Israel allein mit seinen Atomwaffen

von Xanthe Hall

Laut Avi Primor, dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, ist Israel „empört und verkrampft“ (SZ, 9. Juni). Das Land fühle sich von den USA verraten, weil sie das geheime Abkommen aus dem Jahr 1969 nicht mehr einhielten. Die Zustimmung der Amerikaner zum Abschlussdokument der Atomwaffenkonferenz in New York am 28.5., in dem Israel – und nicht Iran - an den Pranger gestellt werde, wertet Primor als einen schweren Schlag. Man fühlt sich unverstanden, da die israelischen Atomwaffen gut und die (noch nicht gebauten) Atomwaffen der Anderen böse seien.

Warum wertet Israel die Zustimmung der USA zur Benennung Israels im Anschlussdokument als Verrat? Bereits letztes Jahr hat der  israelische Premierminister Benjamin Netanjahu die Zusicherung von Präsident Obama eingeholt, dass die alte Vereinbarung zwischen seinem Vorgänger Richard Nixon und Premierministerin Golda Meir noch gelte. Israel versprach damals, keine Atomtests durchzuführen, seinen Status als Atommacht nicht zu erklären und sein nukleares Arsenal nicht öffentlich zu zeigen (no test, no declaration, no visibility). Dafür verpflichteten sich die USA, keinen Druck auf Israel auszuüben und Mitglied des Atomwaffensperrvertrags zu werden. Somit wurde 40 Jahre lang über die bis zu 200 israelischen Atomwaffen geschwiegen. 2006 wurden bisher geheime Dokumente aus dem Nixon-Archiv veröffentlicht, die diese Vereinbarung belegen.

Da die Obama-Administration im Konflikt mit dem Iran eine neue Strategie einschlagen wollte, war klar, dass sie die Frage der israelischen Atomwaffen angehen müsse. Bruce Riedel, ehemaliger Leiter der Nahost und Südostasien-Abteilung des nationalen Sicherheitsrates der USA, sagte: „Wenn man es wirklich ernst meint, einen Deal mit Iran machen zu wollen, dann muss Israel sich zu seinen Atomwaffen bekennen. Eine Politik, die auf einer Fiktion und doppelten Standards basiert, wird früher oder später scheitern.“

Bei der Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffensperrvertrags in New York im Mai 2010 wollten die USA diese Frage über eine Umsetzung der 1995er Resolution zur atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten ansprechen. Sie hatten eventuell nicht damit gerechnet, dass die blockfreien Staaten sie zwingen würden, Israel im Abschlussdokument zu benennen. Wenn das Dokument nicht im Konsens angenommen worden wäre, hätte die Konferenz als gescheitert gegolten. Das konnten sich die USA nicht leisten. Gleich nach der Verabschiedung des Dokuments hat US-Vizeaußenministerin Ellen Tauscher jedoch die Benennung ausdrücklich bedauert. Für Israel reichte das Bedauern nicht einmal als Trostpflaster aus. Israels bester (und letzter) Freund hat ihm den Rücken gekehrt, das Land fühlt sich isolierter als der Iran.

Jetzt versuchen die USA, diese tiefe Enttäuschung durch schärfere Sanktionen gegen den Iran zu versüßen. Avi Primor argumentiert dagegen – und spiegelt damit die Meinung der meisten seiner Landsmänner wider – dass Iran eine so große Gefahr darstelle, dass die anderen Staaten in der Region Atomwaffen bauen werden. Diese vermeintliche Eskalation habe Israel mit seinem geheim gehaltenen Atomwaffenprogramm nicht zu verantworten. Die inzwischen offen zugegebenen Atomwaffen seien doch nur zur Selbstverteidigung da. Die israelische Interpretation des Wortes „Selbstverteidigung“ haben wir jedoch durch den Tod von neun Menschen auf der „Mavi Marmara“ bitter erfahren. Israel verwechselt Selbstverteidigung mit Angriff und versteht die Welt nicht mehr, wenn es dafür kritisiert wird.

Man darf nicht auf Verdacht rumballern, das ist nach internationalem Völkerrecht verboten. Zweimal hat Israel jedoch Anlagen zerstört – im Irak und in Syrien –, um vermeintliche Atomprogramme zu zerstören, ohne verklagt zu werden. Nach dem Angriff auf die Hilfsflottille ist zu befürchten, dass Sanktionen gegen den Iran für Israel nicht ausreichen werden. Es kann gut sein, dass Israel einen militärischen Alleingang gegen Iran als einzige Möglichkeit sieht, sich gegen das Monster zu verteidigen, das es (und andere) aus dem Iran gemacht haben.

Was können wir dagegen tun? Es ist an der Zeit, den Dialog mit der israelischen Bevölkerung zu suchen. Viele sind zwar gegen die Blockade von Gaza, machen jedoch Halt, wenn es um die Beziehung zum Iran oder um die eigenen Atomwaffen geht. Diese Einstellung wird sich erst ändern, wenn ein Perspektivenwechsel stattfindet. Das heißt: Israelische BürgerInnen müssten sich in die iranischen BürgerInnen hinein versetzen, um zu verstehen, wie bedroht sie sich fühlen, und umgekehrt. Auch die Erkenntnis, dass Atomwaffen nicht schützen, sondern das Land zum Ziel machen, steht in Israel noch aus. Im Iran wächst zudem die Zustimmung in der Bevölkerung zu der Auffassung, dass man Atomwaffen zum Schutz vor Israel brauche. Somit macht Israel mit seinen Atomwaffen die atomare Bewaffnung Irans zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.

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