, die am Abstimmungstag selbst zur Urne gingen. Die Wolfsgärten sind als Standort nun „out“. Jetzt geht es um die Gestaltung des Ankunftszentrums im neuen Stadtteil, um Integration.

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Mia Lindemann ist Mitglied im Asylarbeitskreis, in der „Seebrücke“ und Solidarity-City Heidelberg.