Buchbesprechung

Globale Armutsbekämpfung – ein Trojanisches Pferd?

von Christine Schweitzer

Die Vereinten Nationen haben sich Anfang dieses Jahrtausends darauf verständigt, die Zahl der fast eine Milliarde Menschen, die hungern oder von weniger als einem US-Dollar täglich leben müssen, bis zum Jahr 2015 auf die Hälfte zu reduzieren. 23 Beiträge, die anlässlich ihrer Sommerakademie 2008 entstanden, hat das Österreichische Studienzentrums für Frieden- und Konfliktlösung zu der Frage zusammengestellt, ob die Weltgemeinschaft diesem Ziel näher kommt oder ob die globale Armutsbekämpfung letztlich in erster Linie ein Vehikel der mächtigen Staaten ist, ihre Interessen durchzusetzen. In sechs Teilen befasst sich das Buch mit den Zusammenhängen zwischen Armut, Krieg, Militärinterventionen und globaler Entwicklungs- und humanitärer Hilfe.

Einig sind sich dabei alle AutorInnen darin, dass zwischen Armut und Krieg ein enger Zusammenhang insofern besteht, als dass Krieg heute viel eher in armen als in reichen Ländern stattfindet. Damit ist nicht zwangsläufig gesagt, dass Armut eine Kriegsursache ist. In den einzelnen Aufsätzen werden hierzu und zu anderen Grundfragen durchaus unterschiedliche Sichtweisen deutlich. So gehen einige AutorInnen mit der Entwicklungshilfe sehr kritisch zu Gericht und argumentieren, dass sie zur Zerstörung lokaler Subsistenzwirtschaften geführt hat und noch führt, was die Menschen vor Ort verarmen lässt, während die reichen Länder im globalisierten Weltsystem von den Exporten aus armen Ländern profitieren. Andere beklagen eher, dass die von der EU und einzelnen Staaten zugesagten Hilfsvolumen bei weitem nicht eingehalten werden und sprechen, wie z. B. Dieter Senghaas, von den Chancen nachholender Entwicklung.

Sehr scharfe Worte finden einige Autoren in Bezug auf die Frage von Militärinterventionen und des im Rahmen der Vereinten Nationen entstandenen Konzeptes der ‚Verantwortung zu schützen – Responsibility to Protect’). So zitiert der Herausgeber des Bandes Thomas Roithner in seiner Einleitung den US-Strategen Thomas Barnett mit der Aussage: „Verliert ein Land gegen die Globalisierung oder weist es viele Globalisierungsschritte zurück, besteht eine ungleich größere Chance, dass die Vereinigten Staaten irgendwann Truppen dorthin entsenden werden.“[i] Und Elmar Altvater sagt in seinem Beitrag prägnant: „ Finanzkrise, Peakoil, drohender Klimakollaps und Zusammenbrüche der Versorgung mit Nahrungsmitteln und die damit im Zusammenhang stehenden Kriegsdrohungen und militärischen Interventionen erzeugen den Eindruck einer bevorstehenden Apokalypse. Es ist eine Paradoxie, dass sich die Mächte zu schützen versuchen, indem sie andere Weltregionen mit Krieg überziehen, um so ‚das Böse’ einzudämmen. Das Böse kommt aber nur scheinbar von aßen, es entspringt in der eigenen Welt. Daher ist das Konzept der responsibility to protect wenig hilfreich. Es verdeckt den globalen Kontext der Krisen der Menschheit und lenkt von der Verantwortung des Nordens ab.“ (84)

Positiv fällt in dem Band auf, dass ein eigener Teil der Ausätze der Europäischen Union und ihrer Rolle gewidmet ist und nicht, wie es manchmal in vergleichbaren Publikationen der Fall ist, alles Übel allein jenseits des Atlantik verortet wird.

Ein wenig enttäuscht der abschließende sechste Teil mit dem Titel „Wege aus Armut und Krieg. Was kann die Zivilgesellschaft und die Staatenwelt tun?“ Er enthält eher eine Fortsetzung der Analyse der Missstände als wirkliche Antworten auf die Frage des ‚Was tun?’. 

Das Buch enthält interessante Diskussionsbeiträge zu den skizzierten Themen und kann durchaus als Einführung für Menschen dienen, die sich einen Überblick über die Problematik verschaffen wollen. Die meisten der im Schnitt 15-seitigen Aufsätze sind gut und eingängig lesbar, wobei der Grad dessen, was im deutschen Sprachraum als Wissenschaftlichkeit daher kommt und sich in erster Linie durch die Zahl von Anglizismen und anderen Fremdworten pro Seite definiert, nur in wenigen Aufsätzen dominiert.

Eine abschließende Bemerkung muss noch gemacht werden: Leider sind die meisten Beiträge offensichtlich geschrieben worden, als die globale Finanzkrise noch nicht absehbar war. Dies fällt an einigen Stellen auf, wo sich beim Lesen die Frage aufdrängt, ob die Analysen nicht heute revidiert werden müssten, z. B. wenn Gerald Mader davon spricht, dass staatliche Eingriffe in Finanzmärkte heute ausgeschlossen werden (S. 21).

Österreichisches Studienzentrum für Frieden- und Konfliktlösung (Hg.) (2009) Globale Armutsbekämpfung - ein Trojanisches Pferd? Auswege aus der Armutsspirale oder westliche Kriegsstrategien? Projektleitung Thomas Roithner. Münster: Lit Verlag. ISBN 978-3-8258-1762-6. 368 S. EUR 9,80

 

Anmerkungen
[i] Thomas Barnett (2003) Die neue Landkarte des Pentagon. In: Blätter für deutsche und Internationale Politik, Berlin, Mai 2003

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.