Verbot von Atomwaffen

Historischer Schritt in der Friedenspolitik

von Anne Balzer
122 Staaten verabschiedeten im Juli 2017 einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen
122 Staaten verabschiedeten im Juli 2017 einen Vertrag zum Verbot von Atomwaffen

Endlich: Am Freitag, den 7. Juli 2017 haben die Vereinten Nationen in New York ein historisches Abkommen beschlossen: Atomwaffen sind ab jetzt international verboten. „The Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons (TPNW)“. Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen wurde um 10:50 Uhr Ortszeit verabschiedet.

Zunächst sollte der Vertrag im Konsens angenommen werden. Doch die Niederlande forderten eine Abstimmung, da sie den Auflagen auf Grund ihrer Teilhabe an der Nuklearen Abschreckung im Rahmen der NATO nicht nachkommen konnten. Im Ergebnis stimmten 122 Staaten für die Annahme des Vertrages, Singapur enthielt sich und die Niederlande stimmten dagegen. Nachdem das Ergebnis auf den Bildschirmen aufleuchtete, atmeten viele Delegierte im Saal auf. Zwar stand nicht in Frage, dass der Vertrag mehrheitlich angenommen werden würde, aber allen Anwesenden waren sich des historischen Moments bewusst.

Bedeutung des Vertrages
Mit dem Vertrag vollzieht sich eine Wende in der Nuklearpolitik. Menschliche Sicherheit und die katastrophalen humanitären Folgen von Atomwaffen stehen zum ersten Mal im Zentrum eines internationalen Abrüstungsvertrages. Maßgeblich für diesen Prozess waren die internationale Zivilgesellschaft und Staaten, die keine Atomwaffen besitzen. Sie haben nun den Aufstand gegen die Nuklearmächte gewagt und eine neue Ära in der Abrüstungspolitik eingeleitet.

Fortschritte in der Abrüstungspolitik gab es in letzter Zeit kaum noch. Das Ziel einer atomwaffenfreien Welt, einst vom damaligen US-Präsident Barack Obama proklamiert, verblasst immer mehr. Gleichzeitig nehmen die Spannungen zwischen Russland und den USA sowie zwischen den USA und Nordkorea zu.

Das Vertragswerk
Die Präambel des nun beschlossenen Abkommens erklärt, dass die katastrophalen Folgen eines Einsatzes und die Risiken, die die schlichte Existenz der Atomwaffen mit sich bringen, ein Verbot von Atomwaffen rechtfertigen.

Im ersten Vertragsartikel sind Entwicklung, Herstellung, Erwerb, Besitz, Lagerung, Weitergabe, Einsatz und Tests von Atomwaffen verboten. Auch jegliche Unterstützungsleistungen hierzu werden untersagt.

Hinzu kommen das Verbot der Einsatzdrohung „use or threaten to use“ (Art. 1.(d)), womit jede Politik der Abschreckung eindeutig delegitimiert wird, sowie das Verbot der Stationierung in Art. 2. Damit handelt künftig auch die Bundesregierung mit der nuklearen Teilhabe in der NATO und der Verfügung über US-Atomwaffen in Deutschland gegen geltendes Völkerrecht. Eine seit Jahrzehnten juristisch hoch umstrittene Praxis findet damit eine eindeutig völkerrechtliche Klärung. Damit setzt der Vertrag einen Kontrapunkt zu den weltweiten Aufrüstungsdynamiken und der Renaissance des nuklearen Wettstreits der Großmächte.

Opferschutz und Umweltrehabilitation
Der Vertrag sieht umfassende Verpflichtungen aller Staaten zur Sorge für Opfer von Atomwaffeneinsätzen und –tests vor. Dies umfasst medizinische und psychologische Unterstützung, Rehabilitation und vor allem auch Schutz vor Diskriminierung. Außerdem wird ein bisher kaum beachteter Aspekt nun geregelt: Die Staaten werden in dem Vertrag auch zur Umweltrehabilitation verpflichtet. Ein weiteres Novum ist die Anerkennung von genderbezogenen Auswirkungen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen und Mädchen von den Folgen eines Atomwaffeneinsatzes oder eines Tests stärker betroffen sind.

Eliminierung und Verifikation
Laut Verhandlungsmandat der UN-Vollversammlung sollte ein Vertrag zum Verbot von Atomwaffen verhandelt werden, der auch einen Beitrag zur Eliminierung dieser Waffen leisten kann. Der entstandene Vertragstext orientiert sich nun an anderen Verträgen, die Massenvernichtungswaffen ächten, wie die Konventionen zu chemischen und biologischen Waffen, sowie an dem Anti-Personenminenvertrag und dem Streumunitionsvertrag. Diese Formulierungen hatten viele Staaten somit schon einmal akzeptiert. Damit war die Voraussetzung für einen Konsens gegeben.

Die Verifikation ist an den Atomwaffensperrvertrag angelehnt. Alle bereits bestehenden Abkommen mit der IAEO werden mit dem Beitritt zum Atomwaffenverbotsvertrag einfach übernommen. Wenn ein Staat das zusätzliche Protokoll zum sogenannten Safeguards-Abkommen unterzeichnet hat, gilt dieses ebenfalls weiter. Jede Vertragspartei muss zumindest ein einfaches Safeguards-Abkommen ohne Zusatzprotokoll abschließen beziehungsweise abgeschlossen haben.

Zwar kam die Forderung auf, dass alle beitretenden Staaten das Zusatzprotokoll unterschreiben müssten. Aber der Verbotsvertrag sollte nicht mit diesem Streit belastet werden. Diese Debatte soll lieber im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags weitergeführt und gelöst werden.

Einbindung der Atomwaffenstaaten
Die größte Herausforderung, die Einbeziehung der Atommächte, bleibt zunächst bestehen. Hierfür schafft der Text eine solide Grundlage. Der Vertrag lässt zwei Möglichkeiten zum Beitritt zu. Der erste Weg beschreibt den sogenannten „join and destroy“-Ansatz. Demnach kann sich ein Atomwaffenstaat dem Vertrag zuerst anschließen und danach seine Atomwaffen eliminieren. Ein Atomwaffenstaat, der plant, dem Vertrag beizutreten, muss alle Informationen über seinen Atomwaffenbestand offenlegen, seine Atomwaffen außer Betrieb nehmen und einen Plan vorlegen, wie sie zerstört werden sollen. Der Zeitraum für die Eliminierung soll begrenzt sein. Dieser ist jedoch noch nicht im Vertrag definiert und muss dann im spezifischen Fall ausgehandelt werden. Die Organisation, die die Zerstörung überprüft und mit dem Staat aushandelt, wie viel Zeit benötigt wird, ist ebenfalls noch nicht benannt. Es ist jedoch auch möglich, andersherum vorzugehen: erst abrüsten und danach dem Vertrag beitreten („destroy and join“).

Offenheit des Vertrages
Die Strategie im Vertragstext, vieles offen zu halten, lässt Atomwaffen- und anderen Staaten später mehr Spielraum, ihren Beitritt zu verhandeln. Ein allzu detaillierter Vertragstext könnte spätere Prozesse erschweren und blockieren. Trotzdem behalten die Vertragsparteien die Kontrolle über den weiteren Prozess.

Für die Staaten, die momentan im Rahmen der nuklearen Teilhabe Atomwaffen lagern und Infrastruktur sowie Trägersysteme zur Verfügung stellen, gibt es auch explizit einen Weg zum Beitritt. Sie müssen zuerst und innerhalb einer bestimmten Zeit den Abzug der Atomwaffen veranlassen.

Kritische Aspekte des Vertrages
Problematisch ist die Verankerung des Rechts auf zivile Nutzung von Nukleartechnologie in der Präambel. Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen hat weder die Aufgabe, noch die Kapazitäten, die zivile Nutzung so umfassend wie nötig zu regeln. In diesem Fall hat man es verpasst, eine Lehre aus dem Atomwaffensperrvertrag zu ziehen. Denn die Verbreitung von Atomenergie trägt wesentlich zur Proliferation von Atomwaffen bei.

Ein weiterer Schwachpunkt ist die Möglichkeit des Austritts aus dem Vertrag. Hier zeigt sich, dass der Verhandlungsprozess kein einfacher war. Die Austrittsklausel ist ein Kompromiss, den ehrgeizige Staaten letztlich für eine größere Zahl an Unterzeichnern eingehen mussten. Die Zeitspanne, um aus dem Vertrag auszutreten, ist mit zwölf Monaten zwar kürzer als ursprünglich gefordert, aber zumindest länger als in vergleichbaren Verträgen. Außerdem ist kein Austritt in Zeiten möglich, in denen der betreffende Staat in einen bewaffneten Konflikt involviert ist. Diese Klausel wurde aus dem ATT-Vertrag (Arms Trade Treaty) übernommen. Die Hürden für einen Austritt sind somit also trotzdem relativ hoch.

Insbesondere aus der Zivilgesellschaft kamen Forderungen nach einem Verbot der Finanzierung von Atomwaffen. Ein vertraglich festgelegtes Verbot der Finanzierung hätte zukünftige De-Investition erleichtert. Jedoch hätte dieses explizite Verbot der Finanzierung eine zu große Hürde für den Beitritt mancher Staaten werden können. Ein weiteres Argument gegen eine Verankerung im Vertrag war, dass die Finanzierung schon durch das Verbot der Hilfeleistung abgedeckt sei und damit nicht separat aufgelistet werden müsse.

Wie geht es jetzt weiter?
Ab jetzt erheben die atomwaffenfreien Staaten ein Recht auf Mitsprache in der nuklearen Abrüstung. Der Vertragstext macht den Weg frei für ein umfassendes Kontroll- und Verifikationsregime, das für alle gleichermaßen gilt. Denn bisher mussten sich nur Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, Sicherheitsvorkehrungen unterziehen. Jetzt wurde die Grundlage dafür geschaffen, dass auch Atomwaffenstaaten in die Pflicht genommen werden.

Natürlich werden die bestehenden Atomwaffen nicht von heute auf morgen verschwinden. Abrüstung ist ein langer Prozess. Doch der Vertrag gibt einen neuen Anstoß. Und viel mehr noch geht es hier um eine Änderung des Diskurses. Durch die Aberkennung der vermeintlichen Legitimität der Atomwaffen, die aus dem Atomwaffensperrvertrag stammt, wird auch die nukleare Abschreckung in Frage gestellt.

Der Vertrag zum Verbot von Atomwaffen schließt eine völkerrechtliche Lücke, die trotz des Endes des Kalten Krieges über Jahrzehnte nicht überwunden wurde. Bio- und Chemiewaffen sind schon lange verboten, ebenso Landminen und Streumunition. Doch Atomwaffen waren bislang erlaubt.

Die atomwaffenfreien Länder sind sich nun ihrer Gestaltungsmacht bewusst geworden und haben im Juli Geschichte geschrieben. Dennoch muss sich der Vertrag zunächst im internationalen Völkerrecht etablieren und argumentativ angewendet werden. Dazu bieten die Konferenzen zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags den richtigen Rahmen. Mit dem Verbotsvertrag haben die atomwaffenfreien Staaten jetzt endlich ein Instrument, um mehr Druck auf die Atomwaffenstaaten in Bezug auf ihre Abrüstungsverpflichtung auszuüben.

Auch die Zivilgesellschaft kann den Vertrag in ihrer Arbeit nutzen. Atomwaffenstaaten und ihre Bündnispartner können sich nicht mehr auf schwache, immer wieder reproduzierte Argumente der „Realpolitik“ stützen. Sie sind nun politisch verpflichtet, sich mit dem Atomwaffenverbot auseinanderzusetzen. Regierungen und Parlamente werden künftig immer wieder prüfen müssen, ob sie nicht zum gleichen Schluss wie bereits 122 andere Staaten kommen: Dass Atomwaffen abgeschafft gehören.

Der Vertrag soll am 20. September 2017 in Anwesenheit der Außenminister bei der UN-Vollversammlung feierlich zur Unterschrift freigegeben werden. Notwendig sind 50 Ratifizierungen, damit der Vertrag 90 Tage später in Kraft tritt.

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Im Blickpunkt
Anne Balzer studiert Politikwissenschaften im Master an der Freien Universität Berlin.