6x jährlich informiert unsere Zeitschrift, das FriedensForum, über Aktionen und Kampagnen der Friedensbewegung. Gerne schicken wir dir ein kostenfreies Probeexemplar zu.
Nur wenig Hoffnung auf Frieden
Kommentar zur Situation im ehemaligen Jugoslawien
vonKrieg, um Frieden zu erzwingen?
Ende Oktober kehrte der Krieg in Bosnien auf die ersten Seiten der deutschen Tageszeitungen zurück. Die bosnischen Regierungstruppen, trotz des Embargos inzwischen wesentlich besser gerüstet als zu Beginn des Krieges, begannen, unterstützt von der kroatisch-bosnischen Armee (HVO), an mehreren Stellen eine Offensive gegen das Militär der bosnischen Serben. In der westlichen Enklave Bihac, erst seit wenigen Monaten unter Kontrolle Sarajevos, nahmen bosnische Truppen ein 300 Quadratkilometer großes Gebiet ein und provozierten serbische Truppen zu einem - derzeit sehr erfolgreichen - Gegenangriff; die Stadt Kupres westlich von Sarajevo wurde zurückerobert, bei Grabez bedrohen die Regierungstruppen den serbischen Korridor zur Krajina und im Südwesten zielen Angriffe bei Mostar, Konjic und Doboi offensichtlich auf die Schaffung eines breiten Landweges an die Küste. Die zahlenmäßig unterlegenen Truppen der bosnischen Serben (es wird geschätzt, daß sie über 80.000 Soldaten verfügen, denen 120.000 Regierungssoldaten und 50.000 HVO-Angehörige entgegenstehen) scheinen trotz besserer Ausrüstung militärisch in Bedrängnis zu geraten und mußten Land aufgeben, wenngleich sie dank der Unterstützung von serbischen Truppen aus der Krajina bei Bihac schnell wieder in die Offensive gehen konnten. Vermutlich spüren sie die Schließung der Grenze zur Republik Jugoslawien, die Milosevic verhängte und die nach allen Berichten recht konsequent durchgeführt wird. Mehr als 10.000 serbische ZivilistInnen flohen allein aus der Region um Bihac, obwohl - dies muß angemerkt werden - die bosnische Regierung sie zum Bleiben aufrief und versicherte, daß sie keine ethnischen Säuberungen beabsichtige.
Es kann derzeit (Mitte November, Zeitpunkt, zu dem dieser Beitrag geschrieben wurde) nur spekuliert werden, wie es in Bosnien-Herzegowina weitergehen kann. Mindestens zwei Szenarien sind denkbar. Das erste, positivere wäre, daß durch die neugewonnene militärische Stärke Sarajevos Karadjic und seine Anhänger zurück an den Verhandlungstisch und doch noch zur Annahme des Friedensplans der Fünfergruppe gezwungen werden könnten. Dafür spräche, daß den bosnischen Serben dies vermutlich leichter fallen dürfte, wenn sie die umstrittenen 20 % Territorium, die sie zum Zeitpunkt des ursprünglichen Friedensplans an die bosnische Regierung hätten zurückgeben müßten, auf militärischem Wege bereits verloren hätten.
Die andere und leider viel wahrscheinlichere Möglichkeit ist, daß die jetzigen Kämpfe noch vor dem Winter eskalieren und das zerbröckelnde Bündnis zwischen den verschiedenen serbischen Machthabern in der Republik Jugoslawien, Bosniens und Kroatiens wieder gegen den gemeinsamen Gegner zusammenfindet. In diesem Zusammenhang sind das Eingreifen von serbischen Truppen aus der Krajina in Bihac und Gerüchte über Soldaten, die in Zivil die Grenze zwischen Serbien und Bosnien überquert hätten, um Karadjic' Heer zu unterstützen, sehr beunruhigend. Auch ein neuerliches direktes Eingreifen Kroatiens in Bosnien-Herzegowina unter der Berufung auf die Konföderationsabkommen ist nicht auszuschließen. Es besteht die Gefahr, daß dieser Herbst nur die nächste Phase eines noch langanhaltenden "Bürgerkriegs" eingeleitet hat und das Kalkül der bosnischen Regierung "Frieden durch Krieg" nicht aufgeht.
Milosevic - der nächste Friedensnobelpreisträger?
Als Präsident Milosevic vor wenigen Monaten bekanntgab, daß er die Grenzen zu Bosnien schließen und internationale Kontrollen der Grenzübergänge zulassen werde, schien zum ersten Mal eine entscheidende Änderung in der Konfliktkonstellation im bosnischen Krieg einzutreten. Viele mochten es anfangs nicht glauben, doch die jugoslawische Regierung zeigte sich entschlossen, auf Kosten ihrer bosnisch-serbischen vormaligen Verbündeten Pluspunkte auf dem internationalen Parkett zu erobern. Ziel: Eine Lockerung des Embargos zu erreichen und damit sich eine Chance zu einer Normalisierung der Verhältnisse zu eröffnen. Kurze Zeit später wurden auch an Kroatien - vorläufig nur inoffizielle - Friedensangebote gemacht. Ende Oktober kam es dann auch zu offiziellen Kontakten zwischen der jugoslawischen und der kroatischen Regierung. Gesprächsthema war die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kroatien und Republik Jugoslawien, was wohl - genaues wurde nicht bekanntgegeben - eine Anerkennung Kroatiens in seinen Vorkriegsgrenzen gegen die Verleihung von Autonomierechten für die Gebiete der Krajina, in denen Serben die Mehrheit stellen, heißen würde.
Die jüngsten Entwicklungen in Bosnien haben all diese Entwicklungen zumindest vorläufig wieder in Frage gestellt, da sie eine erneute direkte Einbeziehung Jugoslawiens und Kroatiens in den Krieg androhen. Sollten die entsprechenden Befürchtungen jedoch nicht wahr werden, dann darf spekuliert werden, ob Milosevic's Friedensbemühungen nicht doch bald auch internationale Anerkennung finden.
Auf die Dauer wird dies seine Position im Inland gewiß nicht retten. Für die Mehrheit der Bevölkerung in Serbien und Montenegro ist er derzeit bestenfalls das kleinere Übel angesichts einer unberechenbaren Opposition. Wenn es Frieden gibt, wird irgendwann auch Milosevic fallen, denn er hat, als direkter Erbe des von fast niemanden mehr geliebten sozialistischen Systems, Feinde von demokratischer wie von extrem nationalistischer Seite. Welchen Charakter die Politik seiner Nachfolger annehmen wird, kann derzeit niemand vorhersagen. Einige Parteien in Jugoslawien arbeiten zusammen mit den Organisationen aus der Friedens- und Menschenrechtsbewegung an dem Aufbau einer demokratischen Alternative. Aber auf der politischen Bühne sind sie derzeit deutlich schwächer als die serbischen Nationalisten.
Die "internationale Politik": Eindämmung einmal anders
Nach der Nicht-Annahme des Friedensplans durch die serbischen Bosnier ist es um internationale Vermittlungsversuche stillgeworden. Auch die angedrohten Sanktionen - Aufhebung des Waffenembargos oder gar Abzug aller UN-Truppen - wurden vom Weltsicherheitsrat wieder und wieder verschoben. Daß die US, die stärksten Befürworter einer Aufhebung des Waffenembargos gegen Bosnien-Herzegowina, im Alleingang ihre zwei Kriegsschiffe aus den NATO-Verbänden zurückzogen, die in der Adria patrouillieren, ist in diesem Zusammenhang mehr eine symbolische Handlung mit US-innenpolitischer Zielrichtung. Gewiß eine, die in Sarajevo deutlich gehört und begrüßt wurde und die einen weiteren Keil in den schon lange bestehenden Bruch zwischen USA auf der einen und den europäischen NATO-Verbündeten auf der anderen Seite treibt; aber an dem Kriegsgeschehen in Bosnien selbst ändert sie nichts.
Genauso rein symbolische Bedeutung kommt dem Haager Kriegsverbrecher-Tribunal zu, dessen riesige neugeschaffene Bürokratie sich mit einem einzigen Angeklagten befaßt, während das Hauptaugenmerk zumindest der deutschen Presse auf der wohl gemessen an den hehren und hohen Zielen des Tribunals eher zweitrangigen Frage liegt, ob ein möglicher zweiter Angeklagter von Deutschland ausgeliefert werden darf. Eine Bewertung des Tribunals aus friedensbewegter Sicht ist schwierig. Auf der einen Seite wäre es nur zu begrüßen, wenn Mord und Folter einmal nicht deswegen ungeahndet blieben, weil sie auf staatlichem Befehl und in einem Krieg geschahen. Auf der anderen Seite gilt es zu vermeiden, daß der Eindruck von Klassenjustiz (die kleinen fängt man, die großen läßt man laufen) oder von Siegerrecht (Anklagen nur gegen Kriegsverbrecher der einen Seite) entsteht. Beide Phänomene kennen wir ja auch in Deutschland bei den sog. "Mauerschützenprozessen" und der einseitigen Verurteilung von Ostspionen nur zu genau. Und es gilt auch zu vermeiden, daß solche Verfahren kriegsfördernd sind: Welcher Befehlshaber ist schon bereit, die Waffen niederzulegen, wenn er weiß, daß ihn eine u.U. lebenslange Gefängnisstrafe erwartet?
Eine der Haupt-Triebkräfte der internationalen Politik gegenüber den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien ist von ihren Anfängen 1991 an gewesen, den Krieg einzudämmen und zu verhindern, daß große Zahlen an Flüchtlingen nach Westeuropa kommen. Zunächst gelang dies nicht: über 500.000 Kriegsflüchtlinge verließen das Land. Aber als Kroatien und Republik Jugoslawien begannen, sich aus dem Krieg in Bosnien zurückzuziehen und sich auch untereinander anzunähern, eröffnete sich augenscheinlich eine neue Chance zur "Eindämmung":
Zum einen wurde es den Ländern, die die meisten Flüchtlinge aufnehmen mußten, möglich, damit zu beginnen, diese in großen Zahlen sowohl nach Kroatien wie nach Serbien/Montenegro zurückzusenden. In Deutschland verdichten sich zudem Gerüchte, daß auch Teile von Bosnien-Herzegowina in absehbarer Zeit zu "sicheren Gebieten" erklärt und damit auch bosnische Flüchtlinge "rückgeführt" werden sollen. Was für ein Schicksal diese Flüchtlinge in ihren Heimatländern erwartet, ist der westlichen Politik dabei gleichgültig. Es wird in Kauf genommen, daß zurückkehrende Männer direkt von der Polizei abgefangen und zum Militär geschickt werden (was zuverlässige Augenzeugen sowohl aus Serbien wie Kroatien berichten). Es wird in Kauf genommen, daß Flüchtlinge in schlecht organisierte und mangelhaft versorgte Massenlager gesteckt werden und es interessiert auch nicht, daß sich die Lage für bosnische Flüchtlinge in Kroatien u.a. aufgrund der Rückkehr kroatischer Flüchtlinge extrem verschlechtert hat.
Zum anderen kann der Krieg jetzt völkerrechtlich eindeutig zum "Bürgerkrieg" erklärt werden, während diese Einordnung zumindest strittig war, solange kroatische und serbisch-jugoslawische Truppen in Bosnien-Herzegowina operierten. Bedeutsam mag dies für das zukünftige internationale Engagement in Bosnien-Herzegowina werden: Immer mehr Staaten wird die Beteiligung an den UN-Truppen (UNPROFOR) zu teuer; es wird von teilweise oder völligem Rückzug gesprochen. Auch wenn die UNO in den letzten Jahren damit begonnen hat, auch in Konflikten zu operieren, die nur das Territorium eines einzigen Staates betreffen, ist es allemal politisch leichter vertretbar, sich aus einem "Bürgerkrieg" als aus einem "internationalen Krieg" zurückzuziehen.
Versöhnung und Wiederaufbau: Aufgabe der zivilen Gesellschaft
Wie auch immer die Entwicklungen in Bosnien-Herzegowina weitergehen: Der Prozeß von Wiederaufbau und Versöhnung wird sehr lange dauern. Krieg, Zerstörung und Haß können in wenigen Wochen gesät werden. Die Wiederherstellung friedlicher Verhältnisse braucht, das lehrt die Geschichte, Jahrzehnte. Und unter keinen Umständen wird es im ehemaligen Jugoslawien möglich sein, die Vorkriegsverhältnisse erneut zu schaffen. So schrecklich es ist: Es ist auszuschließen, daß jemals alle Vertriebene in ihre Heimat zurückkehren und multiethnische Gemeinschaften in ihrem ursprünglichen Gemenge wiederentstehen. Es wäre schon ein Erfolg, wenn ein wirtschaftlicher Wiederaufbau in allen Gebieten gelänge, demokratische Systeme sich durchsetzten, wenn es nach einem Waffenstillstand zu keinen weiteren Vertreibungen mehr kommen würde, die muslimischen Bosnier und Bewohner des Sandjaks bleiben könnten, eine Lösung für den Kosovo gefunden würde, die das Selbstbestimmungsrecht der AlbanerInnen genauso wie das Interesse Serbiens berücksichtigte und Serben und Kroaten in Kroatien, Serbien und Bosnien zu einem friedlichen Verhältnis zurückfinden würden.
Die einzigen, die konsequent und systematisch an dem Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und Versöhnung zwischen den verschiedenen Lagern arbeiten, sind Gruppen und Organisationen der Friedens- und Menschenrechtsbewegung in den betroffenen Ländern. Am ausgeprägtesten in Kroatien und Serbien, aber auch in Montenegro, Bosnien-Herzegowina und natürlich den anderen Staaten Ex-Jugoslawiens, versuchen sie teilweise schon seit 1991, die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Dazu gehören sehr umfangreiche friedenspädagogische Projekte in Belgrad, Ossijek und Zagreb, das Wiederaufbauprojekt in Pakrac und die Arbeit der Menschenrechtsgruppen, die sich gegen Menschenrechtsverletzungen und damit für den Aufbau einer zivilen Gesellschaft einsetzen. Immer noch werden die Aktiven aus diesen Gruppen nur zu oft in ihren eigenen Ländern als Verräter angesehen. Für ihre Arbeit brauchen sie dringend internationale Unterstützung in Form von materieller Hilfe und dem Schaffen von Öffentlichkeit für ihre Tätigkeit. Es darf nicht geschehen, daß Teile des ehemaligen Jugoslawiens zu dunklen Flecken auf der Landkarte werden.