Dem „Fleischwolf“ entkommen

Internationales Netzwerk für Soldaten im Ukraine-Krieg

von Franz Nadler

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (KDV) ist mittlerweile im Prinzip international anerkannt. Aber es gibt weiterhin Staaten, die es beharrlich ablehnen, wie z.B. die Türkei und Eritrea. Aber auch wenn es das Recht gibt, ist es oftmals sehr eingeschränkt und verschlechtert sich zusehends im Krieg.

Es tut sich ein weites Feld der möglichen Unterstützungsarbeit auf. Das soll am Beispiel des aktuellen Ukraine-Krieges aufgezeigt werden.

Das Recht auf KDV gibt es in den am Krieg beteiligten Staaten Russland, Ukraine und Belarus. Aber: Soldaten sind davon ausgeschlossen, der Antrag muss vor der Einberufung gestellt werden. In der Ukraine ist es zudem auf Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften beschränkt. So ist es dazu gekommen, dass mittlerweile mehrere Kriegsdienstverweigerer zu z.T. mehrjährigen Haftstrafen (auf Bewährung) verurteilt worden sind. Bewährung heißt in diesem Fall, dass sie wieder einberufen werden können – und falls sie dann wieder verweigern, die Haft antreten müssen. Es tut sich ein Teufelskreis auf, der im Prinzip dazu führt, entweder ein Leben in der Illegalität führen zu müssen, was mit jederzeitiger Verhaftung einhergehen kann – oder eben das Land zu verlassen und andernorts um Schutz nachzusuchen.

Aber: Kriegsdienstverweigerung ist kein Asylgrund. In Deutschland müssen schon gewichtige weitere Gründe hinzukommen, damit das möglich wird.

Trotz Kriegsdienstpflicht lehnen Zehn-, wenn nicht gar Hunderttausende, ihre Teilnahme am Krieg ab. Darunter sind auch Soldaten, die, nachdem sie den „Fleischwolf“ erlebt haben, nichts wie weg möchten. Die Gründe umfassen eine enorme Bandbreite. „Universelle Pazifisten“ oder Angehörige akzeptierter pazifistischer Religionen sind wohl nur die wenigsten.

Da ist es gut, dass es in allen Ländern seit Jahren bestehende, wenngleich kleine, Beratungsstrukturen (inkl. Anwälten) gibt. Darüber erfahren wir auch, was sich jeweils gerade tut. Allerdings sind die Aktiven einem enormen Druck ausgesetzt und müssen selbst vielfach fliehen. Wer in Russland als „ausländischer Agent“ gebrandmarkt ist, muss mit jederzeitiger Verhaftung rechnen.

Die Verweigerer, die die jeweiligen Länder legal, oder oft auch illegal mit z.T. horrenden Bestechungssummen verlassen, brauchen Unterstützung, um den Aufenthalt zu legalisieren, den Lebensunterhalt zu gewährleisten und um eine weitere Perspektive zu bekommen. Da ist es gut, dass es jetzt in den Hauptzufluchtsländern Beratungsstellen gibt, so z.B. in Litauen, Lettland, Georgien, Türkei, Israel… Sie sind zumeist von den Betroffenen selbst initiiert, unterstützt von Exilleuten und Antikriegs- und Kriegsdienstverweigerungs-Organisationen. Dabei sehen wir es als unsere Aufgabe an, die verschiedenen Hotspots miteinander zu vernetzen und gemeinsame Initiativen zu entwickeln.

Ein großes Problem bei all dem ist, dass die kriegführenden Staaten kein Interesse daran haben, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung auch nur bekannt zu geben. Kaum jemand weiß davon. Und auch die Beratungsstrukturen sind nicht so bekannt, wie es sein sollte. Unsere Angebote erreichen die Schutzsuchenden über die klassischen Medien (Flugblätter, Aufrufe, Zeitungsartikel) oftmals nicht. Junge Leute benutzen fast ausschließlich Soziale Medien. So haben wir unser Angebot diesbezüglich in den letzten Monaten enorm erweitert. Über die Sozialen Medien wird auch die Info-Hotline beworben, wo man Erstinformationen auf Russisch, Englisch und Deutsch erhalten kann.

Ukrainer*innen haben bislang ein allerdings befristetes Aufenthaltsrecht, deswegen haben sie momentan kein Problem. Wir erleben von dieser Seite vor allem Nachfragen, wie Männer zwischen 18 und 60 Jahren angesichts des Ausreiseverbots das Land verlassen können.

Bei russischen Deserteuren ist ein Erfolg zu vermelden: Sie bekommen Asyl. Allerdings: Davon ausgenommen sind ausdrücklich all jene, die quasi präventiv geflohen sind. Außerdem ist bislang vollkommen unklar, wie die Deserteure nach Deutschland kommen sollen. So bleibt der „Erfolg“ auf dem Papier. Das reale Problem zeigt sich an den Burjaten. Sie wurden aus dem armen asiatischen Teil Russlands (Baikalsee) für den Krieg rekrutiert und suchen nun nach Auswegen. Manche diskutieren gar, auf ukrainischer Seite zu kämpfen. Aber wie sollen sie eine Desertion bewerkstelligen? Die in Prag angesiedelte Kampagne „Burjaten gegen den Krieg“ hat diesbezüglich mit der ukrainischen Regierung Kontakt aufgenommen. Was sollen sie tun, damit sie bei der Desertion nicht erschossen werden? Sollen sie die weiße Flagge hissen? Ist es sichergestellt, wenn die Desertion klappt, dass sie dann nicht – wie es immer wieder vorkommt – beim Gefangenenaustausch dann doch wieder in russische Hände geraten? Eine zufriedenstellende Antwort darauf hat die Gruppe bislang leider nicht erhalten.

Unser nächstes gemeinsames Projekt ist ein Aufruf an die EU-Ebene, Verweigerern aus allen am Krieg beteiligten Staaten Schutz zu gewähren. Denn außer der eingeschränkten deutschen Regelung gibt es nur in einigen Ländern befristete Lösungen für russische Verweigerer. Ein umfassender Schutz ist bislang nicht sichergestellt.

Es bleibt all jenen zu danken, die diese Arbeit bislang großzügig unterstützt haben.

 

Franz Nadler ist Vorsitzender von Connection e.V. in Offenbach. Der Verein setzt sich seit nahezu 30 Jahren für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Kriegsgebieten ein. www.Connection-eV.org/StopWarUkraine

Ausgabe

Rubrik

Friedensbewegung international

Themen