Nur wenig Hoffnung auf Frieden

Kommentar zur Situation im ehemaligen Jugoslawien

von Christine Schweitzer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Krieg, um Frieden zu erzwingen?

Ende Oktober kehrte der Krieg in Bos­nien auf die ersten Seiten der deutschen Tageszeitungen zurück. Die bosnischen Regierungstruppen, trotz des Embargos inzwischen wesentlich besser gerüstet als zu Beginn des Krieges, begannen, unterstützt von der kroatisch-bosnischen Armee (HVO), an mehreren Stellen eine Offensive gegen das Militär der bosni­schen Serben. In der westlichen Enklave Bihac, erst seit wenigen Monaten unter Kontrolle Sarajevos, nahmen bosnische Truppen ein 300 Quadratkilometer großes Gebiet ein und provozierten ser­bische Truppen zu einem - derzeit sehr erfolgreichen - Gegenangriff; die Stadt Kupres westlich von Sarajevo wurde zu­rückerobert, bei Grabez bedrohen die Regierungstruppen den serbischen Kor­ridor zur Krajina und im Südwesten zielen Angriffe bei Mostar, Konjic und Doboi offensichtlich auf die Schaffung eines breiten Landweges an die Küste. Die zahlenmäßig unterlegenen Truppen der bosnischen Serben (es wird ge­schätzt, daß sie über 80.000 Soldaten verfügen, denen 120.000 Regierungs­soldaten und 50.000 HVO-Angehörige entgegenstehen) scheinen trotz besserer Ausrüstung militärisch in Bedrängnis zu geraten und mußten Land aufgeben, wenngleich sie dank der Unterstützung von serbischen Truppen aus der Krajina bei Bihac schnell wieder in die Offen­sive gehen konnten. Vermutlich spüren sie die Schließung der Grenze zur Re­publik Jugoslawien, die Milosevic ver­hängte und die nach allen Berichten recht konsequent durchgeführt wird. Mehr als 10.000 serbische ZivilistInnen flohen allein aus der Region um Bihac, obwohl - dies muß angemerkt werden - die bosnische Regierung sie zum Blei­ben aufrief und versicherte, daß sie keine ethnischen Säuberungen beab­sichtige.

Es kann derzeit (Mitte November, Zeit­punkt, zu dem dieser Beitrag geschrie­ben wurde) nur spekuliert werden, wie es in Bosnien-Herzegowina weitergehen kann. Mindestens zwei Szenarien sind denkbar. Das erste, positivere wäre, daß durch die neugewonnene militärische Stärke Sarajevos Karadjic und seine Anhänger zurück an den Verhandlungs­tisch und doch noch zur Annahme des Friedensplans der Fünfergruppe ge­zwungen werden könnten. Dafür sprä­che, daß den bosnischen Serben dies vermutlich leichter fallen dürfte, wenn sie die umstrittenen 20 % Territorium, die sie zum Zeitpunkt des ursprüngli­chen Friedensplans an die bosnische Regierung hätten zurückgeben müßten, auf militärischem Wege bereits verloren hätten.

Die andere und leider viel wahrscheinli­chere Möglichkeit ist, daß die jetzigen Kämpfe noch vor dem Winter eskalieren und das zerbröckelnde Bündnis zwi­schen den verschiedenen serbischen Machthabern in der Republik Jugosla­wien, Bosniens und Kroatiens wieder gegen den gemeinsamen Gegner zu­sammenfindet. In diesem Zusammen­hang sind das Eingreifen von serbischen Truppen aus der Krajina in Bihac und Gerüchte über Soldaten, die in Zivil die Grenze zwischen Serbien und Bosnien überquert hätten, um Karadjic' Heer zu unterstützen, sehr beunruhigend. Auch ein neuerliches direktes Eingreifen Kroatiens in Bosnien-Herzegowina un­ter der Berufung auf die Konföderati­onsabkommen ist nicht auszuschließen. Es besteht die Gefahr, daß dieser Herbst nur die nächste Phase eines noch lang­anhaltenden "Bürgerkriegs" eingeleitet hat und das Kalkül der bosnischen Re­gierung "Frieden durch Krieg" nicht aufgeht.

Milosevic - der nächste Friedensno­belpreisträger?

Als Präsident Milosevic vor wenigen Monaten bekanntgab, daß er die Gren­zen zu Bosnien schließen und interna­tionale Kontrollen der Grenzübergänge zulassen werde, schien zum ersten Mal eine entscheidende Änderung in der Konfliktkonstellation im bosnischen Krieg einzutreten. Viele mochten es an­fangs nicht glauben, doch die jugoslawi­sche Regierung zeigte sich entschlossen, auf Kosten ihrer bosnisch-serbischen vormaligen Verbündeten Pluspunkte auf dem internationalen Parkett zu erobern. Ziel: Eine Lockerung des Embargos zu erreichen und damit sich eine Chance zu einer Normalisierung der Verhältnisse zu eröffnen. Kurze Zeit später wurden auch an Kroatien - vorläufig nur inoffi­zielle - Friedensangebote gemacht. Ende Oktober kam es dann auch zu offiziellen Kontakten zwischen der jugoslawischen und der kroatischen Regierung. Ge­sprächsthema war die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kroatien und Republik Jugoslawien, was wohl - ge­naues wurde nicht bekanntgegeben - eine Anerkennung Kroatiens in seinen Vorkriegsgrenzen gegen die Verleihung von Autonomierechten für die Gebiete der Krajina, in denen Serben die Mehr­heit stellen, heißen würde.

Die jüngsten Entwicklungen in Bosnien haben all diese Entwicklungen zumin­dest vorläufig wieder in Frage gestellt, da sie eine erneute direkte Einbezie­hung Jugoslawiens und Kroatiens in den Krieg androhen. Sollten die entspre­chenden Befürchtungen jedoch nicht wahr werden, dann darf spekuliert wer­den, ob Milosevic's Friedensbemühun­gen nicht doch bald auch internationale Anerkennung finden.

Auf die Dauer wird dies seine Position im Inland gewiß nicht retten. Für die Mehrheit der Bevölkerung in Serbien und Montenegro ist er derzeit besten­falls das kleinere Übel angesichts einer unberechenbaren Opposition. Wenn es Frieden gibt, wird irgendwann auch Milosevic fallen, denn er hat, als direk­ter Erbe des von fast niemanden mehr geliebten sozialistischen Systems, Feinde von demokratischer wie von ex­trem nationalistischer Seite. Welchen Charakter die Politik seiner Nachfolger annehmen wird, kann derzeit niemand vorhersagen. Einige Parteien in Jugo­slawien arbeiten zusammen mit den Or­ganisationen aus der Friedens- und Menschenrechtsbewegung an dem Auf­bau einer demokratischen Alternative. Aber auf der politischen Bühne sind sie derzeit deutlich schwächer als die serbi­schen Nationalisten.

Die "internationale Politik": Ein­dämmung einmal anders

Nach der Nicht-Annahme des Friedens­plans durch die serbischen Bosnier ist es um internationale Vermittlungsversuche stillgeworden. Auch die angedrohten Sanktionen - Aufhebung des Waffen­embargos oder gar Abzug aller UN-Truppen - wurden vom Weltsicherheits­rat wieder und wieder verschoben. Daß die US, die stärksten Befürworter einer Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien-Herzegowina, im Alleingang ihre zwei Kriegsschiffe aus den NATO-Verbänden zurückzogen, die in der Adria patrouillieren, ist in diesem Zu­sammenhang mehr eine symbolische Handlung mit US-innenpolitischer Ziel­richtung. Gewiß eine, die in Sarajevo deutlich gehört und begrüßt wurde und die einen weiteren Keil in den schon lange bestehenden Bruch zwischen USA auf der einen und den europäischen NATO-Verbündeten auf der anderen Seite treibt; aber an dem Kriegsgesche­hen in Bosnien selbst ändert sie nichts.

Genauso rein symbolische Bedeutung kommt dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal zu, dessen riesige neugeschaf­fene Bürokratie sich mit einem einzigen Angeklagten befaßt, während das Hauptaugenmerk zumindest der deut­schen Presse auf der wohl gemessen an den hehren und hohen Zielen des Tribu­nals eher zweitrangigen Frage liegt, ob ein möglicher zweiter Angeklagter von Deutschland ausgeliefert werden darf. Eine Bewertung des Tribunals aus frie­densbewegter Sicht ist schwierig. Auf der einen Seite wäre es nur zu begrüßen, wenn Mord und Folter einmal nicht deswegen ungeahndet blieben, weil sie auf staatlichem Befehl und in einem Krieg geschahen. Auf der anderen Seite gilt es zu vermeiden, daß der Eindruck von Klassenjustiz (die kleinen fängt man, die großen läßt man laufen) oder von Siegerrecht (Anklagen nur gegen Kriegsverbrecher der einen Seite) ent­steht. Beide Phänomene kennen wir ja auch in Deutschland bei den sog. "Mauerschützenprozessen" und der ein­seitigen Verurteilung von Ostspionen nur zu genau. Und es gilt auch zu ver­meiden, daß solche Verfahren kriegs­fördernd sind: Welcher Befehlshaber ist schon bereit, die Waffen niederzulegen, wenn er weiß, daß ihn eine u.U. lebens­lange Gefängnisstrafe erwartet?

Eine der Haupt-Triebkräfte der interna­tionalen Politik gegenüber den Kon­flikten im ehemaligen Jugoslawien ist von ihren Anfängen 1991 an gewesen, den Krieg einzudämmen und zu verhin­dern, daß große Zahlen an Flüchtlingen nach Westeuropa kommen. Zunächst gelang dies nicht: über 500.000 Kriegs­flüchtlinge verließen das Land. Aber als Kroatien und Republik Jugoslawien be­gannen, sich aus dem Krieg in Bosnien zurückzuziehen und sich auch unterein­ander anzunähern, eröffnete sich augen­scheinlich eine neue Chance zur "Eindämmung":

Zum einen wurde es den Ländern, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen mußten, möglich, damit zu beginnen, diese in großen Zahlen sowohl nach Kroatien wie nach Serbien/Montenegro zurückzusenden. In Deutschland ver­dichten sich zudem Gerüchte, daß auch Teile von Bosnien-Herzegowina in ab­sehbarer Zeit zu "sicheren Gebieten" er­klärt und damit auch bosnische Flücht­linge "rückgeführt" werden sollen. Was für ein Schicksal diese Flüchtlinge in ih­ren Heimatländern erwartet, ist der westlichen Politik dabei gleichgültig. Es wird in Kauf genommen, daß zurück­kehrende Männer direkt von der Polizei abgefangen und zum Militär geschickt werden (was zuverlässige Augenzeugen sowohl aus Serbien wie Kroatien be­richten). Es wird in Kauf genommen, daß Flüchtlinge in schlecht organisierte und mangelhaft versorgte Massenlager gesteckt werden und es interessiert auch nicht, daß sich die Lage für bosni­sche Flüchtlinge in Kroatien u.a. auf­grund der Rückkehr kroatischer Flücht­linge extrem verschlechtert hat.

Zum anderen kann der Krieg jetzt völ­kerrechtlich eindeutig zum "Bürger­krieg" erklärt werden, während diese Einordnung zumindest strittig war, so­lange kroatische und serbisch-jugo­sla­wische Truppen in Bosnien-Herze­gowina operierten. Bedeutsam mag dies für das zukünftige internationale Enga­gement in Bosnien-Herzegowina wer­den: Immer mehr Staaten wird die Be­teiligung an den UN-Truppen (UNPROFOR) zu teuer; es wird von teilweise oder völligem Rückzug ge­sprochen. Auch wenn die UNO in den letz­ten Jahren damit begonnen hat, auch in Konflikten zu operieren, die nur das Territorium eines einzigen Staates be­treffen, ist es allemal politisch leichter vertretbar, sich aus einem "Bürgerkrieg" als aus einem "internationalen Krieg" zurückzuziehen.

Versöhnung und Wiederaufbau: Auf­gabe der zivilen Gesellschaft

Wie auch immer die Entwicklungen in Bosnien-Herzegowina weitergehen: Der Prozeß von Wiederaufbau und Versöh­nung wird sehr lange dauern. Krieg, Zerstörung und Haß  können in wenigen Wochen gesät werden. Die Wiederher­stellung friedlicher Verhältnisse braucht, das lehrt die Geschichte, Jahr­zehnte. Und unter keinen Umständen wird es im ehemaligen Jugoslawien möglich sein, die Vorkriegsverhältnisse erneut zu schaffen. So schrecklich es ist: Es ist auszuschließen, daß jemals alle Vertriebene in ihre Heimat zurückkeh­ren und multiethnische Gemeinschaften in ihrem ursprünglichen Gemenge wie­derentstehen. Es wäre schon ein Erfolg, wenn ein wirtschaftlicher Wiederaufbau in allen Gebieten gelänge, demokrati­sche Systeme sich durchsetzten, wenn es nach einem Waffenstillstand zu kei­nen weiteren Vertreibungen mehr kom­men würde, die muslimischen Bos­nier und Bewohner des Sandjaks bleiben könnten, eine Lösung für den Kosovo gefunden würde, die das Selbstbestim­mungsrecht der AlbanerInnen genauso wie das Interesse Serbiens berücksich­tigte und Serben und Kroaten in Kroa­tien, Serbien und Bosnien zu einem friedlichen Verhältnis zurückfinden würden.

Die einzigen, die konsequent und syste­matisch an dem Aufbau einer demo­kratischen Gesellschaft und Versöhnung zwischen den verschiedenen Lagern ar­beiten, sind Gruppen und Organisatio­nen der Friedens- und Menschenrechts­bewegung in den betroffenen Ländern. Am ausgeprägtesten in Kroatien und Serbien, aber auch in Montenegro, Bos­nien-Herzegowina und natürlich den anderen Staaten Ex-Jugoslawiens, versu­chen sie teilweise schon seit 1991, die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Dazu gehören sehr um­fangreiche frie­denspädagogische Projekte in Belgrad, Ossijek und Zagreb, das Wie­deraufbauprojekt in Pakrac und die Ar­beit der Menschenrechtsgruppen, die sich ge­gen Menschenrechtsverletzungen und damit für den Aufbau einer zivilen Gesellschaft einsetzen. Immer noch werden die Aktiven aus diesen Gruppen nur zu oft in ihren eigenen Ländern als Verräter angesehen. Für ihre Arbeit brauchen sie dringend internationale Unterstützung in Form von materieller Hilfe und dem Schaffen von Öffentlich­keit für ihre Tätigkeit. Es darf nicht ge­schehen, daß Teile des ehemaligen Ju­goslawiens zu dunklen Flecken auf der Landkarte werden.

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Krisen und Kriege
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.