Inspiziert die Atomwaffenlager!

von Maren Witthoeft
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"Man könnte einwenden, daß wir mit dieser eigenverantwortlichen Inspektion zu weit gegangen und deshalb im Unrecht seien. Doch wenn wir im Unrecht sind, dann ist der höchste Gerichtshof dieser Welt im Unrecht, denn dieser hat am 8. Juli letzten Jahres festgestellt, daß die Drohung mit Atomwaffen grundsätzlich völkerrechtswidrig, also illegal ist. Wenn wir im Unrecht sind, dann ist die gesamte Völkergemeinschaft dieser Welt im Unrecht, denn seit Gründung der UNO vor 51 Jahren wurde in der UNO-Vollversammlung mehr als 40 Mal mit meist großer Mehrheit die vollständige Abrüstung aller Atomwaffen gefordert, weil sie gegen geltende Völkerrechtsnormen und Verträge verstoßen und sogar den Fortbestand der Menschheit in Frage stellen."

Mit dieser Überzeugung und angesichts der nach wie vor bestehenden Bedrohung durch die einsatzbereit gehaltenen Atomwaffen und nicht zuletzt gestärkt durch den Beschluß des Internationalen Gerichtshofes (IGH) in Den Haag, hat am 20. April ein "Inspektionsteam" mit Gutachten und Blumentöpfen unterm Arm den Fliegerhorst Büchel in der Eifel inspiziert.

Dieser Fliegerhorst des 33. Jagdbombergeschwaders der Bundeswehr ist nämlich zugleich Depot für 11 US-Atomsprengköpfe vom Typ B-61*, die eine Gesamtsprengkraft von etwa zwei Megatonnen haben. Mit 36 für den Atomwaffeneinsatz ausgerüsteten Tornados der Bundeswehr üben hier deutsche Soldaten den Atomkrieg mit US-Atombomben an Bord. Daß sie durch diese faktische nukleare Teilhabe durch die Hintertür deutsches wie internationales Recht brechen, scheint in Büchel bisher ebensowenig zu interessieren wie der Völkerrechtsbruch durch die Stationierung und die Einsatzplanung von Atomwaffen.

Nach neuesten Studien* gibt es noch etwa 200 NATO-Atomwaffen in Europa. In der Bundesrepublik lagern derzeit nach Schätzungen von Friedensforschungsinstituten noch mindestens 80 Atomsprengköpfe. Stationiert sind sie auf der US-Basis Ramstein, im Atomwaffenlager Spangdahlem bei Trier, in Brüggen, wo britische Atomsprengköpfe lagern, und, wie gesagt, in Büchel. Die NATO-Strategie sieht ebenso wie die Nuklearstrategie Rußlands bekanntlich auch den Ersteinsatz von Atomwaffen vor, was nach einstimmigem Beschluß des IGH gegen geltendes Völkerrecht verstößt.

Die Gewaltfreie Aktion Atomwaffen abschaffen (GAAA) möchte diesem vorsätzlichen Bruch geltenden Völkerrechts nicht mehr tatenlos zusehen und hat damit begonnen, den Beschluß des IGH symbolisch in die Tat umzusetzen. In einem Brief des Aktionsbündnisses an den Bundeswehrkommandanten des Fliegerhorstes heißt es: "Wir halten es für vordringlich, zunächst die genauen Sachverhalte auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst und auch auf dem von der US-Army kontrollierten Militärareal innerhalb des Geländes zu erfassen und zu dokumentieren. Denn das Grundgesetz verpflichtet uns als BewohnerInnen des Bundesgebietes unmittelbar dazu, für die Einhaltung der Regeln des Völkerrechts zu sorgen. Aus diesem Grunde haben wir begonnen, ein Inspektionsteam zusammenzustellen."

Nachdem ein erstes Inspektionsteam, in Begleitung des Oberstleutnants a.D. Lothar Liebsch, der selbst über Jahrzehnte die Aufsicht über ein Atomwaffenlager hatte, heute Mitglied des Darmstädter Signals ist und Politologie studiert, am 19. April dem Atomwaffenlager im Fliegerhorst einen angemeldeten und hochoffiziellen Besuch abstatten wollte, ihm der Zutritt zum Gelände allerdings verwehrt wurde, hat ein 18köpfiges Team am 20. April das Atomwaffenlager Büchel gewaltfrei "inspiziert". Nach anfänglichen Schwierigkeiten angesichts des großen Polizeiaufgebotes überwanden die Inspektoren in kleinen Gruppen schließlich den Maschenzaun, der das Lager weiträumig umgibt, indem sie ihn mit Bolzenschneidern durchtrennten oder unten durchkrochen. Die "ehrenamtlichen Gerichtsvollzieher des IGH" - zwischen 18 und 71 Jahre alt - konnten allerdings nicht bis in den inneren Bereich des Geländes gelangen, wo die Atomwaffen in Bunkern gelagert werden. Einige wurden bereits nach wenigen Minuten, andere erst nach einer halben Stunde von Bundeswehrsoldaten entdeckt und zur Aufnahme der Personalien festgehalten und durchsucht. Ein Team konnte dem wachhabenden Offizier das Gutachten des IGH und ein Flugblatt der GAAA überreichen. Zwei Aktivisten berichteten, daß sie auf dem Gelände von einem offensichtlich verängstigten und zitternden Bundeswehrsoldaten mit entsicherter Waffe zum Stehenbleiben aufgefordert worden waren. Erst als dieser sich mehrfach davon überzeugt hatte, daß sie nicht bewaffnet waren, hätte er die Waffe gesichert und eingesteckt.

Unterstützt wurde das Inspektionsteam von einer etwa 50köpfigen Gruppe, die direkt an der Aktionsvorbereitung beteiligt war, und einer Demonstration vor dem Haupttor des Militärgeländes. Etwa 150 Menschen waren dem Aufruf des Aktionsbündnisses GAAA gefolgt, für die Abrüstung der einsatzbereit gehaltenen Atomwaffen an die Öffentlichkeit zu gehen. Jene, die das Anliegen zwar unterstützen wollten, aber nicht vor Ort sein konnten, hatten ihre Solidarität mit ihrer Unterschrift auf großen Haus- und Schraubenschlüsseln aus Pappkarton zum Ausdruck gebracht. Die etwa 360 Schlüssel, die den Zaun vor dem Haupttor schmückten, sollten den Willen des Aktionsbündnisses symbolisch unterstreichen, das Atomwaffenlager endlich gemäß Völkerrecht zu schließen und zu demontieren.

Ob es zur Anzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch kommen wird und damit die Möglichkeit besteht, die Stationierung von Atomwaffen vor Gericht zu bringen, war bei Redaktionsschluß allerdings noch fraglich. Die örtliche Polizei, die dem Anliegen der AktivistInnen im allgemeinen wohlgesonnen schien, wird die Sache nur dann weiterverfolgen, wenn die Bundeswehr Strafanzeige stellen wird.

Aber unabhängig davon, ein Erfolg war die Aktion in jedem Fall: Der Zustand der illegalen Stationierung von Atomwaffen und der IGH-Beschluß sind wieder ein wenig mehr in die öffentliche Debatte, ins Bewußtsein der örtlichen Bevölkerung, der Polizei und vielleicht auch der Soldaten gerückt. Und das Aktionsbündnis wird nicht locker lassen, bis die Atomwaffen abgezogen werden. "Falls die atomare Abrüstung in Büchel nicht umgehend erfolgt, werden wir am 9. August im Rahmen eines internationalen Aktionstages gegen Atomwaffen unsere Aktion fortsetzen", heißt es in einer Erklärung der GAAA.

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Maren Witthoeft ist freie Journalistin und lebt in Stuttgart.