Ostermarsch 1990: z.B. Rheinland

Hardthöhe in Liquidation

von Mani Stenner

"Wir stehen hier vor einem Großkonzern, der historisch bankrott ist", stellte Dorothee Sölle vorm Verteidigungsministerium fest. Am Ostermontag versuchten gut 2000 OstermarschiererInnen aus dem Rheinland das Ende von Bundeswehr und Rüstungsindustrie einzuläuten und den Gedanken an eine BRD ohne Armee als realistische Perspektive salonfähig zu machen. Gleichzeitig schrieb die Presse den Ostermärschen nach 30 Jahren wegen sinkender Beteiligung, Ziellosigkeit und angeblicher Überflüssigkeit den Abgesang.

Sehr symbolisch mischten allerorten starker Gegenwind, Wolkenbrüche und Hagel bei den Osteraktivitäten mit. Was viele Presseleute fragten, betrifft natürlich auch die Menschen, die sich sonst an den Aktionen beteiligt haben: "Die Abrüstung läuft doch schon, weshalb dann noch die Ostermärsche?". Der Gorbi-Effekt, der rasende Prozeß des Anschlusses der DDR und der Westorientierung der bisherigen Ostblockländer, die geschickte Abrüstungsrhetorik Genschers, tatsächlich geplante Truppenreduzierungen und die KSZE-Gespräche: Abrüstung scheint als Automatismus möglich, viele würden es scheint`s auch gern den Politikern überlassen. Das bläst natürlich der Friedensbewegung als Grundstimmung ins Gesicht, die zur Zeit ihre anderslautenden Bewertungen (tatsächliche Umrüstung und Effektivierung statt Abrüstung, Hegemonialbestrebungen von BRD und NATO, neue luftgestützte Atomraketen gegen das Kernland der UdSSR und schnelle Eingreiftruppen gegen die III. Welt, ...) nicht "rüberbringen" kann. So konnte die Informationsstelle in Frankfurt trotz erstmals gesamtdeutscher Ostermärsche mit ca. 90.000 nur noch die knappe Hälfte der TeilnehmerInnenzahl des Vorjahres vermelden.
Dieses "Mobilisierungsdilemma" betrifft z.Zt. nahezu alle Aktionen der sozialen Bewegungen, gefragt sind deshalb Veranstaltungen mit Phantasie, die in der Öffentlichkeit auch ohne die Beteiligung von Tausenden Ausstrahlung haben. Der Ostermarsch Rheinland mag da ein Beispiel in die richtige Richtung sein, immerhin stand dort auch in der Presseberichterstattung nicht die Zahl, sondern Aktion und Aussage im Vordergrund.

Stoltenberg hebt ab
Klipp und klar war die zentrale Aussage auf der Hardthöhe und da brauchte man auch keine Raketen, Panzer und Fliegenbeine mehr zu zählen: "Es geht auch ohne Armee", der gesamte Ramsch gehört auf den Schrotthaufen, Bundeswehr und Rüstungsinsdustrie haben jeden Boden unter den Füßen verloren, Soldaten in die Produktion! Für einen Tag war auf der Hardthöhe Stimmung für die sofortige Auflösung. Schauspieler und Rezitator Lutz Görner hatte während des Vortrags von Brecht`s "Kinderkreuzzug" die gemeinsame Konzentration gebündelt und das Ministerium hob mit Lärm und Düsengetöse ab. Die Aktion "schwebendes Ministerium" war nur einer der Höhepunkte. Ballons um das Ministerium, das U-Boot "SMS Stoltenberg" (made in South-Afrika), ein Kriegsspielzeug-Sandkasten als "Bundeswehr-Simulator" für die Unverbesserlichen, der Kranwagen und das ganze "friedenspolitische Feldlager" vor der unzeitgemäßen Burg Stoltenbergs hatten Ausdruckskraft für sich. Die gemeinsame Stimmung wurde schon zu Beginn der Kundgebung mit der Enthüllung des Bonner Deserteur-Denkmals direkt vorm Haupttor des BMVg verkörpert: "Jeder Soldat ist ein potentieller Deserteur". Anschließende Überraschungsgäste: Wolf Maahn mit einem Revival seiner Band "Die Deserteure". Politisch eigenständig auch die musikalischen Beiträge aus der DDR: die Rocktruppe "Herbst in Peking" hatte letztes Jahr noch Ärger mit dem Stasi. Das Potsdamer "Konrad-Quartett" hatte am Vorabend das erste Bonner Ostermarsch-Kammerkonzert veranstaltet.
Fast hätte es der Redebeiträge gar nicht mehr bedurft, um die politischen Aussage auf den Punkt zu bringen. Fritz Hollstein, unter der NS-Wehrmacht im berüchtigten Strafbataillon 999, erinnerte an die Fortsetzung der Diffamierung anhand der Auseinandersetzungen um das Deserteur-Denk-mal. Mußte Dorothee Sölle feststellen "Hier bewegt sich nichts", so konnte Johannes Schönherr vom Abrüstungs- "Appell der 89" darauf verweisen, daß wenigstens auf diesem Gebiet die DDR "die Nase vorn" hat. Und auch in der Schweiz ist ja immerhin "ein kleines Politwunder geschehen", so Roland Erne von der GSoA, 35,6 % der Eidgenossen stimmten für das Volksbegehren "für eine Schweiz ohne Armee und eine umfassende Friedenspolitik". Roland zum Schluß: "Gehen wir auf diesem Weg gemeinsam weiter!"

Mit dem Auftakt für diese neue Arbeit waren die Aktiven im Rheinland ganz zufrieden. Immerhin ist ja mit dem Wegfall der früher dominanten organisatorischen Hilfe aus dem DKP-Spektrum einiges schwieriger (und teurer) geworden. Im Rheinland führte das aber auch zu einem Solidaritätsschub: Viele gaben ihr Scherflein dazu und so kam die ganze Aktion über die Bühne und sogar (knapp) finanziell über die Runden.            ¯

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