Gewaltfreie Konfliktarbeit mit Skinheads und Türken

von Stefan Maaß
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Kann man mit rechtsorientierten Jugendlichen aus der Skinhead-Szene arbeiten? Sind diese Jugendlichen bereit, sich Gedanken über Gewaltfreiheit zu machen? Diese Fragen standen am Anfang eines Projektes, das Werkstatt-Mitarbeiter Stefan Maaß im Herbst 1999 in einem Jugendtreff in einem pfälzischen Dorf durchführte.

Ausgangspunkt: Gewalt
Das Projekt hatte mit einer Anfrage der Jugendpflegerin begonnen, nachdem es in einem Dorf immer wieder zu gewalt- tätigen Auseinandersetzungen zwischen rechtsorientierten deutschen und türkischen Jugendlichen gekommen war. Außerdem war der Jugendtreff mehrfach wegen Vandalismus geschlossen worden. Nun war er nur noch einmal wöchentlich geöffnet und auch nur, wenn eine Sozialarbeiterin anwesend war.

Die rechten Jugendlichen ...
Zum damaligen Zeitpunkt kamen nur deutsche Jugendliche in den Jugendtreff, die türkischen trafen sich an einem anderen Ort. An unserem Projekt beteiligten sich zwischen 15 und 20 Jugendliche, darunter vier bis fünf Mädchen. Die meisten Jugendlichen waren der Skinhead-Szene zuzuordnen. Was die schulische Bildung betrifft, war von Sonderschule bis Gymnasium alles vertreten. Keiner der Jugendlichen war arbeitslos. Sie gingen unter der Woche in die Schule oder in die Lehre. Am Wochenende stand Fete mit "Saufen" auf dem Programm. Dabei kam es oft zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die meisten trugen Kleidung mit rechter Symbolik ("88", "Lonsdale", usw.)

... wollen sich gewaltfrei verhalten!?
In einem Vorgespräch, bei welchem die Motivation und der Auftrag mit den Jugendlichen abgeklärt worden war, benannten die Jugendlichen das Thema "Wie kann ich mich gewaltfrei verhalten, wenn ich von türkischen Jugendlichen bedroht werde". Als Ziel formulierten sie, dass sie keine Gewalttätigkeiten mit den türkischen Jugendlichen wollten.

Es wurden zehn Abende veranschlagt und pro Abend eine Stunde. Aber meinen die Jugendlichen dies überhaupt ernst? Würden sie regelmäßig teilnehmen und sich auf die Übungen und Diskussionen einlassen? Es war einen Versuch wert und so wurde das Projekt von mir und einem weiteren Sozialarbeiter begonnen, wobei mein Partner den Jugendtreff nach dem Projekt intensiver betreuen sollte.

 

"Testen" der Projektleiter
Zu Beginn des Projekts wurden wir Sozialarbeiter von den Jugendlichen "getestet". Dabei schien es vor allem um zwei Dinge zu gehen: Authentizität und Akzeptanz. Das heißt, ob wir selbst auch Position beziehen und ob wir die Jugendlichen trotz gegensätzlicher Positionen akzeptieren würden. Es war völlig klar, dass wir Gewalt nicht akzeptieren, aber würden wir den Jugendlichen auch zuhören, wenn sie von ihren Gewalterlebnissen erzählen? Würden wir versuchen, ihre Welt zu verstehen, oder würden wir ihnen nur Belehrungen entgegenbringen?

Sie stellten Fragen wie z.B. "Was machst du, wenn dir zehn Typen gegenüberstehen, die dich verprügeln wollen? Wie sieht es dann mit deiner Gewaltfreiheit aus?" Die Fragen erinnerten zum Teil an die alten "Gewissensfragen" für Kriegsdienstverweigerer.

Die Jugendlichen stellten auch viele Fragen zum Thema Faschismus und Zweiter Weltkrieg. Hierbei wurden eine große Verwirrung und Fehlinformationen deutlich. Sie erzählten über die unterschiedlichen Skinheads und brachten sogar Bücher mit. Im Vordergrund standen aber immer wieder aktuelle Situationen mit türkischen Jugendlichen.

Die Gegner kommen
Erstaunlich war auch, wie sie sich auf die Übungen zur Reflexion über Gewalt einließen. Dann tauchten eines Tages türkische Jugendliche auf und es schien nichts mehr zu funktionieren. Nachdem die Spannung zwischen den türkischen und deutschen Jugendlichen angesprochen wurde, schienen die Dämme zu brechen und es gab insbesondere von den deutschen Jugendlichen heftige Vorwürfe an die türkischen Jugendlichen.

In dieser Phase moderierten wir lediglich das Gespräch, d.h. wir achteten darauf, dass jeder aussprechen konnte.

Wende durch Anerkennung
Nach einer Weile geschah etwas Überraschendes. Ein deutscher Jugendlicher sagte: "Eines muss man euch Türken lassen. Ihr habt ein Super-Solidaritätsgefühl. Wenn einer von euch zusammengeschlagen wird, stehen ihm sofort zehn zur Seite und helfen ihm. Dies ist bei uns Deutschen nicht so!"

Durch diese anerkennenden Worte nahm der Gesprächsverlauf eine Wendung. Das Gespräch wurde offener und wir boten den türkischen Jugendlichen an, sie mit ihrer Clique einmal zu treffen, um zu hören, wie deren Sichtweise ist. Sie erwiderten, dass die anderen sehr wahrscheinlich nicht dazu bereit seien, da ja die Gefahr bestehe, dass man Freunde werde, wenn man miteinander redet. Und dies würde bedeuten, dass man bei einer Schlägerei plötzlich in dem Dilemma sei, entweder seinen Kumpels zu helfen, indem man einen Freund verprügelt, oder den Freund nicht zu verprügeln und die Kumpels im Stich zu lassen.

Ich bestätigte, dass diese Gefahr nicht ausgeschlossen werden konnte und dass dies wohl die Kehrseite des oben genannten Solidaritätsgefühls sei.

Anführer gesteht Unrecht ein
Am nächsten Abend kam dann überraschenderweise der Anführer der türkischen Clique. Als er den Raum betrat, war es schlagartig ruhig. Er erkundigte sich, was hier im Jugendtreff laufen würde. Als er informiert wurde, dass es um das Thema Gewalt ginge, sagte er, dass es doch eigentlich schon lange keine Gewalt mehr zwischen Deutschen und Türken gegeben habe. Die anderen Jugendlichen bestätigten dies. So schienen sich für einen Moment alle einig zu sein. Doch dann wies er daraufhin, dass er jedem Skin mit weißen Schnürsenkeln (Zeichen der rechten Skins) die "Fresse" polieren würde. Daraufhin schrie ein Jugendlicher, dass es doch die "Türken" gewesen seien, die einen Kumpel mit einer Eisenstange traktiert hätten. Zur allgemeinen Überraschung gestand der Anführer der türkischen Clique ein, dass dies Unrecht gewesen sei. Und wie auf ein Kommando wich die ganze gewaltvolle Energie, die vorher im Raum spürbar war, und alle wollten nun mit dem Programm weitermachen.

Verfeindete Gruppen zusammengebracht
Nach diesem Ereignis kamen außer den deutschen auch regelmäßig sieben bis acht türkische Jugendliche in den Jugendtreff, was ein Novum war. Das Interesse am Thema Gewalt ließ nach und es war klar, dass nun ganz "normale" Sozialarbeit angesagt war.

Deshalb beschlossen wir, das Projekt zu beenden. Es war uns gelungen, die verfeindeten Gruppen zusammenzubringen und etwas miteinander erleben zu lassen. Sicherlich war dies noch nicht ein dauerhafter Frieden, sondern der erste Schritt in Richtung gewaltloses Miteinander. Für die Skinheads war dies möglich, weil sich ihnen zwei Erwachsene als Gegenüber angeboten hatten, an welchen sie sich reiben konnten, von denen sie aber dennoch akzeptiert wurden.

Der Sozialarbeiter, der mit mir zusammengearbeitet hatte, führte anschließend den Jugendtreff weiter und unternahm Freizeitaktivitäten mit den Jugendlichen. Leider hat er nach einem Jahr aus persönlichen Gründen die Stelle gewechselt, so dass der Jugendtreff erneut nicht betreut wird. Es gibt jedoch Überlegungen, Sozialarbeiter anzustellen, die diese Aufgabe dauerhaft übernehmen.

Der Artikel erschien in "Gewaltfrei Aktiv" Nr. 15/2001, Mitteilung der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt
Stefan Maaß ist Sozialpädagoge und Mitarbeiter der Werkstatt für Gewaltfreie Aktion, Baden.