Buchbesprechung

Kaiser und "Führer" lassen auch heute noch grüßen

von Günter Knebel

Der Klappentext des neuen Buches von Ulrich Finckh mit dem Titel „Vom heiligen Krieg zur Feindesliebe Jesu – Beiträge zu Rechtsstaat und Friedensethik“ verspricht schlicht eine Sammlung von „Beiträgen zu kirchlichen und politischen Themen“. Zwischen den Buchdeckeln ist aber viel Pointiertes zu lesen und zu spüren, was Menschen bewegt hat, was den Rechtsstaat verbessern und die kirchliche Friedensethik glaubwürdiger machen würde. Die einerseits altersmilde, behutsame Bilanz des inzwischen 84-jährigen Kirchenmannes, der an vielen sensiblen Schnittstellen von Kirche und Staat zeitlebens engagiert gewesen ist, enthält andererseits gerade deshalb viel Substanz, ja Essenz, die es zukunftsgewandt in Kirche, Gesellschaft und Staat einzubringen, zu beherzigen oder zu realisieren gilt:

  • Die leider nötige Betonung der Friedensverpflichtung des Grundgesetzes,  die mit „kriegerischen Interventionen in Afghanistan und Jugoslawien missachtet“ wurde und wird. (S. 4)
  • Die stets aktuelle Predigt über das Gebot „Du sollst nicht töten“, das kirchliche Umdeutung zu vermeintlich gottgewolltem „Heiligen Krieg“ nicht ausschloss und mit der Weisung Jesu zur Feindesliebe zu evangeliumsgemäßer Konsequenz kommt, Konflikte gewaltfrei zu regeln. (S. 14)
  • Das Memorandum zur Problematik der Wehrpflicht, das in Deutschland auch nach deren Aussetzung aktuell bleibt, weil das Einstellen einer gesetzlichen Praxis noch keineswegs die ihr zugrunde liegenden „Gefühle und Ideologien“ beseitigt (S. 33): Die aufgezeigte Tradition der Zwangsverpflichtung will durch eine neue „Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit“ erst noch überwunden werden.

So hatte auch das „NS-Erbe Wehrpflicht“ viele Jahrzehnte lang das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung „unter Kontrolle“ (S. 43): „Viele der vorsitzenden Beamten oder Angestellten der Bundeswehrverwaltung, aber auch viele Beisitzer kamen noch aus der Wehrmacht. Auch bei den Verwaltungsgerichten waren viele Richter Soldaten oder gar Wehrmachtrichter gewesen.“ (S. 47) Auch bis ins Bundesverwaltungsgericht reichte der lange Schatten des NS-Regimes, der dafür sorgte, dass genau jene „große pädagogische Wirkung“ verhindert bzw. gemaßregelt wurde, die 1949 im Parlamentarischen Rat mit diesem neuen Grund- und Menschenrecht verbunden worden war.

Als eine freiheitliche Wahrnehmung dieses friedensethisch aussagekräftigen Grundrechts nach langem Bemühen, an dem der Autor größten Anteil hatte, endlich erreicht worden war, hatte es infolge militärpolitischer Entwicklungen seine Bremskraft gegen die „Entwicklung der Bundeswehr zur Interventionsarmee“ (S. 64) weithin verloren: Der Autor benennt deshalb 12 Faktoren, mit denen einer „kriegerischen Ausrichtung der Politik“ und einem Missbrauch „der veränderten Bundeswehr“ entgegengewirkt werden kann und sollte.

Wie wichtig es ist, auch amtlich vorgetragene Angaben kritisch zu überprüfen, legt der Verfasser in dem Beitrag „Lug und Trug für die Bundeswehr“ (S. 74 ff) dar: Die statistische Manipulation des Bundesministeriums der Verteidigung mit den Zahlen der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung Ende der 70er Jahre, als der parlamentarische Kampf für eine freiheitliche Regelung dieses Rechtes einen Höhepunkt erreicht hatte, ist für ihn – wie für etliche seiner Mitstreiter – eine eindrückliche Lebenserfahrung geblieben, die zu demokratischer Wachsamkeit und bürgerschaftlichem Engagement ermutigt. Letzteres verdeutlichen auch die Artikel zur „militärfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“ (S. 85 ff) und „zur Problematik soldatischer Eidesleistung“ (S. 104 ff). Diese erfolgt nicht etwa auf die demokratische Verfassung des Grundgesetzes, sondern auf „die Bundesrepublik Deutschland“, die für SoldatInnen vom Bundesminister für Verteidigung oder - im Kriegsfall - vom Bundeskanzler bzw. von der Bundeskanzlerin verkörpert wird. So lassen - etwas zugespitzt - Kaiser und „Führer“ auch heute noch grüßen.

Die weiteren Buchbeiträge des engagierten Theologen stellen nicht nur wichtige Fragen, sondern geben auch Anregungen oder gar Antworten: Zur Wirtschafts-, Gesellschafts- und Medienpolitik wie zu Familie, Erziehung, Religion, zum Bibelverständnis oder zum Umgang mit Tod und Trauer. Gerade weil sie nicht immer und überall den Anspruch auf Fachkompetenz erheben, sind auch die nicht-theologischen Beiträge wohltuend aufklärerisch inspiriert und erfrischend denkanstößig. Auch wer anderer Meinung ist, spürt beim Lesen die Toleranz, die ein erfahrungsreiches Leben vermittelt. Das Buch ist eine in jeder Hinsicht empfehlenswerte, anregende Lektüre für alle, die an demokratischer, zivilgesellschaftlicher Weiterentwicklung interessiert sind.

Ulrich Finckh (2011) Vom heiligen Krieg zur Feindesliebe Jesu – Beiträge zu Rechtsstaat und Friedensethik, Stuttgart: Radius Verlag, ISBN 978-3-87173-918-7, 197 S.,16,00 €

Günter Knebel, Jg. 1949, war von 4/1982 bis 6/2010 Geschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerer (EAK), bis 2008 in Bremen, seit 2009 in Bonn (www.eak-online.de).

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Günter Knebel, Jg. 1949, war von 4/1982 bis 6/2010 Geschäftsführer der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerer (EAK), bis 2008 in Bremen, seit 2009 in Bonn (www.eak-online.de).