Krieg um die Köpfe

Jugendoffiziere und „Karriereberater“

von Frank Brendle

Die Personalwerber der Bundeswehr geben sich wirklich alle Mühe: Nach eigenen Angaben konnten sie vergangenes Jahr 12,3 Millionen Menschen mit ihren Werbebotschaften von einem sicheren Job beim Bund erreichen. Auf 1.410 Messen und Ausstellungen waren die Zentren für Nachwuchsgewinnung, das Zentrale Messe- und Eventmarketing und die Karriereberater vertreten, 3,5 Millionen Euro wurden dafür ausgegeben, 700.000 Euro mehr als im Jahr davor.

Erheblich rasanter gestiegen sind die Ausgaben für „personalwerbliche“ Anzeigen in Funk und Fernsehen, Internet und Printmedien: von 8,6 Millionen im Jahr 2011 stiegen sie auf über 20 Millionen Euro im Jahr 2012. 2009 waren es noch 4,2 Millionen Euro (BT-Drs. 17/14703).

Der Wegfall der Wehrpflicht, kombiniert mit dem Rückgang der Jahrgangsstärken und einer entspannteren Arbeitsmarktlage stellt die Bundeswehr vor massive Nachwuchsschwierigkeiten. Immer mehr Jugendliche haben es immer weniger nötig, ausgerechnet bei der Truppe anzuheuern. Dementsprechend wird bei der Werbung nicht gekleckert, sondern geklotzt.

Die Zahl von über 12 Millionen „erreichten“ Personen ist zwar beachtlich, aber was nützt es letztlich, wenn ein Jugendlicher zwar den Werbestand der Bundeswehr erblickt, dann aber einen weiten Bogen um ihn schlägt? Kein Wunder, dass die Bundeswehr auch massiv in den Schulen wirbt – dort kann die Zielgruppe nicht so einfach davonlaufen. Geworben wird mit einer Doppelstrategie: „Karriereberater“ preisen den Job beim Bund, Jugendoffiziere preisen die Bundeswehr als Garant von Sicherheit und Wohlstand.

Die Einsatzzahlen sind auch hier eindrucksvoll. Die Jugendoffiziere konnten im vorigen Jahr, trotz Rückgangs der Gesamtschülerzahlen, erstmals wieder mehr SchülerInnen erreichen. Rund 11.000 wurden in Kasernen gelotst, 26.500 zu Seminaren geladen, Vorträge im Unterricht mussten sich 101.000 SchülerInnen anhören (meist in den Fächern Sozialkunde, Politik, Geschichte, und vorzugsweise in den oberen Jahrgangsstufen in Gymnasien und Realschulen).

JugendoffizierInnen bieten sich als „ExpertInnen in Sachen Sicherheitspolitk“ an, die „aus erster Hand“ über die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die Rolle der NATO usw. referieren. Über ihren Auftritt entscheiden die jeweiligen LehrerInnen selbst. Das Angebot erspart ihnen Zeit und Arbeit für die eigene Vorbereitung, zugleich wird der Unterricht ein wenig aufgelockert, zum Beispiel durch Liveschaltungen zu SoldatInnen im Afghanistan-Einsatz.

Die JugendoffizierInnen selbst betonen, dass sie keine „Werbung“ machten, sondern „Information“ anböten. Über deren Charakter verrät das offizielle „Handbuch: Der Jugendoffizier“ alles: „Für die Arbeit müssen Sie sich immer an politische Grundsatzaussagen, Analysen und Hintergrundinformationen aus den Bereichen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik des BMVg“ halten. Da wird nicht einmal der Anschein von Neutralität erweckt.

JugendoffizierInnen sind PR-Agenten in eigener Sache. Sie beschreiben die NATO als Werte- und Verteidigungsbündnis, die Auslandseinsätze der Bundeswehr als aus humanitären Zielen erfolgend, dem Aufbau oder der Friedenssicherung dienlich, einen Verzicht auf Militär als politisches Instrument als undenkbar. Als vor vier Jahren der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Kultus- und Bildungsministerien der Länder dazu aufforderte, Kooperationsabkommen mit der Bundeswehr zu schließen, nannte er als Ziel des Unterfangens ausdrücklich, „den Sinn bewaffneter Auslandseinsätze zu vermitteln“. Acht Länder haben inzwischen solche (meist gleichlautende) Abkommen geschlossen, die zwar rechtlich unverbindlich sind, aber als politisches Signal für LehrerInnen und Öffentlichkeit dienen, dass die Bundeswehr ein legitimer Akteur im Schulwesen sei.

Die einseitige Propagierung der Politik des Verteidigungsministeriums widerspricht eindeutig bildungspolitischen Grundsätzen. Diese besagen unter anderem, dass Sachverhalte, die in der Öffentlichkeit strittig sind, auch im Unterricht als strittig dargestellt werden müssen. Das ist Jugendoffizieren praktisch per Dienstanweisung untersagt. Für Kontroversität, so die feinsinnige Argumentation der Bundeswehr, müssten die Schulen schon selbst sorgen. Das tun sie aber nicht. Nur höchst selten kommen Friedensbewegte in den Unterricht. Angesichts von 94 hauptamtlichen Jugendoffizieren und dem millionenschweren Propagandaapparat, der hinter ihnen steht, kann von einer Gleichberechtigung der Friedensbewegung ohnehin nicht gesprochen werden.

Die Jugendoffiziere stoßen, ihren eigenen Berichten zufolge, in den Schulen auf Jugendliche, die weitgehend keine Ahnung von (Sicherheits)Politik und auch nur ein geringes Interesse daran haben. Sie sind praktisch die ersten BundeswehrvertreterInnen, mit denen die SchülerInnen überhaupt konfrontiert werden. Sie, die sich bisher mit Fragen von Krieg und Frieden nie befasst haben, bekommen ausgerechnet von den „Öffentlichkeitsarbeitern der Bundeswehr“ (O-Ton BMVg) erstmals darüber etwas zu hören.

Ganz so naiv sind die Jugendlichen allerdings nicht: In ihrem Jahresbericht 2012 stellen die Jugendoffiziere fest, dass SchülerInnen als Grund für die Auslandseinsätze „primär das wirtschaftliche Interesse an Ressourcen“ vermuten. Das darf nicht sein –„an dieser Stelle war es geboten, die sicherheitspolitischen Zielsetzungen der Bundesrepublik Deutschland detailliert zu verdeutlichen“. Desgleichen musste ihnen „umfassend vermittelt werden“, dass die EU „seit Jahrzehnten ein Stabilitätsanker für Frieden und Sicherheit“ sei. Neutral und kontrovers wird da nichts dargestellt, die jungen Köpfe werden vielmehr gezielt in Richtung Militär verdreht.

Die Nachhaltigkeit der ideologischen Beeinflussung ist bei einer einmaligen Begegnung natürlich begrenzt. Das „Handbuch: Der Jugendoffizier“ befiehlt als Hauptziel: „Wenn nichts von dem Thema in Erinnerung bleibt, so muss auf jeden Fall ein positiver Eindruck des Jugendoffiziers als Vertreter der Bundeswehr entstehen.“

Einen guten Eindruck machen – das gehört zu den wichtigsten Voraussetzungen eines Arbeitsgebers, der qualifizierte BewerberInnen gewinnen will. Wenn die Jugendoffiziere das erledigt haben, können sie an ihre Kameraden „Karriereberater“ (früher: Wehrdienstberater) übergeben, die ebenfalls, und in noch größerer Zahl, die Schulen aufsuchen, um über Ausbildungs- und Verdienstmöglichkeiten in der Truppe zu referieren. Im vergangenen Jahr erreichten sie dabei 188.000 SchülerInnen. Ihre Vorträge sollten, anders als die der Jugendoffiziere, außerhalb des regulären Unterrichts und ohne Anwesenheitspflicht stattfinden.

Meist noch wenig beachtet werden die zunehmenden Versuche der Jugendoffiziere, direkt auf das Lehrpersonal einzuwirken. In etlichen Bundesländern sind sie schon fest in die Ausbildung der ReferendarInnen eingebunden. 12.000 LehrerInnen und 2000 VertreterInnen von Schulbehörden haben voriges Jahr an teils mehrtägigen Seminaren der Bundeswehr teilgenommen. Dort lernen sie das, was sie ihren SchülerInnen über Sicherheitspolitik vermitteln sollen. Die Instrumentalisierung scheinbar neutralen Lehrpersonals ist ein geschickter Schachzug, um eine Art „militärisch eingebetteten“ Unterrichts hinzukriegen. Hinzu kommt die kostenlose Bereitstellung von Unterrichtsmaterial, gegenwärtig unter dem Label „Frieden & Sicherheit“. Es erspart LehrerInnen die eigene Unterrichtsvorbereitung. Finanziert wird das Angebot zu 100 Prozent vom Verteidigungsministerium. Eine Neuauflage eines solchen „Informationspaketes“ für Lehrkräfte ist derzeit in Planung.

Ausgabe

Rubrik

Schwerpunkt