Saudi-Arabien und Iran

Glaubensfragen, Machtpolitik und Dialog am Persischen Golf

von Markus A. Kirchschlager
Schwerpunkt
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Die beiden Golfanrainer Saudi-Arabien und Iran befinden sich seit Jahrzehnten im ständigen Wechselspiel zwischen zaghafter Annäherung und erneuten Feindseligkeiten. Ihrer Rivalität um regionale Vorherrschaft werden oft religiös-konfessionelle Motive unterstellt. Unterschiedliche Vorstellungen über die legitime Nachfolge des Propheten Mohammeds seien verantwortlich für die Misere im Nahen Osten. Damit wird das Bild eines jahrhundertealten Konfliktes stilisiert, der die komplexe geopolitische Lage des Nahen Ostens scheinbar vortrefflich erklärt. Der schiitische Iran und seine Verbündeten – Baschar al-Assad in Syrien, die Hisbollah im Libanon, die Huthi-Rebellen im Jemen und mehrheitlich die irakische Regierung stehen den arabisch-sunnitischen Golfmonarchien im Kampf um regionale Vorherrschaft gegenüber.

Feindseligkeiten zwischen Schiiten und Sunniten spielen zwar in vielen regionalen Brennpunkten eine Rolle. Selten sind sie jedoch ursächlich für die Auseinandersetzungen. Die orientalistische Verkürzung auf die konfessionelle Zugehörigkeit als einzige Konfliktursache blendet aus, dass es im sogenannten „Kalten Krieg“ des Nahen Ostens vor allem um politische und geostrategische Machtinteressen zweier ebenbürtiger Regionalmächte geht.

Nicht nur die gegenwärtigen Kriegsschauplätze, auch die kleineren Golfstaaten befinden sich in diesem Spannungsfeld. In Bahrain wurde der vorwiegend schiitisch geprägte Aufstand im Zuge des arabischen Frühlings mit Hilfe saudischer Sicherheitskräfte niedergeschlagen, um die sunnitische Elite an der Staatsspitze zu halten. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind der wichtigste Verbündete Saudi-Arabiens im Jemenkrieg. Qatar nutzt die Rivalität der beiden Kontrahenten, um sich selbst als Regionalmacht zu etablieren. Im vergleichsweise demokratischen Kuwait leben Sunniten und Schiiten weitestgehend friedlich nebeneinander. Um einer konfessionell bedingten Destabilisierung der Gesellschaft zuvorzukommen, versucht Kuwait kontinuierlich zwischen seinen Nachbarn zu vermitteln.

Die wechselhafte Beziehung zweier Regionalmächte
Saudi-Arabien und Iran pflegten in der Vergangenheit ein vergleichsweise gutes Verhältnis. Während des Bürgerkriegs im Jemen in den 1960er Jahren beispielsweise teilten beide Länder das Interesse, die sozialistischen-arabischen Republiken in die Schranken zu weisen. Die islamische Revolution im Iran von 1979 änderte die Beziehungen der beiden Golfnachbarn signifikant. Um die Attraktivität der quasi-demokratischen Theokratie als Gegenmodell zur autoritären Herrschaft in den Golfstaaten zu unterminieren, setzte Saudi-Arabien alles daran, die islamische Revolution als etwas genuin schiitisch-persisches zu brandmarken. Die religiösen Unterschiede waren also nicht der Grund für die Erosion der Beziehungen beider Länder - sie wurden bewusst instrumentalisiert. Die saudische Unterstützung für den Irak im Krieg mit dem Iran in den 1980er Jahren verschlechterte die Beziehungen zusätzlich. Nach dem Ende des Krieges und einer Phase der Annäherung in den 1990er Jahren wurde die US-Intervention im Irak zum erneuten Scheideweg für die beiden Regionalmächte. Als der Verdacht laut wurde, dass die neue mehrheitlich schiitische Regierung unter dem Einfluss Irans stünde, brach Saudi-Arabien die diplomatischen Beziehungen zum Irak ab und ging auf Konfrontationskurs. Die Furcht vor einem schiitischen Halbmond im Nahen Osten wurde immer größer in den Golfmonarchien.

Während des arabischen Frühlings schienen die konfessionellen Unterschiede wieder in den Hintergrund zu rücken. Das vereinte Bestreben vieler Menschen, die Herrschaftsverhältnisse zu ändern, stellte eine ganz akute Gefahr für die Machthaber im Golf dar. Beide Regionalmächte instrumentalisierten daher in alt bewährter Manier religiöse Zugehörigkeit, um ihre Einflusssphären zu wahren. Diese Praxis hat dazu beigetragen, dass viele der anfänglich friedlichen Demonstrationen zu den blutigen Bürgerkriegen wurden, die den Nahen Osten heute prägen.
Saudi-Arabien und Iran führen zwar mehrere Stellvertreterkonflikte in der Region. Ein direkter Krieg zwischen beiden Ländern ist dennoch unwahrscheinlich, da es aus militärischer Sicht keine klare Überlegenheit eines Akteurs gibt. Während Saudi-Arabien mehr als das Fünffache für seine militärische Rüstung ausgibt und über moderne Waffensysteme verfügt, setzte Iran in der Vergangenheit auf die Entwicklung von Trägerraketen, die über Reichweiten bis ins saudi-arabische Landesinnere verfügen. Zudem sind die iranischen Truppen zahlenmäßig weit überlegen und verfügen über deutlich mehr Kampferfahrung. Ein offener Krieg wäre für beide Seiten verheerend und mit ungewissem Ausgang verbunden.

Seit 2015 brachte der Abschluss des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan[s] zur Regulierung der iranischen Nutzung von Nukleartechnologie eine Annäherung zwischen Iran und westlichen Industrieländern mit sich, was auch mit einem strategischen Machtgewinn verbunden war. Die einseitige Kündigung des Aktionsplans durch US-Präsident Donald Trump Anfang Mai 2018 war die vorerst letzte Wendung im Ringen um die regionale Vorherrschaft. Sie wird von vielen Beobachtern als gemeinsamer Versuch von USA, Saudi-Arabien und Israel gewertet, Iran erneut von der Weltgemeinschaft zu isolieren.

Wie lässt sich ein festgefahrener Konflikt überwinden, in dem sich beide Akteure in einem Nullsummenspiel um Macht und Einfluss wähnen? Wohl kaum durch einmalige Verhandlung oder einen einzelnen ambitionierten Vermittlungsversuch. Es fehlt die akute Dringlichkeit für ein solches Format. Keine der Konfliktparteien hat ihre Machtmittel ausgereizt – Konfrontation scheint noch immer möglich und zielführend. Zudem haben beide Seiten in der Vergangenheit ihre religiös-ethnische Identität instrumentalisiert, um die Gegenseite zu diffamieren. Daher kann eine Annäherung nur in kleinen reziproken Schritten über vertrauensbildende Maßnahmen erfolgen.

Dialog auf verschiedenen Ebenen
Der erste Schritt ist, den Dialog zwischen Iran und Saudi-Arabien aufrecht zu erhalten - am besten auf unterschiedlichen Ebenen. Auf diplomatischer Ebene wurde die Kommunikation nie gänzlich beendet. Es gibt politische Entscheidungsträger auf beiden Seiten, die ihr entsprechendes Gegenüber sehr gut kennen und den Kontakt über Krisen hinweg pflegen. Zudem tauschten sich die Machthaber bei verschiedenen Mediationsversuchen aus, die von der Schweiz, den USA, dem Irak, den VAE und von Kuwait in der Vergangenheit durchgeführt wurden. Auch wenn nicht immer ein Kompromiss gefunden werden kann, sind solche Formate wichtig für die gegenseitige Annäherung. Seit Ende 2017 haben beide Länder wieder offiziell zaghafte diplomatische Beziehungen aufgenommen: Im Rahmen konsularischer Dienste lassen sich beide Länder durch die jeweiligen Schweizer Botschaften vertreten. Effiziente Diplomatie zwischen beiden Ländern ist ein Schlüssel zum Frieden in der Region.

Auch auf gesellschaftlicher Ebene gibt es einflussreiche Personen - Wissenschaftler und Mitarbeiter von politischen Thinktanks, Unternehmer aber auch Mitglieder des Sicherheitsapparates - die an einem grenzüberschreitenden Austausch interessiert sind. Das Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO), ein Thinktank aus Bonn und das US-ansässige EastWest Institute organisieren seit Ende 2015 eine regelmäßige Dialogserie mit ausgewählten Saudis und Iranern sowie einigen europäischen Experten, um gemeinsame Herausforderungen beider Länder zu erörtern und kreative Lösungen zu entwickeln. Unabhängig von der großpolitischen Lage konnte der Dialog aufrechterhalten werden, weil Vertrauen zwischen den Teilnehmern aufgebaut wurde. Wenn die Teilnehmer eines solchen Formates zuhause gut vernetzt sind und Interesse auf höchster staatlicher Ebene wecken, können sowohl die neu geschaffenen persönlichen Beziehungen als auch die Inhalte eine große Reichweite entwickeln.

Potentielle Kooperationsfelder
Der zweite Schritt ist die Identifizierung potentieller Kooperationsfelder. Iran und Saudi-Arabien stehen vor ähnlichen volkswirtschaftlichen Herausforderungen. Beide Staaten sind konfrontiert mit struktureller Abhängigkeit von schrumpfenden Erdölexporten, dem demographischen Wandel, hoher Jugendarbeitslosigkeit und geringem Frauenanteil unter den Erwerbstätigen, einem aufgeblähten öffentlichen Sektor und gemeinsamen ökologischen Risiken.

Insbesondere im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit sind beide Länder allein aufgrund ihrer geografischen Nähe voneinander abhängig. Viele der Risiken könnten durch bilaterale Kooperation gemindert werden. Experten beider Länder sind sich einig, dass Kooperationspotenzial besteht. Um das gegenseitige Misstrauen abzubauen, könnte eine Zusammenarbeit auf ökonomischer Ebene in einzelnen Bereichen ein erster Schritt sein. Ähnlich wie bei der Entstehung der Europäischen Union könnte wirtschaftliche Kooperation auch zu politischer Annäherung führen.

Der Irak als gemeinsames Projekt
Der dritte Schritt ist ein gemeinsames Projekt. Der Irak könnte eine Arena der Annäherung für Saudi-Arabien und Iran werden. Nachdem der IS dort weitestgehend zurückgedrängt werden konnte, haben beide Regionalmächte ein vitales Interesse daran, den Irak zu stabilisieren. Kooperation statt Konkurrenz würde allen Beteiligten zugutekommen. Saudi-Arabien restauriert gegenwärtig in einer systematisch angelegten Charmeoffensive seine Beziehungen zum Irak. Auf politischer, religiöser, ökonomischer und sozialer Ebene werden Gemeinsamkeiten herausgestellt und imagefördernde Projekte umgesetzt.

Bagdad ist grundsätzlich offen für saudisches Engagement und kann für den post-IS Wiederaufbau jede Unterstützung brauchen. Dennoch gibt es Bedenken, dass der Irak zum nächsten Schauplatz eines iranisch-saudischen Stellvertreterkrieges werden könnte. Die Kooperation zwischen Irak und Saudi-Arabien erfordert Fingerspitzengefühl und wohl überlegte Schritte. Iran will seinen Einfluss im Irak nicht verlieren, dessen Wiederaufbau aber auch nicht alleine finanzieren. Bagdad ist sich seiner Brückenfunktion zwischen Iran und Saudi-Arabien bewusst. Gute Beziehungen zu beiden Ländern könnten zum Abbau der regionalen Spannungen beitragen.

Kontinuierlicher Dialog auf unterschiedlichen Ebenen, strategische Kooperationsmöglichkeiten und ein gemeinsames Projekt – so könnte eine Annäherung zwischen den ewigen Rivalen am Golf aussehen.

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Markus A. Kirchschlager ist Research Fellow am GIGA Institut für Nahost-Studien in Hamburg. Er forscht gegenwärtig zu regionalen Charakteristika internationaler Konfliktmediation mit besonderem Fokus auf dem Nahen Osten und Südostasien. Kirchschlager hat ein besonderes Forschungsinteresse an Methoden gewaltfreier Konfliktlösung und Konfliktlösungsmechanismen von Regionalorganisationen.