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Eine Idee und ihre Umsetzung im 20. Jahrhundert
Kriegsbeendigung durch gewaltfreie Intervention.
vonDie Frage, ob ein gewaltfreies Intervenieren in gewaltförmige Konflikte möglich ist, wird im 20. Jahrhundert nicht erst im letzten Jahrzehnt gestellt. (1) Es handelt sich vielmehr um eine lange vernachlässigte Geschichte, die 1932 mit einem Aufruf der englischen Friedensbewegung begann. Aber erst Mahatma Gandhis Aufruf zu einer Friedensbrigade 1938 konkretisierte die Idee und verschaffte ihr weltweite Öffentlichkeit. (2) Dabei konnte über die Jahrzehnte ein interessanter und erfolgreicher Lernprozess bei den Aktiven festgestellt werden. (3) Im Folgenden wird von den Herausforderungen an die Idee des gewaltfreien Intervenierens - und von diesem Lernprozess die Rede sein.
Eine große Idee und einige Enttäuschungen
Der Krieg zwischen Japan und China zu Beginn der dreißiger Jahre war der Anlass zu einem ungewöhnlichen Aufruf britischer FriedensaktivistInnen zum Aufbau einer "Peace Army". In diesem forderten sie Freiwillige zur Teilnahme auf und boten dem Völkerbund an, diese unbewaffneten "shock troops of peace" zwischen die Fronten zu stellen. Trotz einer unglaublichen Resonanz - binnen weniger Tage meldeten sich rund 800 Freiwillige - kam die Unternehmung nicht zustande. Die staatlichen Institutionen in Großbritannien und der Völkerbund reagierten nicht; die InitiatorInnen ihrerseits sahen sich nicht imstande, ihr Unternehmen selber zu organisieren; die Situation im Kriegsgebiet änderte sich, und so blieb es bei diesem Appell. Dessen Geist war geprägt durch die Auseinandersetzung mit der Politik Gandhis und bestimmt durch den Glauben an die Macht des Gewissens. Vielleicht, so resümierte eine der AkteurInnen später, hätten sie allein gehen sollen. Vielleicht hätten drei Pazifisten, die, durchdrungen vom Geiste Gandhis, den Tod gefunden hätten, ein Wunder bewirken können.
Die Herausforderung war erstmals offen formuliert: Wie, wann und unter welchen Voraussetzungen ist eine gewaltfreie Intervention selbst im Krieg möglich?
Als zeitlich frühere Bestrebungen können die Vermittlungsversuche der Quäker (eine historische Friedenskirche) zwischen den amerikanischen Kolonisatoren und der indigenen Bevölkerung seit der Mitte des 17. Jahrhunderts angesehen werden. Mit dem Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg gründeten die amerikanischen Quäker das "American Friends Service Committee" und organisierten u.a. mit Kriegsdienstverweigerern und Freiwilligen einen medizinischen Hilfsdienst für die französische Zivilbevölkerung. In der Nachkriegszeit dehnten die Quäker ihre Hilfsleistungen aus: Mit der "Quäkerspeisung" halfen sie der vom Krieg betroffenen Bevölkerung auch in Deutschland. Angeregt durch den in der Friedensbewegung einflussreichen Aufsatz "The Moral Equivalent of War" von William James und das internationale Hilfswerk der Quäker gründete Pierre Ceresole, Schweizer Pazifist und erster Sekretär des Versöhnungsbundes, 1920 den Service Civil International (SCI). Der SCI trat für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein und strebte eine Alternative zum Militärdienst an. Er organisierte mit Freiwilligen Camps auf den ehemaligen Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges und Arbeitseinsätze in Katastrophengebieten, u.a. in Indien nach dem Erdbeben in Bihar 1934. Nicht Worte, sondern Taten sollten zur Versöhnung und zum Frieden zwischen den Völkern beitragen. Der SCI und die Quäkerorganisationen sind bis heute Beispiele für friedenskonsolidierende Bemühungen durch Nichtregierungsorganisationen (NROs) und ein wichtiger Teil der konstruktiven Friedensarbeit. Im Umfeld des Ersten Weltkrieges entstanden radikalere Friedensorganisationen wie der "Internationale Versöhnungsbund" (IFOR) im August 1914 oder die "War Resisters International" (WRI) im Jahre 1921, die sich, im Gegensatz zur bürgerlichen Friedensbewegung, zum aktiven, gewaltfreien Widerstand gegen den Krieg bekannten. Über den Beitrag der Friedensbewegung zur Abrüstung und Kriegsverhinderung wurde zu Beginn der 30er Jahre rege debattiert. Erstmals wurden auch Fragen der gewaltfreien Verteidigung einer Gesellschaft oder eines Landes aufgegriffen. (4)
Die Shanti Sena
Zu Beginn der 30er Jahre lernte Gandhi die Mitglieder der englischen Friedensbewegung während eines mehrmonatigen Aufenthalts in England kennen und stand mit ihnen im Gedankenaustausch über die "Peace Army". Von Gandhi stammt das Bild einer "Living Wall" von unbewaffneten VerteidigerInnen, die sich vor die Angreifer stellen würden, das sicher eine Anregung für die Organisatoren des Peace Army-Aufrufs war. (5) Gandhi selber schlug 1938 eine ausgebildete Garde von Freiwilligen, eine "Friedensbrigade", vor, die in lokalen Konflikten Frieden stiften sollte. Der Anlass dafür waren blutige Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen. Bei seinem persönlichen Engagement in Unruhegebieten ab 1946 praktizierte er viele der Aktionsformen, die die Shanti Sena - und gewaltfreie Friedensbrigaden insgesamt - später anwenden würden: Märsche, um Frieden zu stiften; Wohnen bei bedrohten Personen; Zusammenleben mit verfolgten Gruppen; Gespräche; Zusammenführung verschiedener Religionen und humanitäre Hilfe. Aber erst in der Shanti Sena (Friedensarmee) entstand Gandhis Vision der Friedensbrigade tatsächlich. Vinoba Bhave, ein enger Mitarbeiter Gandhis, gründete 1957 diese Organisation, die in kommunalen Unruhen eingreifen sollte. Würde sich damit auch die Vision erfüllen, daß ein Land auf eine bewaffnete Armee verzichten könnte? Während des Grenzkrieges zwischen Indien und China 1962 bestanden in der Shanti Sena unterschiedliche Vorstellungen über die Frage, ob und wie die Organisation gewaltfrei in diesen Konflikt intervenieren sollte; ein Einsatz fand nicht statt, die Shanti Sena wurde nicht zum Kern einer "gewaltfreien" Armee.
Internationale Bemühungen
In der internationalen Friedensbewegung, die den indischen Unabhängigkeitskampf von Anfang an verfolgt hatte, bestand nach dem Zweiten Weltkrieg ein großes Interesse, die Methoden und Arbeitsweisen Gandhis besser kennenzulernen und den Kontakt zwischen der indischen und der internationalen Friedensbewegung auszubauen. Gandhi begrüßte die Idee einer internationalen Friedenskonferenz und schlug vor, sie im Frühjahr 1948 im unabhängigen Indien abzuhalten. Als die Planungen fast abgeschlossen waren, wurde Gandhi am 30. Januar 1948 ermordet, und die Konferenz wurde um ein Jahr verschoben. Auf der Konferenz im Jahre 1949, an der u.a. auch Martin Niemöller als einer der deutschen Vertreter teilnahm, wurde der Aufbau von Satyagraha-Brigaden vorgeschlagen. Die "Satyagraha Units" sollten in der Lage sein, in Krisensituationen vor Ort oder in ihren Regionen gewaltfrei aktiv zu werden oder bei einem militärischen Angriff diesen mit gewaltfreien Mitteln abzuwehren (Soziale Verteidigung). (6) Die Shanti Sena beeinflusste sowohl konzeptionell als auch in ihrer Zielsetzung die internationale Entwicklung und wurde ein Vorbild für andere Initiativen zum Aufbau von Friedensbrigaden. (7)
Ein weiterer, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gründung der ersten internationalen Friedensbrigade war der Plan zum Aufbau einer "Peace Guard" für die Vereinten Nationen, den Salvador de Madariaga, Schriftsteller und Pazifist, und Jayaprakash Narayan, einer der führenden Mitarbeiter der Shanti Sena, in einem Brief an den Generalsekretär der UN, Dag Hammarskjöld, entwickelten. In diesem Vorschlag verbanden sich die Kontakte zwischen der westlichen Friedensbewegung und den ersten indischen Erfahrungen. Dieser Plan beinhaltete den Aufbau unbewaffneter Polizeieinheiten durch die Vereinten Nationen und deren Verankerung in der Charta. Die Autoren waren der Überzeugung, daß der Geist der Charta der Vereinten Nationen auf eine friedliche, auf Verhandlungen abzielende Konfliktbearbeitung ausgerichtet sei und es daher vernünftiger wäre, für Konflikte eine unbewaffnete Polizei aufzustellen, die die Verhandlungen zwischen den Konfliktparteien erleichtern würde. Den Plan verbanden sie mit einer Reform der Vereinten Nationen. (8) Mitte der fünfziger Jahre waren während der Nah-Ost-Krise, z.T. vor den ersten Blauhelm-Einsätzen, mehrere Vorschläge veröffentlicht worden, Einsätze mit unbewaffneten Freiwilligengruppen durchzuführen. Ihre Aufgabe sollte die Bildung von Pufferzonen sein. Die von Henry Usborne (1956), Richard Acland (1958) und Ralph Bell (1959) an die Vereinten Nationen gerichteten Vorschläge wurden aber nicht aufgegriffen, statt dessen wurden die ersten bewaffneten Blauhelmeinsätze durchgeführt. (9) Zu dieser Zeit gab es auch eine Vielzahl verschiedener Vorschläge, konstruktive Friedensdienste auf nationaler oder internationaler Ebene aufzubauen. (10)
Ende 1960 fand in Indien die Dreijahreskonferenz der WRI statt. Die indischen Teilnehmer stellten die Shanti Sena vor. Auf der Tagung wurde der Aufbau einer Internationalen Friedensbrigade beschlossen. Dazu sollte 1961 eine unabhängige Organisation gründet werden. (11) Die Gründung der World Peace Brigade (WPB) fand über Neujahr 1961/62 in der Nähe von Beirut statt. An ihr nahmen 55 Delegierte verschiedener Organisationen und Länder teil. Es wurde ein sehr umfassendes Programm beschlossen. Es sah vor, daß die World Peace Brigade zur Kriegsbeendigung in Kriege intervenieren, Unabhängigkeitsbewegungen und Widerstandsorganisationen unterstützen und durch antimilitaristische Aktionen gegen die Aufrüstung kämpfen sollte. Auf der Tagung wurden auch schon die ersten Aktionen geplant.
Erste internationale Aktionserfahrungen
Die World Peace Brigade führte drei Aktionen durch: Einen Friedensmarsch zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung in Nord Rhodesien, heute Sambia (Februar bis Oktober 1962), die Aktion Everyman III (Oktober 1962) und einen Friedensmarsch von Delhi nach Peking (Oktober 1963 bis Januar 1964). (12)
Das wichtigste und erfolgreichste Projekt war der Friedensmarsch zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung in Nord Rhodesien 1962. Der Marsch kam nicht über die Planungs- und Vorbereitungsphase hinaus, denn die Engländer setzten Neuwahlen an und die Unabhängigkeitsbewegung verzichtete auf den Marsch. Großbritannien entließ das Land kurze Zeit später in die Unabhängigkeit. Die Beteiligung der World Peace Brigade verstärkte durch die Ankündigung des Marsches den internationalen Druck auf die Kolonialherren und trug damit zur schnelleren Unabhängigkeit bei. Trotzdem waren die Einschätzungen der Rolle der World Peace Brigade unter den Teilnehmern sehr unterschiedlich. Einige kamen zu einem positiven Ergebnis bei der Beurteilung der Einwirkung. Andere hielten die Aktion für einen Fehlschlag, da der Marsch und andere direkte Aktionen nicht stattgefunden hatten und die afrikanische Unabhängigkeitsbewegung den Eindruck bekam, Gewaltfreiheit würde nur aus Reden bestehen. M. Scott, einer der Projektorganisatoren, schreibt, daß die World Peace Brigade es bewusst Kaunda und seiner Organisation überlassen hätten, den Zeitpunkt des Marsches festzulegen. (13)
Mit den drei "Everyman" - Aktionen wurde gegen Atomtests protestiert. Die beiden ersten Aktionen, Everyman I und II, wandten sich gegen Atomtests der USA und hatten vor der Gründung der World Peace Brigade stattgefunden. Mit Everyman III fuhren die TeilnehmerInnen nach Polen und Leningrad, um dort Flugblätter gegen Atomtests zu verteilen. Die Mannschaft wurde nicht an Land gelassen und mußte trotz des Versuches, es schwimmend zu erreichen, unverrichteter Dinge zurückkehren. (14)
Als eine Reaktion auf den Krieg zwischen Indien und China 1962 plante die World Peace Brigade ihre dritte Aktion, den Delhi-Peking-Friedensmarsch. Die Shanti Sena hatte sich nicht auf eine gemeinsame Reaktion in diesem Konflikt einigen können. Deshalb organisierte der Teil der Shanti Sena, der auch für einen zwischenstaatlichen Einsatz eintrat, in Zusammenarbeit mit der World Peace Brigade 1963 diesen Marsch. (15) Der Marsch wurde schon vor der chinesischen Grenze durch die indische Regierung gestoppt und nicht in die Grenzregion gelassen. Der Versuch, über andere Staaten auszuweichen, scheiterte, da China die Visa zur Einreise verweigerte. Dieser Marsch wurde von vielen Seiten kritisiert, da er entweder als pro-indisch oder als pro-chinesisch betrachtet wurde. Die TeilnehmerInnen hatten große Schwierigkeiten, ihren unparteilichen Standpunkt nach außen hin zu verdeutlichen und ihr Ziel, zum Abbau von Feindbildern und zur Verständigung beizutragen, deutlich zu machen. (16)
Die drei Aktionen weisen auf das größte Problem der World Peace Brigade hin: Die Organisatoren stürzten sich in Aktionen und vernachlässigten den Aufbau einer eigenen Struktur. Die World Peace Brigade wurde nicht aufgelöst, aber sie ergriff auch keine Aktivitäten mehr. Ein Bericht der WRI spricht davon, daß viele Fehler gemacht wurden: ein sehr umfassendes Programm, eine fehlende Organisationsstruktur und ein großer Aktionismus ohne eine Basis.
Vom Vorteil, manchmal kleine Brötchen zu backen
Im Umfeld der World Peace Brigade sammelten einzelne Personen wichtige Erfahrungen für die Zukunft, indem sie sich aktiv bei der Vermittlung und Intervention in Konflikten beteiligten. Wegweisende Erfahrungen wurden im Nagaland gemacht. Die Volksgruppe der Nagas kämpfte seit Mitte der 50er Jahre für ihre Unabhängigkeit von Indien. Es gelang, einen Waffenstillstand zwischen den Nagas und der indischen Zentralregierung zu vermitteln, ihn über mehrere Jahre zu stabilisieren (1964-1972) und darüberhinaus einen Friedensprozess in Gang zu bringen, so daß der Konflikt nach der schließlichen Aufkündigung des Waffenstillstands für einen längeren Zeitraum deeskaliert blieb. Ein weiteres Projekt wurde in Zypern angegangen. Dort begannen Freiwilligenteams nach vielen Gesprächen mit Verantwortlichen auf der griechisch- und türkisch-zypriotischen Seite in den Dörfern, die für das Projekt vorgesehen waren, ein Klima vorzubereiten, das die Rückkehr von Vertriebenen ermöglichen sollte. Mitten in diese Arbeit platzte der Putsch in Zypern und die nachfolgende türkische Invasion, die das Projekt beendete. Eine seiner Wirkungen zeigte sich darin, daß zwischen den Bevölkerungsgruppen in dem Dorf, in dem erste Häuser für die Rückführung wiederaufgebaut worden waren, soviel gegenseitiger Respekt zwischen den Bevölkerungsgruppen entstanden war, daß es während der Invasion nicht zu Übergriffen kam, sondern sich die Nachbarn vielmehr gegenseitig nach Kräften schützten. (17)
Lernen aus der Geschichte: Peace Brigades International
Aktive aus der Friedensbewegung, die z.T. schon bei der World Peace Brigade, den Shanti Sena oder einem der beiden genannten Projekte mitgearbeitet hatten, wagten 1981 einen organisatorischen Neuanfang. In Grindstone in Kanada entstanden die Internationalen Friedensbrigaden: Peace Brigades International. Obwohl auch hier noch zu hohe Erwartungen an die eigenen Handlungsmöglichkeiten gestellt wurden (18), gelang es, eine stabile Organisationsform zu entwickeln und die selbstgesteckten Ziele realistischer als bisher zu benennen. Als unabhängige, unparteiliche Dritte Partei wollten die PBI in Konflikten eingreifen, sofern sie von einer Konfliktpartei gerufen würden. Mit einem klaren Mandat ließen sie den Konfliktparteien die Verantwortung zur Lösung der Probleme und konzentrierten ihren Anteil darauf, bedrohten und gefährdeten Personen durch ihre Anwesenheit und Aktivität den Schutz- und Freiraum zu verschaffen, damit diese ihre Arbeit fortsetzen konnten. Die Internationalen Friedensbrigaden entwickelten einen wirksamen Menschenrechtsschutz von Personen und kleineren Kollektiven.
Inzwischen arbeiten auch andere Organisationen mit ehemals typischen PBI-Aktionsformen, beispielsweise Solidaritätsgruppen aus der "Dritte Welt"-Bewegung, die seit 1993 die Rückkehr guatemaltekischer Flüchtlinge begleiten und den Eingliederungsprozess beobachten wollen. Auch die Beobachterdelegationen in Kurdistan 1994 oder das "Ecumenical Monitoring Programme for South Africa" (1992-1994) vom Ökumenischen Rat in Genf wenden solche Methoden an.
Eingreifen zur Beendigung von Kriegen?
Die Herausforderung, die in dem 1932 erstmals formulierten Ziel der Kriegsbeendigung liegt, wird an den Aktionen deutlich, mit denen sich Friedensgruppen seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes in Situationen von Krieg und Kriegsvorbereitungen begeben. Den Anfang in den 90er Jahren machten die Aktionen der Friedensbewegung gegen den Golfkrieg 1990/91. Die Mitglieder des "Gulf Peace Team" (GPT) und der "Initiative Frieden am Golf" (IFAG) reisten ab Oktober 1990 in den Irak und boten sich für die vom Irak festgehaltenen Geiseln als Ersatz an. Nach der Freilassung der Geiseln begann das GPT, eine Präsenz zwischen den Fronten zur Verhinderung des Krieges aufzubauen. Sie nahmen damit de facto, allerdings ohne es zu wissen, die Idee der "Peace Army" auf: Zivilisten könnten durch eine Präsenz zwischen den Fronten einen Krieg verhindern. Das GPT versuchte, die Zustimmung von allen Konfliktseiten zum Aufbau eines Camps zwischen den Fronten im irakisch- saudi-arabischen Grenzgebiet zu erhalten, bekam aber von amerikanischer und saudi-arabischer Seite keine Zustimmung für eine Präsenz. Das internationale Camp mit 25 TeilnehmerInnen aus 11 Ländern entstand auf irakischer Seite kurz nach Weihnachten 1990 und dauerte bis einige Tage nach Kriegsbeginn an. Parallel zum GPT entwickelte sich in der BRD die Initiative Frieden am Golf (IFAG). Später ging es IFAG darum, durch eine Anwesenheit von Freiwilligen u.a. in Bagdad ihre Solidarität mit der vom drohenden Krieg gefährdeten Zivilbevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Die OrganisatorInnen bemühten sich im Anschluss an den Krieg um humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Irak und waren zu dieser Zeit eine der wenigen Organisationen, die bis in den Herbst 1991 im Süden des Irak humanitäre Hilfe leisteten. (19)
Seit dem Beginn des Krieges im ehemaligen Jugoslawien 1991 hat eine große Anzahl von Gruppen und Organisationen versucht, in den Konflikt einzugreifen: sei es mit der Organisierung von Friedensaktionen oder mit Märschen in oder am Rande der Kriegsgebiete. Mehr oder weniger bewusst, versuchten sie als eine "Friedensbrigade" zu handeln und wollten z.T. erneut durch eine Präsenz zwischen den Fronten zur Kriegsbeendigung beitragen. Das Balkan Peace Team (BPT) bündelt wiederum die Erfahrungen der Friedensbrigaden, und verbindet sie mit dem Versuch, präventiv in einem Krisengebiet aktiv zu werden. (20) Im Balkan Peace Team (BPT) haben sich 1994 nach längerer Diskussion einige Organisationen wie der Internationale Versöhnungsbund, die WRI, Peace Brigades International u.a. zusammengeschlossen, um durch eine langfristige Präsenz im ehemaligen Jugoslawien zur Deeskalation im Krisengebiet beizutragen. (21) (vgl. Christine Schweitzer in diesem Heft)
Dieser Abriss zeigt, daß seit dem Ende des Ost-West-Konflikts bei gesellschaftlichen Akteuren eine zunehmende Bereitschaft zum gewaltfreien Eingreifen besteht. Sie wagen sich in den Bereich der internationalen Politik vor und greifen dort aktiv ein. Ihre Wirkung entfalten die Akteure dabei sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf staatlich-institutioneller Ebene. Die verwendeten Aktionsformen umfassen sowohl dissoziative, d.h. die Konfliktparteien trennende Methoden, als auch assoziative, verbindende Methoden, ohne daß diese sich, wie in militärischen Einsätzen (z.B. in Somalia) widersprechen. In dieser integrativen Wirkung liegt die Stärke dieser Ansätze.
Eine Idee - für die die Zeit reif ist?
Aber die Herausforderung, einen Krieg durch gewaltfreies Eingreifen zu stoppen, bleibt bislang ungelöst. Dies haben in jüngster Zeit immer wieder Gruppen versucht. Soweit bekannt, waren die meisten von ihnen nicht in den Lernprozess eingebunden, den die Shanti Sena/ Friedensbrigade- AktivistInnen mitgemacht haben. Als Beispiele seien genannt: "Gulf Peace Team" und "Initiative Frieden am Golf" im 2. Golfkrieg, im Krieg im ehemaligen Jugoslawien die "Friedenskarawane", die Märsche "Mir Sada" nach Sarajewo und "Sjeme Mira" nach Mostar. Wir können davon ausgehen, daß es in den zahlreichen Konfliktgebieten, z.B. in Russland, weitere solcher gewaltfreier Interventionsversuche gibt, von denen wir nur noch nichts oder nur wenig wissen.
Neben diesen Aktivitäten sind Überlegungen zu neuen Organisationsformen festzustellen. Dazu gehört in Deutschland die Diskussion über den Zivilen Friedensdienst (vgl. Theodor Ebert in diesem Heft) und in den USA die Diskussion um Peace Teams. (22) In der deutschen sicherheitspolitischen Diskussion um staatliche zivile Konfliktbearbeitungskompetenz begegnen sich zunehmend die "Welten" staatlicher Akteure und gesellschaftlicher Organisationen in konfrontativem, aber auch aufgeschlossenem Dialog. Damit werden möglicherweise neue Handlungsräume für eine zivile Konfliktbearbeitung erschlossen. Neue Chancen und Perspektiven könnten sich dadurch ergeben, daß es eine größere politische Unterstützung für solche Projekte gibt. Finanzielle und gesetzliche Restriktionen, die die Arbeit behindern oder unmöglich machen, müssten aufgehoben und z.B. in einem Freiwilligengesetz geregelt werden, in dem die arbeitsplatz- und versicherungsrechtliche Sicherheit für die Organisationen und ihre MitarbeiterInnen geschaffen wird. (23)
Möglicherweise stehen wir heute an dem Punkt: Gerade angesichts der praktischen Schwäche ziviler Konfliktbearbeitung müssen wir ihre Stärken weiterentwickeln. Angesichts einer Verteilungsungerechtigkeit, die größer ist denn je, und angesichts der militärischen Verwundbarkeit der hochindustrialisierten Staaten (24) sind wir dazu verdammt, zivile Mittel auch als die "letzten" Mittel zu entwickeln.
Quellen und Anmerkungen: (1) Christian Büttner hat die Konzepte der Friedensbrigaden in seiner Diplomarbeit eingehender untersucht. Büttner, Christian W., Friedensbrigaden: Zivile Konfliktbearbeitung mit gewaltfreien Methoden, Münster 1995. (Im Erscheinen). Der folgende Aufsatz bezieht sich auf diese Arbeit, sofern nicht andere Belegstellen angegeben sind. Bezug des Sonderdrucks über BSV, Postfach 2110, 32378 Minden. Barbara Müller: Ziele, Methoden und Wirkungen bisheriger Eingreifversuche. Thesen, Darstellung, Liste der Fallbeispiele. 1993. (Unveröffentlicht). (2) Büttner 1995 (Anm. 1) (3) Dieser Lernprozess, die Systematisierung der Erfahrungen, die Recherche nach weiteren Fällen gewaltfreien Intervenierens und die Einordnung in die Konflikttheorie sind Gegenstand des ersten umfassenden Forschungsvorhabens "Intervention in eskalierte Konflikte durch gewaltfreie Aktion" des "Instituts für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung", Hauptstr. 35, D-55491 Wahlenau. Sie werden 1996 eine erste Studie zur Systematisierung gewaltfreier Interventionen in gewaltförmige Konflikte vorlegen. (4) vgl. Büttner 1995, (Anm. 1) S. 10 ff. (5) vgl. C.W. Büttner: Auf der Suche nach einer gewaltfreien Alternative zum Krieg. In: gewaltfreie aktion, Heft 99/100, 26. Jg., 1+2. Quartal 1994, S. 1-7. (6) Siehe: The Task of Peace-Making, Reports of the World Pacifist Meeting in Santiniketan and Sevagram 1949, Hrsg.: The World Pacifist Meeting Committee, Calcutta, 1951, S. 1f. Mit dem Begriff Satyagraha machten die Teilnehmer den direkten Bezug zu Gandhi deutlich. Dieser verstand unter Satyagraha zum einen den Weg zur Wahrheitssuche und der spirituellen Selbstverwirklichung, zum anderen die verschiedenen Methoden gewaltfreien Handelns, z.B. Zivilen Ungehorsam. (7) Siehe Büttner 1995 (Anm. 1), Kapitel 4.1 und 5.1. (8) In Salvodor de Madariaga: "Blueprint for a World Commonwealth" in: Perspectives on Peace 1910-1960, Carnegie Endowment for International Peace, London 1960, S. 47-64, der gemeinsame Vorschlag mit Jayaprakash Narayan ist auf den Seiten 60-63 abgedruckt. (9) Thomas Weber: From Maude Royden's Peace Army to the Gulf Peace Team. Journal of Peace Research, Vol. 30, No. 1, 1993, S. 45-64. S. 48f. (10) Siehe: Ruppe, L. M.: "Peace Corps", in: Encyclopedia of Peace. S. 180-182. J. Galtung: Norwegian Peace Corps, The War Resister, 3. Quartal 1961, Nr. 9., S. 5-8; Fritz Vilmar: Ein Weltfriedensdienst, in: Frankfurter Hefte, Heft 12, Dezember 1958, S. 841-849 u.a. mehr. Das US-Peace Corps wurde zu Beginn des Jahres 1960 von Senator Humphry vorgeschlagen und nach dem Wahlsieg J.F. Kennedys im März 1961 aufgebaut. Es ist von der Konzeption eine Entwicklungshilfeorganisation mit dem Schwerpunkt auf der Ausbildung. Die Gründung des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), der das Peace Corps als Vorbild hat, erfolgte 1963 während des Kennedy - Besuchs in der BRD. Josef Freise: Eirene. In: Pax Christi: Friedens- statt Militäreinsätze, Idenstein 1994, S. 49. Das norwegische Peace Corps wollte Entwicklungshilfe organisieren. Es wurde von der norwegischen Sektion der WRI, deren Vorsitzender Johan Galtung war, angeregt. (11) The Gandhigram Statement, in: The War Resisters, Nr. 89, 1. Quartal 1961, S. 27/28, die gleiche Ausgabe enthält auch einen Konferenzbericht. Über das ganze Jahr verteilt, erschienen in den Zeitschriften viele Artikel zu diesem Vorschlag. (12) Büttner 1995 (Anm. 1), bes. Kapitel 4.2. (13) Berichte in Hare, A. Paul and Herbert H. Blumberg Ed.: A Search for Peace and Justice. Reflections of Michael Scott. London, 1980 S. 138-149; Charles Walker: Nonviolence in Africa. In: S.T. Bruyn and P.M. Rayman: Nonviolent Action And Social Change, New York 1979, S. 165-185. (14) Bericht: Everyman III Boat in Leningrad, in: Sarvodaya, Vol XII, Dezember 1962, Nr. 6, S. 229-230. (15) Siehe Büttner 1995 (Anm. 1) Kapitel 4.1. (16) Berichte über den Delhi-Peking Marsch in: Gandhi Marg, Vol. 7, April 1963, S. 81-83, ebd., July 1963, S. 210-213, The Delhi-Peking Friendship March, War Resistance, 1. Quartal 1964, S. 17-18 (Abschlußerklärung vom 30. Januar 1964). (17) Eine detailliertere Darstellung der Projekte siehe Büttner 1995 (Anm. 1) Kapitel 5.2 und 5.3. (18) Mündliche Mitteilung von Ueli Wilderberger, 16.7. 1995. (19) Eine Übersicht über die Aktivitäten und Initiativen im Irak gibt der Band: Die Vision einer gewaltlosen Friedensarmee, Bürgerdiplomaten in Bagdad 1990/91, Schriftenreihe zum Frieden Nr. 6, Hackbarth: St.Georgen, 1991. (20) Balkan Peace Team: Declaration of Goals and Principles. Zur Entwicklung des einzelnen Projekte des BPT siehe Rundbriefe Nr. 1, März 1994 und 2, Mai 1994. Kontaktadresse: BPT, Marienwall 9, D-32423 Minden. Tel.: (+49) 571 - 20776. (21) Christine Schweitzer: Das erste Team hat seine Arbeit aufgenommen. Rundbrief Bund für Soziale Verteidigung, 5. Jahrgang, Nr. 2, 1994, S. 1. (22) Elise S. Boulding: International Nonviolent Peace Teams/ Peace Service Newsletter, 5-30-1995 und Forum Loccum Extra: Zivile Konflikttransformation, Gutachten im Auftrag der Ev. Akademie Loccum, Loccum 1994, erstellt von Christine M. Merkel. (Bezug: Pf. 2158, 31545 Rehburg - Loccum. (23) Beispielhaft bei den Tagungen der Evangelischen Akademie in Loccum zur Friedlichen Streitbeilegung, im Juni 1995 beim Werkstattgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung. (Dokumentation Nr. 8: Zivile Konfliktbearbeitung und Gewaltprävention. Zu beziehen über Heinrich-Böll-Stiftung, Brückenstr. 5-11, 50667 Köln). (24) Barbara Müller: Passiver Widerstand im Ruhrkampf. Eine Fallstudie zur gewaltlosen zwischenstaatlichen Konfliktaustragung und ihren Erfolgsbedingungen, S. 23 (Im Erscheinen). Bezug des Sonderdrucks über BSV, Postfach 2110, 32378 Minden.