Jüdischer Widerstand - Ausstellung versus Mythos

von Gudrun Wilhelmy

Und es gab ihn doch: Jüdischen Widerstand. Dies ist Thema der im Jahr 2002 gezeigten Ausstellung des B`nai B`rith - Söhne des Bundes -, der im Berliner Kronprinzenpalais - dem Übergangsausstellungsräumen des Deutschen Historischen Museums (www.dhm.de) - mit zahlreichen Exponaten und einem exzellenten Hörguide die Ergebnisse intensiver Forschungs- und Recherchearbeit vorstellt.

Informationen - glaubhafte und verifizierte Informationen - über das Ziel der Deportationen bestimmten ganz wesentlich die Bereitschaft zum Widerstand. Die Ausstellung zeigt, in welcher Form Widerstand unter den Bedingungen der Naziherrschaft Juden möglich war und welche sie wählten. Das hing im wesentlichen von Kontakten zu anderen Widerstandsgruppen ab, von Helfern und von den jüdischen Einflussgrößen am jeweiligen Ort.

"Die systematische Vernichtung der Juden im Laufe des Zweiten Weltkriegs war ein Krieg für sich, ein Krieg im Krieg", heißt es in der Broschüre zur Ausstellung. Und diese Aussage ist keine Übertreibung, und viele konnten sie auch einfach lange nicht glauben. Das Ziel war klar: Die vollständige Vernichtung aller Juden und allen jüdischen Lebens in jedem von den Nazis erobertem Land.

Und Jüdinnen und Juden - darunter auch Kinder - wählten alle Formen des Widerstandes: Informationen sammeln und weitergeben, Schmuggel von Beweisen, Tagebücher, Chroniken, Berichte über die Geschehnisse in den Ghettos, in den Deportationslagern, in den Deportationszügen, in den KZs und Vernichtungslagern. Innerhalb nationaler Widerstandsbewegungen, die nicht selten eine Beteiligung von Juden ablehnten oder gar die gleiche judenfeindliche Haltung einnahmen und Juden ermordeten, leisteten Juden überall Widerstand mittels Sabotageakten, Guerillataktik, Waffengewalt, als Teil der regulären Alliierten Armeen. Im Untergrund operierten sie ebenso: Verstecke ausfindig machen und Verfolgte verstecken, gefälschte Pässe herstellen und verteilen, neue Identitäten schaffen, Rettungsaktionen für Kinder von Juden, Sammeln von Beweismitteln, usw. Jeder ihrer Schritte war ein lebensgefährlicher.

In der Ausstellung deutet die Gestaltung der einzelnen labyrinthisch verbundenen Räume auch den immer enger werdenden Lebens- und Aktionsraum an. Hier hat Projektleiter Marcel Meyer hervorragende Arbeit geleistet. Die Fotos zeigen Menschen, die auf ganz unterschiedliche Weise Widerstand leisteten: In Gruppen, einzeln, isoliert und mit Verbündeten und es verdichtet sich der Eindruck, dass überall jüdische Menschen vehementen und auch selbstlosen Widerstand geleistet haben. Die meisten überlebten nicht. Ihnen war klar, dass sie ohne Widerstand auch keine Chance hatten zu überleben, was sie im wesentlichen von den nicht jüdischen Widerstandskämpfern unterschied.

Beschriebene Blätter, Fotografien, Zeitungsartikel und Zeitungen sind in einem Raum um eine Schreibmaschine gruppiert, die zentraler Punkt einer jüdischen Widerstandsgruppe war. Es liegen Beweise für jüdischen Widerstand vor: aus Polen, aus Belgien, aus Frankreich, aus Russland, Dänemark ... Partisanengruppen, Fotografinnen, Ghettokämpfer. Tagebücher des Sonderkommandos an den Auschwitzer Gaskammern. Tagebücher in jiddisch, in polnisch, in russisch. Kassiber aus Deportationszügen. Die Ohren hören die Botschaften: "Sie wollen alle Juden vernichten." Ist das die Botschaft eines irre Gewordenen? Aber diese Botschaft wird wiederholt, bis sie endlich geglaubt wird.

Und doch bleibt die Unterstützung aus. Die Gleise nach Auschwitz werden nicht bombardiert, obwohl dies möglich war, die Krematorien werden nicht vernichtet, obwohl dies möglich war, die aus Lagern und Ghettos geflohenen Juden werden nicht in bestehende Partisanengruppen aufgenommen, obwohl dies möglich war, sie wurden nicht versteckt, sie wurden nicht unterstützt, sie waren in der Regel auf sich selbst gestellt und bestenfalls geduldet.

Köpfe des Widerstandes und ihre Kontroversen Auffassungen werden in einem anderen Raum vorgestellt. Hier leiten die von hinten ausgeleuchteten Fotoproduktionen eine optische Hilfe zur hörbaren Führung durch die Ausstellung. Neben einem Ausschnitt aus der Lebensgeschichte eines einzelnen wird die einer Gruppe von Juden deutlich. Jede Form von Widerstand wurde geleistet und weit mehr, als je publiziert.

Wie ging ihr Leben weiter? Überlebende waren auf der Exodus, kamen nach Palästina, gründeten den Staat Israel, gingen nach Amerika, gingen zurück nach Polen. Der Kampf gegen den Mythos Juden als Schlachtlämmer hat mit dieser Ausstellung einen Sieg errungen. Dass ihr "geopfert werden, um selbst verschont zu bleiben" nicht funktioniert hat, findet in den Köpfen noch immer zu wenig Beachtung. Geblieben ist die Erfahrung, alleingelassen worden zu sein: vorher, während und nach der Shoa, dem Holocaust.

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Gudrun Wilhelmy ist freie Journalistin in Berlin mit den Schwerpunkten Jüdisches und Film. Sie ist Mitarbeiterin bei www.shoa.de, www.hagalil.com und www.multikulti1.de.