Gewaltfreier Krisenintervention

von Kurt Südmersen
Initiativen
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Es gibt nicht viele Personengruppen in diesem Land, die ohne Angst leben. Viele Frauen und Kinder leben alltäglich in Angst vor Gewalt, viele Menschen in Ostdeutschland ängstigen sich vor der Zukunft, vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Sie sind in ihrer Menschenwürde verletzt.

Ausländische Mitmenschen müssen in­zwischen in Deutschland um ihr Leben fürchten. Die Grundrechte auf Leben und Unversehrtheit scheinen für sie au­ßer Kraft gesetzt. Deutsche, die sich für ihre Belange einsetzen, geraten in die Isolation und werden bedroht.

Ausländerbeauftragte machen in ihrer Arbeit an den Krisenplätzen  gute, aber oft auch beängstigende Erfahrungen. Sie brauchen den Erfahrungaustausch. Die vom BSV angebotenen Seminare wollen Ansatzpunkte aufzeigen, wie auf lokaler Ebene eine Kette der aktiven Solidarität aufgebaut werden kann. Viele Men­schen verurteilen die Gewaltakte, man­che würden gerne helfen, wissen aber nicht wie...

Im Oktober 1991 veranstaltete der BSV eine Tagung in Potsdam, auf der u.a. die Frage diskutiert wurde, welche gewalt­freien Antworten es auf gewalttätige Übergriffe auf Flüchtlinge und Auslän­derInnen in der BRD gibt. In der Dis­kussion und der sich anschließenden Arbeit kristallisierten sich drei Bereiche heraus, in denen wir Möglichkeiten und Ansätze für eine gewaltfreie Strategie sehen.

I.    Der direkte Schutz von Wohnungen und Heimen (vergl. hierzu: Theodor Ebert "Gewaltfreie Abwehr von Ge­walt gegen Flüchtlinge" in "Gewaltfrei in Krisen intervenieren", BSV 1992).

II.   Direkter Schutz bei Gewalt auf der Straße, in der Öffentlichkeit, vor al­lem in öffentlichen Verkehrsmitteln (vergl. hierzu: Christian Büttner "Handlungsmöglichkeiten gegen die Gewalt" in "Gewaltfrei in Krisen in­tervenieren", BSV 1992). Die Ge­walt, die AusländerInnen in diesem Bereich begegnet, wird mit einem zunehmenden Rückzug aus dem öf­fentlichen Leben oder der Flucht aus Dörfern und kleineren Städten in die Großstadt beantwortet.

III.Schutz durch Präventivmaß­nahmen in den Bereichen:

*     gewaltbereite Jugendliche

*     Training und Verbreitung gewalt­freier Strategien und Möglichkeiten

*     öffentliche Ächtung ausländerInnen­feindlicher Tendenzen

*     Trainings für direktes Eingreifen bei ausländerInnenfeindlichen und ge­waltsamen bzw. gewaltfördernden Aktionen (vergl. hierzu: Barbara Müller "Schutz vor Gewalt. Akzep­tanz ohne Sündenböcke" in "Gewaltfrei in Krisen intervenieren", BSV 1992 und W. eitmeyer "Rechtsextremismus, Köln 1991)

Von einem Programm, das einen besse­ren Schutz vor Gewalt aufbaut, wird er­wartet:

1.    Stärkung der Bedrohten

      a) in ihrer Gruppe,

      b) im individuellen Bereich,

      c) in der Öffentlichkeit.

2.    Verhaltenserweiterung bei direkten Bedrohungen

      a)    in den Möglichkeiten spontan So­lidarität und Hilfe von PassantIn­nen einzufordern

      b)    im Umgang mit den eigenen Äng­sten und Reaktionsmustern

3.    Das Wissen um effektive Hilfestel­lung in der Öffentlichkeit verbreitern

      a)    Wie interveniere ich bei direkter Ge­walt ?

      b)    Welche Deeskalationsmöglich­keiten gibt es bei tendenziell ge­waltsamen Konflikten?

Die Situation im Land Brandenburg

Bei einem Gespräch zwischen BSV-Mitgliedern und der Ausländerbeauf­tragten des Landes Brandenburg ergab sich, daß auf beiden Seiten ein großes Interesse an einer kontinuierlichen Zu­sammenarbeit und der Entwicklung von Weiterbildungs- und Trainingskonzep­ten besteht. So waren wir eingeladen an einem Treffen aller Ausländerbeauf­tragten der Kreise und kreisfreien Städte des Landes Brandenburg teilzunehmen. Die Breite der rund 40 Fachleute zeigte ein differenziertes und erschreckendes Bild von der Situation im Lande.

Almut Berger, die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg, schrieb im Anschluss: "... unser letztes Treffen war besonders geprägt von den bedrücken­den Erfahrungen mit Gewalt, mit Ver­letzung von menschlicher Würde, mit Ängsten, die wir um uns herum oder auch bei uns selbst erlebt haben. ... wir erleben auch, daß viele Menschen die Gewaltakte verurteilen, manche würden gerne helfen, wissen aber nicht wie... Wir haben gemerkt, wie wichtig der Austausch über die beängstigenden, aber auch die guten Erfahrungen ist und daß wir Hilfe brauchen, um der Gewalt entgegenzutreten. Der Bund für Soziale Verteidigung hat solche Hilfe angebo­ten."

Bei einem ersten Seminar, das Mitar­beiterInnen des BSV den Ausländerbe­auftragten anbieten konnten, haben wir unserer Konzeption und den Interessen der TeilnehmerInnen entsprechend fol­gende Schwerpunkte gesetzt:

*     Austausch von Erfahrungen und In­formationen über die Arbeit der Ausländerbeauftragten und von FlüchtlingsheimleiterInnen.

      In den Gesprächen kristallisierten sich große Unterschiede in der strukturellen Verortung der Auslän­derbeauftragten in Verwaltung und im öffentlichen Leben heraus. Dies findet einen enorm wichtigen Nieder­schlag in den Möglichkeiten eigen­verantwortlich Öffentlichkeitsarbeit zu gestalten oder verwaltungsinterne Informationen so rechtzeitig zu be­kommen, daß ein fachspezifisches Eingreifen möglich ist.

*     Einführung in Gewaltfreiheit und Aktionskonzepte

      In der Auswertung dieser Arbeitsein­heit wurden besonders die Probleme deutlich, die Flüchtlinge in der BRD haben, um eine eigene Gruppen­struktur aufzubauen. Durch die will­kürliche Belegung von Heimen in Bezug auf Nationalitäten, das Mi­schen von Gruppen- und Familien­strukturen und die hohe Fluktuation in den Heimen wird es den Flüchtlin­gen im hohen Maße erschwert, ei­gene soziale Strukturen und soziale Macht zu entfalten. Darum ist gerade bei gewaltfreien Aktionen die Zu­sammenarbeit, von kontinuierlich ar­beitenden Gruppen außerhalb der Heime und den Flüchtlingen, von großer Wichtigkeit.

*     Situations- und Kraftfeldanalyse am Beispiel eines der vertretenen Orte Ziel: "Schutz von Flüchtlingen vor Gewalt"

      Untersucht und in einer ersten Skizze festgehalten wurden folgende sieben Punkte:

      1. Die eigene Situation und der ei­gene Standpunkt

      2. Möglichkeiten und Hemmnisse in der Arbeit der kommunalen Verwal­tung

      3. Die Situation der Flüchtlinge und des Heimes

      4. Das Wohnumfeld

      5. Die Situation und Stärke gewaltbe­reiter Gruppen, die AusländerInnen bedrohen

      6. Die Situation und Stärke von Gruppen, die sich für gewaltfreien Schutz einsetzen

      7. Möglichkeiten und Defizite in der Zusammenarbeit und der Entwick­lung von Macht

In dieser Arbeitseinheit wurde deutlich, daß eine Situationsanalyse in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht hinrei­chend erarbeitet werden konnte, die Skizzierung aber schon den Blick frei macht für mögliche nächste Schritte auf das oben angegebene Ziel. Barbara Müller hat zur Situationsanalyse in die­sem Bereich einen Fragebogen entwic­kelt, der über die Geschäftsstelle des BSV zu beziehen ist.

*     Einführung in das Konzept der Me­diation, als eine Möglichkeit in be­stimmten Krisensituationen zu inter­venieren, Bei den praktischen Übun­gen im Anschluss an die Beschrei­bung des Konzeptes   ergaben sich vielfältige Ideen, wie und wo die Technik im Alltag angewandt werden kann.

*     Strategien: Heim X wird bedroht... Was ist zu tun?

Austausch von Alarmplänen, Checkli­ste, Austausch über BürgerInnenaktio­nen, die Erfahrungen damit und die Voraussetzung dafür. Zu diesem Punkt siehe: Theodor Ebert, s.o.

*     Parolen Paroli bieten: Rollenspiele zu den "ganz alltäglichen Schlagworten" von rechts und "ganz normalen" Mit­bürgerInnen.

Die Auswertung der Rollenspiele zeigte, daß sie ein hervorragendes Mittel sind um Alltagssituationen unter einem neuen Blickwinkel anders begreifen zu lernen und das eigene Verhaltensreper­toire zu erweitern.

Bei der Auswertung des Gesamtsemi­nars erklärte eine Heimleiterin: "Zu Be­ginn des Seminars sah ich mich in mei­ner Phantasie nur Knüppelschwingend vor den Heimen stehen. Jetzt habe ich eine ganze Reihe von Ansatzpunkten, die ich vorher noch erledigen kann."

Die Auswertung ergab, daß eine Fort­setzung und Erweiterung der Arbeit des BSV in diesem Bereich wünschenswert und notwendig ist. Allerdings ist kei­neswegs gesichert, daß hierfür auch die finanziell notwendigen Mittel vom Land und vom Bund zur Verfügung gestellt werden.

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Kurt Südmersen ist Mitarbeiter des Bundes für Soziale Verteidigung (BSV)