Buchbesprechung

Gemeinwesen gegen Gewalt - gerade jetzt!

von Anne Dietrich
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Mit gewaltfreien Mitteln Gewalt stoppen? - Ein aussichtsloses Unterfangen, mag es scheinen, gerade nach den entsetzlichen Ausmaßen des Gewalt-Schreckens am 11. September. Gewalt verbreitet Schrecken und Angst - das ist die Macht des Terrors. Jetzt sind besonders diejenigen in Angst vor "vergeltender" Gewalt, die sich zum gleichen Glauben bekennen wie die mutmaßlichen TäterInnen oder auch nur so aussehen als könnte das der Fall sein - gleichgültig wie entsetzlich sie selbst die schrecklichen Taten von New York und Washington finden und wie weit sie sich von den MassenmörderInnen entfernt sehen.

Gerüchte von ersten Opfern einer grausigen Lynch-Justiz in den USA gehen bereits um, Militärschläge gegen die wahrscheinlich die Drahtzieher des Schreckens deckenden Länder (bzw. deren unschuldige Bevölkerung) werden vorbereitet. Der Angst und dem Schrecken Einhalt zu gebieten, wie ist das möglich? Neue - strafende/ rächende - Gewalt, neuer Schrecken macht die Opfer nicht wieder lebendig, heilt nicht die grausigen physischen und seelischen Wunden, sondern dreht weiter an der Spirale des Terrors. Eine Hoffnung, dieser Dynamik der Angst, Zerstörung und Hoffnungslosigkeit etwas entgegenzusetzen, liegt darin, die Gewalt von Strukturen aufzubrechen, indem wir das menschliche Gesicht derjenigen erkennen, von denen Angst und Schrecken ausgeht oder auszugehen scheint. Wenn es uns gelingt, diese Menschen, die zu Monstern werden oder zu Monstern erklärt werden, mit ihrer eigenen Angst, ihrem eigenen Schrecken ernst nehmen, haben wir eine Chance, die weitere Drehung der Gewalt-Spirale zu verhindern.

In der konkreten Situation jetzt kann dies auf lokaler Ebene bedeuten, die Verteufelung ganzer Glaubensgmeinschaften und/oder ethnischen/sozialen Gruppen zu verweigern. Wir können Gewalt vorbeugen, indem wir der Stigmatisierung und Ghettobildung in unseren Orten und Stadtteilen die Entwicklung von lebendigen, vielfältigen Nachbarschaften entgegensetzen.

Das Buch "Ein Stadtteil macht mobil. Gemeinwesen gegen Gewaltkriminalität" zeigt, dass dies möglich ist. Mehr noch: es wird konkret aufgezeigt, wie es geht und wie wirksam ein solcher Weg sein kann, wenn er konsequent umgesetzt wird.

Uwe Painke beschreibt ein Projekt in den USA, bei dem ehemalige Mitarbeiter/innen Martin Luther Kings einen lebensgefährlichen Stadtteil wieder sicher und lebenswert machten. Zugleich zeigt der Autor deutlich die Grenzen rein polizeilicher Kriminalitätsbekämpfung auf: Der Versuch, Gewalt mit Gewaltmitteln zu bekämpfen, ist auf lange Sicht unwirksam. Denn auf diesem Weg werden mehr Gewaltstrukturen reproduziert und sogar neue Gewaltformen geschaffen, als wirksam eingedämmt werden können.

Wer daher glaubt, dass der heutigen Gewaltkriminalität nur mit den Gewaltmitteln von "Law-and-order"-Strategien Einhalt geboten werden könne, irrt sich. Es gibt ein wesentlich mächtigeres Instrument, um diesem Problem zu begegnen.

Dieses Mittel ist der Aufbau lebendiger sozialer Beziehungen zwischen den Menschen im Stadtteil. In diesem Prozess entsteht eine Macht, die in der menschlichen Geschichte meist dann zugegen ist, wenn die Gestaltung der Gesellschaft gelingt und Menschlichkeit zum Zuge kommt: Es entsteht Solidarität, die auf solche tragfähigen sozialen Strukturen angewiesen ist.

Der vorliegende Band "Gemeinwesen gegen Gewaltkriminalität" aus der Reihe "Studien zur Gewaltfreiheit" beschreibt anschaulich, wie diese umgestaltende Macht selbst unter schwierigsten Bedingungen großstädtischer Gewaltkriminalität ganze Stadtteile durchdringen und sie nachhaltig verändern kann. Er schildert an praktischen Beispielen, wie selbst in stattfindende Gewaltverbrechen - z.B. Überfälle und Vergewaltigungen - erfolgreich interveniert werden kann. Und er zeigt Ansätze und erste Schritte auf, wie diese Konzepte aus USA auch in Deutschland wirksam werden können.
 

 Uwe Painke, Ein Stadtteil macht mobil. Gemeinwesen gegen Gewaltkriminalität. Neighborhood Safety in den USA
 

Reihe : Studien zur Gewaltfreiheit. Bd. 3, 2001, 504 S., 39.80 DM, br., ISBN 3-8258-5600-3
 

Die beim Institut für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung (IFGK - www.ifgk.de) im Rahmen seiner Reihe "Studien zur Gewaltfreiheit" erschienene Veröffentlichung ist erhältlich bei: Bund für Soziale Verteidigung, Ringstr. 9a, 32427 Minden. Tel.: 0571/29456 Fax: 0571/23019. eMail: Soziale_Verteidigung [at] t-online [dot] de
 

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt