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Machtkämpfe in der europäischen Waffenindustrie
"Ground Control to Major Tom. Your circuit's dead, there's something wrong"*
vonIn der gleichen Woche, in der der Friedensnobelpreis an die EU gegeben wurde, scheiterten aufgrund politischer Interessen in letzter Minute Fusionsverhandlungen über das, was Europa den weltgrößten Waffenhersteller beschert hätte. Die Vereinigung von EADS und BAE Systems hätte der europäischen Rüstungsindustrie geholfen, die Wirtschaftskrise und die amerikanische Konkurrenz zu überleben. Aber Angela Merkel fürchtete den Verlust an deutschen Arbeitsplätzen angesichts der 2013 bevorstehenden Wahlen. Die Fusionsverhandlungen gaben Einblick in die komplexe Beziehung zwischen ökonomischen, politischen und strategischen Interessen.
Die treibende Kraft hinter dem Fusionsversuch war der deutsche EADS-Chef Thomas Enders, der als ehemaliger Offizier der Luftwaffe auch als “Major Tom” bekannt ist. Zusammen mit seinem Gegenstück, BAEs Ian King, hätte er eine Gesellschaft mit 220.000 Angestellten und einer Einnahme von rund 94 Milliarden US-Dollar schaffen können. EADS und BAE arbeiten bereits in dem Eurofighter-Programm und in der Geschützfirma MBDA zusammen. Sie haben viel, auch eigene Mittel, in unbewaffnete Flugzeuge oder Drohnen investiert, den Verkaufsschlager der militärisch-aeronautischen Industrie. Zusammenarbeit bei dieser Technologie hätte ihnen eine Chance gegeben, die Vorherrschaft der USA und Israels zu brechen und eine „Euro-Drohne“ zu produzieren.
Der erste Rückschlag nach der überraschenden Ankündigung von Vereinigungsverhandlungen war der Fall des Aktienwertes von EADS, während die Aktien von BAE stiegen. Dies kann dadurch erklärt werden, dass BAE ein fast ausschließlich militärisches Unternehmen ist, und deshalb in rauer See manövriert aufgrund der Einsparungen im Rüstungssektor, die wegen der Krise in den meisten westlichen Staaten vorgenommen werden. EADS gibt hingegen nur 25% für militärische Produktion aus und ist am erfolgreichsten auf dem zivilen Markt mit seinem zivilen Flugzeug Airbus (den es auch in Tarnfarben gibt). Es ist der Erfolg von Airbus, der Investoren an EADS interessiert. Die Aussicht auf eine Vereinigung, die zu mehr militärischer Produktion führen würde, war anscheinend für die Aktionäre von EADS nicht attraktiv, während die BAE-Aktionäre sich über eine Rückkehr von Airbus freuten, den BAE 2006 verkauft hatte.
EADS Regierungsaktien
Nicht nur der Markt, auch die Politik reagierte vehement auf die Vereinigungspläne. EADS ist eine Gesellschaft, die teilweise in Regierungsbesitz ist: Frankreich hat einen direkten 22,5% Anteil, Deutschland einen indirekten durch Daimler-Benz. Und obwohl BAE Systems ein rein privates Unternehmen ist, hält die britische Regierung eine Sperrminorität, die ihr Vetorecht über jeden Zusammenschluss gibt. Einige Zeit versuchten Tom Enders und sein Vorgänger Louis Gallois vergeblich, die französische und deutsche Regierung dazu zu bewegen, diese Anteile aufzugeben und EADS zu einer normalen Firma zu machen, die auf dem Markt leichter zu handhaben wäre. Doch anscheinend haben die europäischen Regierungen nicht die Absicht, das zu tun. Auf diese Weise können sie die Übernahme wesentlicher europäischer Rüstungsproduktion durch fremde Investoren wie z.B. eine amerikanische Bank verhindern, wie es mit der HDW U-Boot Werft 2002 geschah.
Der Machtkampf zwischen EADS und der deutschen Regierung wurde schon im Januar 2012 hässlich, als der Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Peter Hintze, einen Brief an EADS schrieb, in dem er mehr Vorstandsposten für Deutsche forderte. Da er keine formale Macht über das Ernennungsverfahren hat, ging er so weit, damit zu drohen, Gelder für Entwicklung und Garantien für Exportkredite zu streichen, wenn solche Änderungen nicht erfolgten. Als er dazu auf der jährlichen Aktionärsversammlung im Mai befragt wurde, konnte Tom Enders kaum seine Irritation verbergen und war nicht Willens, zu antworten. Stattdessen verwies er auf Herrn Hintze, der “für seine Handlungen selbst verantwortlich” sei.
Für die französische Regierung wäre es undenkbar, ihren Anteil an EADS und ihre Macht aufzugeben, da das Unternehmen verantwortlich für die Atomwaffen der französischen Marine und Luftwaffe ist. Obwohl der finanzielle Wert relativ unerheblich ist, stellt diese Atomwaffenproduktion den Kern der Beziehungen zwischen EADS und dem französischen Staat dar. In seiner Abschiedserklärung auf dem Aktionärstreffen drückte der das Unternehmen verlassende Direktor Louis Gallois seinen extremen Stolz darüber aus, dass dieses “gaullistische Erbe” ein EADS-Produkt sei. Wäre die Vereinigung von EADS und BAE vollzogen worden, würde das neue Unternehmen nukleare Systeme für beide europäischen Atommächte herstellen, da BAE für die Atomwaffen-bestückten U-Boote Großbritanniens zuständig ist, die in Faslane liegen.
Aber anders als die deutsche Regierung hatte die französische keine Probleme mit einer Vereinigung, vorausgesetzt, sie hätte auch Macht über das neue Unternehmen gehabt.
Britisch-amerikanische Freundschaft
Einer der Hauptgründe, warum EADS sich mit BAE vereinigen wollte, ist wahrscheinlich BAEs gute Position in den USA. BAE erzielt über 40% seines Einkommens in den USA. EADS will auch in dem lukrativen amerikanischen Markt besser Fuß fassen. Es hat EADS Nord Amerika gegründet und kauft sich in amerikanische Firmen ein. Doch man sollte bemerken, dass dies nicht so weit geht, dass US-Amerikaner leitende Posten in EADS bekämen. Der EADS-Vorstand ist weiterhin ausschließlich europäisch mit einer delikaten Balance der Nationalitäten besetzt. Um zu verhindern, dass das Unternehmen nach der Ersetzung des Franzosen Louis Gallois durch den deutschen Thomas Enders “zu deutsch” werde, wurde z.B. der französische frühere Chef der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, in den Vorstand berufen.
Während EADS durch eine Vereinigung auf dem amerikanischen Markt gewonnen hätte, hätte BAE vielleicht verloren. Es riskierte seine guten Beziehungen mit dem Pentagon. Die Amerikaner sind immer sehr eigen darin, mit wem sie Verteidigungstechnologie teilen, und die bevorzugte Behandlung der Briten wurde bedroht, als der Vereinigungsplan mit einer “von Regierungen kontrollierten” Firma bekannt wurde. Technisches und strategisches Know-How mit einer britischen Firma zu teilen, ist eine Sache, sie mit der deutschen und französischen Regierung zu teilen, eine andere. BAEs größter Aktionär, Invesco Perpetual, der 13% Anteil an BAE hält, drückte seine Besorgnis über den Vereinigungsplan und seine Auswirkungen auf Bestellungen für BAE in den USA aus.
Nicht nur das Pentagon, auch konservative britische Parlamentarier waren besorgt darüber, dass die französische und deutsche Regierung Kontrolle über BAE Systems, das “Kronjuwel” der britischen Rüstungsindustrie, erlangen würden. Einige Konservative starteten sogar eine Petition, um BAE britisch zu erhalten. Die britische Regierung auf der anderen Seite unterstützte die Vereinigung, da sie die ökonomischen Vorteile von großen Forschungs- und Produktionskapazitäten sah. Zu jedermanns Überraschung stimmten die Briten einem 9-prozentigen Anteil jeweils für Deutschland und Frankreich in dem neuzugründenden Unternehmen zu.
Standortfragen
Die Verteidigungsabteilung von EADS, Cassidian, ist vor allem bei stark regional verankerten deutschen Unternehmen angesiedelt, einschließlich Daimler-Benz mit seinen 11.000 Angestellten. Der französische Teil von Cassidian hat nur 2.000 Angestellte. Tom Enders gelang es nicht, die deutsche Sorge auszuräumen, dass die neue Firma Arbeitsplätze von Deutschland nach Frankreich und England verlagern würde. An einem Punkt verlangte die deutsche Regierung sogar, dass der EADS Hauptsitz nach München umziehen solle. Das war für die Franzosen und die Briten unvorstellbar. Streit um den Hauptsitz ist typisch für die Delikatheit der nationalen Machtbalance in dem Unternehmen. Zu einem früheren Zeitpunkt hatte Thomas Enders vergeblich versucht, die Stammsitze von EADS von Paris und München nach Toulouse zu verlagern, der Produktionsstätte des Verkaufsschlagers Airbus. Ein Umzug nach München wäre auch für Arnaud Lagardère unbequem gewesen, von dem man sagt, dass er nie an einem Vorstandstreffen außerhalb von Paris teilnehme. Der juristische Hauptsitz von EADS ist übrigens Leiden in den Niederlanden. Nicht weil, wie EADS es behauptet, dies “neutraler Boden” für eine internationale Gesellschaft sei, sondern wegen den gegenüber multinationalen Firmen sehr freundlichen niederländischen Steuergesetzen, die es EADS erlauben, sehr wenig Steuer in den Produktionsländern zu zahlen.
Ist es gut oder schlecht, dass die Vereinigung scheiterte?
Die Vereinigungsverhandlungen erschütterten die Landschaft der europäischen Rüstungsindustrie. Es wird erwartet, dass EADS seine Rüstungsproduktion auf jeden Fall ausweiten wird, entweder durch gemeinsame Projekte mit BAE und/oder durch Zukäufe. Analysten sehen EADS Cassidian allein als zu klein und schwach in Fragen der Technologie an, und als zu abhängig von der deutschen Regierung. Eine Restrukturierung der europäischen Rüstungsindustrie könnte auch die anderen beiden großen Waffenhersteller, Finmechannica und Thales, mit einbeziehen. Für BAE wurden die Vereingungsgespräche weithin als ein Schild “zu verkaufen” gesehen, das man nur schwer wieder abnehmen kann.
Aus einer friedensbewegten Perspektive ist es positiv, dass sich der Regierungseinfluss auf die Rüstungsindustrie bestätigte. Dies gibt eine, wenngleich begrenzte, Chance, demokratische Kontrolle über das Profitstreben von Rüstungsherstellern auszuüben. Freies Unternehmertum für die Rüstungsindustrie ist eine besorgniserregende Perspektive.
Ein Zusammenschluss von EADS und BAE hätte die Machtposition der europäischen Rüstungsindustrie gestärkt. In einer politischen Landschaft, in der die USA weniger Europa-orientiert sind und mehr nach Asien schauen, hätte der gesunkene Druck der USA auf Europa, sich bis zum Level der USA zu bewaffnen, durch die verbundenen Lobby-Bemühungen von EADS und BAE ersetzt werden können. EADS spielt schon jetzt gerne die europäische Karte. Im Vorlauf auf den NATO-Gipfel in Chicago schlugen Direktoren von EADS' Raumfahrtabteilung Astrium vor, dass die europäische Rüstungsindustrie einen europäischen Beitrag zu dem geplanten Abschirmschild der NATO leisten könnte, und dass “eine finanzielle Verpflichtung erforderlich” sei. Auf einem Treffen der europäischen Rüstungslobby-Organisation ADS in Brüssel verlangte EADS-Chef Gallois mehr gemeinsame europäische Beschaffung, um der europäischen Rüstungsindustrie zu einem Vorteil in ihrer Größe zu verschaffen und damit sie wettbewerbsfähiger gegenüber amerikanischen Unternehmen zu machen. Ein Rüstungsriese aus BAE und EADS hätte die Lobby für ein militarisierteres Europa gestärkt.
* David Bowie – Space Oddity