Eine Idee und ihre Umsetzung im 20. Jahrhundert

Kriegsbeendigung durch gewaltfreie Intervention.

von Barbara MüllerChristian Büttner
Schwerpunkt
Schwerpunkt

Die Frage, ob ein gewaltfreies Intervenieren in gewaltförmige Kon­flikte möglich ist, wird im 20. Jahrhundert nicht erst im letz­ten Jahrzehnt gestellt. (1) Es handelt sich vielmehr um eine lange vernachlässigte Geschichte, die 1932 mit einem Aufruf der eng­lischen Friedensbe­wegung begann. Aber erst Mahatma Gandhis Auf­ruf zu einer Friedensbrigade 1938 kon­kretisierte die Idee und ver­schaffte ihr weltweite Öffentlichkeit. (2) Dabei konnte über die Jahrzehnte ein interessanter und erfolgreicher Lernprozess bei den Aktiven festgestellt wer­den. (3) Im Folgenden wird von den Her­ausforderungen an die Idee des gewaltfreien Inter­venierens - und von diesem Lernprozess die Rede sein.

Eine große Idee und einige Enttäu­schungen

Der Krieg zwischen Japan und China zu Beginn der dreißiger Jahre war der Anlass zu ei­nem un­ge­wöhn­lichen Aufruf britischer Frie­densaktivistInnen zum Auf­bau einer "Peace Army". In die­sem forderten sie Frei­willige zur Teilnahme auf und boten dem Völ­kerbund an, diese un­be­waff­neten "shock troops of peace" zwischen die Fronten zu stel­len. Trotz einer un­glaub­li­chen Resonanz - bin­nen we­ni­ger Tage meldeten sich rund 800 Freiwillige - kam die Un­ter­nehmung nicht zustande. Die staat­lichen Institutionen in Groß­britannien und der Völ­ker­bund rea­gierten nicht; die Ini­ti­atorInnen ihrerseits sa­hen sich nicht imstande, ihr Un­ternehmen selber zu or­ga­ni­sieren; die Situation im Kriegs­gebiet änderte sich, und so blieb es bei diesem Appell. Des­sen Geist war ge­prägt durch die Auseinandersetzung mit der Po­litik Gandhis und bestimmt durch den Glauben an die Macht des Gewissens. Viel­leicht, so re­sümierte eine der AkteurInnen spä­ter, hätten sie allein gehen sol­len. Viel­leicht hätten drei Pa­zifisten, die, durchdrun­gen vom Geiste Gandhis, den Tod ge­fun­den hätten, ein Wunder be­wir­ken können.

Die Herausforderung war erstmals of­fen formuliert: Wie, wann und un­ter welchen Voraussetzungen ist eine gewaltfreie Inter­ven­tion selbst im Krieg möglich?

Als zeitlich frühere Be­stre­bungen können die Ver­mitt­lungs­versuche der Quäker (eine his­torische Friedenskirche) zwi­schen den amerikanischen Ko­lonisatoren und der indi­ge­nen Bevölkerung seit der Mitte des 17. Jahrhunderts angesehen wer­den. Mit dem Eintritt der USA in den ersten Weltkrieg grün­deten die amerikanischen Quä­ker das "American Friends Ser­vice Committee" und or­ga­ni­sierten u.a. mit Kriegs­dienst­verwei­gerern und Frei­wil­ligen einen medizinischen Hilfs­dienst für die fran­zö­si­sche Zivilbevölke­rung. In der Nachkriegszeit dehnten die Quä­ker ihre Hilfsleistungen aus: Mit der "Quäkerspeisung" hal­fen sie der vom Krieg be­trof­fenen Bevölkerung auch in Deutsch­land. Angeregt durch den in der Friedens­bewegung einflussreichen Aufsatz "The Mo­ral Equivalent of War" von William James und das internationale Hilfs­werk der Quä­ker gründete Pierre Ceresole, Schweizer Pa­zi­fist und erster Sekretär des Versöhnungsbundes, 1920 den Ser­vice Civil Inter­national (SCI). Der SCI trat für das Recht auf Kriegs­dienst­ver­wei­gerung ein und strebte eine Al­ternative zum Militärdienst an. Er or­ganisierte mit Frei­wil­ligen Camps auf den ehe­ma­li­gen Schlachtfeldern des Er­sten Weltkrieges und Ar­beits­ein­sätze in Katastro­phen­ge­bie­ten, u.a. in Indien nach dem Erd­beben in Bihar 1934. Nicht Wor­te, son­dern Taten sollten zur Versöhnung und zum Frieden zwi­schen den Völkern beitragen. Der SCI und die Quäker­or­ga­ni­sationen sind bis heute Bei­spie­le für friedenskonsolidie­rende Bemühungen durch Nichtregierungs­organisationen (NROs) und ein wichtiger Teil der kon­struk­tiven Friedensar­beit. Im Um­feld des Ersten Weltkrieges ent­standen radikalere Frie­dens­organisationen wie der "In­ternationale Ver­söhnungs­bund" (IFOR) im August 1914 oder die "War Resi­sters In­ter­na­tio­nal" (WRI) im Jahre 1921, die sich, im Gegensatz zur bür­ger­lichen Frie­densbewegung, zum aktiven, gewaltfreien Wi­der­stand gegen den Krieg be­kann­ten. Über den Beitrag der Frie­densbewegung zur Abrüstung und Kriegsverhinderung wurde zu Be­ginn der 30er Jahre rege de­bat­tiert. Erstmals wurden auch Fra­gen der ge­waltfreien Ver­tei­digung einer Gesellschaft oder eines Landes aufgegriffen. (4)

Die Shanti Sena

Zu Beginn der 30er Jahre lernte Gan­dhi die Mitglieder der eng­li­schen Friedensbewe­gung wäh­rend eines mehrmonatigen Auf­ent­halts in England kennen und stand mit ih­nen im Ge­danken­aus­tausch über die "Peace Army". Von Gandhi stammt das Bild einer "Living Wall" von un­bewaffneten Ver­tei­diger­Innen, die sich vor die An­grei­fer stellen würden, das sicher eine Anregung für die Or­ganisatoren des Peace Army-Auf­rufs war. (5) Gandhi selber schlug 1938 eine ausgebildete Gar­de von Freiwilligen, eine "Frie­densbrigade", vor, die in lo­kalen Kon­flikten Frieden stif­ten sollte. Der Anlass dafür wa­ren blutige Aus­ein­ander­setzungen zwi­schen ver­schie­de­nen Bevölkerungsgrup­pen. Bei sei­nem persönlichen Engagement in Unruhegebieten ab 1946 prak­ti­zierte er viele der Ak­tions­formen, die die Shanti Sena - und gewaltfreie Frie­dens­brigaden insge­samt - spä­ter anwenden würden: Märsche, um Frie­den zu stiften; Wohnen bei be­droh­ten Personen; Zu­sam­men­leben mit verfolg­ten Grup­pen; Gespräche; Zusammenfüh­rung ver­schiedener Religionen und hu­ma­nitäre Hilfe. Aber erst in der Shanti Sena (Friedensarmee) ent­stand Gandhis Vision der Frie­densbrigade tatsächlich. Vi­noba Bhave, ein enger Mit­ar­beiter Gandhis, grün­dete 1957 diese Organisation, die in kom­munalen Unruhen ein­grei­fen sollte. Würde sich da­mit auch die Vision erfüllen, daß ein Land auf eine bewaffnete Armee verzichten könnte? Während des Grenz­krieges zwi­schen In­dien und China 1962 bestanden in der Shanti Sena unterschiedli­che Vorstel­lungen über die Fra­ge, ob und wie die Or­ganisation ge­waltfrei in diesen Konflikt in­tervenieren sollte; ein Ein­satz fand nicht statt, die Shan­ti Sena wurde nicht zum Kern einer "gewaltfreien" Armee.

Internationale Bemühungen

In der internationalen Frie­dens­bewegung, die den indischen Unabhängigkeitskampf von Anfang an verfolgt hatte, bestand nach dem Zweiten Weltkrieg ein großes In­ter­esse, die Methoden und Ar­beitsweisen Gandhis besser ken­nenzulernen und den Kontakt zwi­schen der indischen und der in­ternationalen Frie­dens­be­we­gung auszu­bauen. Gandhi be­grüß­te die Idee einer in­ter­na­tionalen Friedenskonferenz und schlug vor, sie im Frühjahr 1948 im unabhängigen Indien ab­zu­halten. Als die Planungen fast abgeschlossen waren, wurde Gan­dhi am 30. Januar 1948 er­mor­det, und die Konfe­renz wurde um ein Jahr verschoben. Auf der Kon­ferenz im Jahre 1949, an der u.a. auch Martin Niemöller als ei­ner der deut­schen Vertreter teil­nahm, wurde der Aufbau von Satyagraha-Brigaden vor­ge­schla­gen. Die "Satyagraha Units" sollten in der Lage sein, in Krisensituationen vor Ort oder in ih­ren Regionen ge­walt­frei aktiv zu werden oder bei einem militärischen Angriff die­sen mit gewaltfreien Mitteln ab­zuwehren (Soziale Ver­tei­di­gung). (6) Die Shanti Sena beeinflusste sowohl kon­zep­tio­nell als auch in ihrer Ziel­setzung die internationale Ent­wicklung und wurde ein Vor­bild für andere Initiativen zum Auf­bau von Friedens­brigaden. (7)

Ein weiterer, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Gründung der er­sten internationalen Frie­dens­brigade war der Plan zum Auf­bau einer "Peace Guard" für die Vereinten Natio­nen, den Sal­vador de Madariaga, Schrift­steller und Pazifist, und Jayaprakash Nara­yan, einer der führenden Mitarbeiter der Shanti Sena, in einem Brief an den General­sekretär der UN, Dag Ham­marskjöld, ent­wickelten. In die­sem Vorschlag verbanden sich die Kontakte zwischen der west­li­chen Friedensbewegung und den ers­ten indi­schen Erfahrungen. Die­ser Plan beinhaltete den Auf­bau unbewaffneter Po­li­zei­einheiten durch die Ver­ein­ten Nationen und deren Ver­an­kerung in der Charta. Die Au­toren wa­ren der Überzeugung, daß der Geist der Charta der Ver­einten Nationen auf eine fried­liche, auf Verhandlungen ab­zielende Konfliktbearbeitung aus­gerichtet sei und es daher ver­nünftiger wäre, für Kon­flik­te eine unbewaffnete Po­li­zei aufzustellen, die die Ver­handlungen zwischen den Kon­fliktpar­teien erleichtern wür­de. Den Plan verban­den sie mit einer Reform der Vereinten Na­tionen. (8) Mitte der fünfziger Jah­re waren während der Nah-Ost-Krise, z.T. vor den er­sten Blau­helm-Einsätzen, mehrere Vor­schläge veröffentlicht wor­den, Einsätze mit unbewaffneten Frei­willigengruppen durch­zu­füh­ren. Ihre Aufgabe sollte die Bil­dung von Pufferzonen sein. Die von Henry Us­borne (1956), Richard Acland (1958) und Ralph Bell (1959) an die Vereinten Na­tionen gerichteten Vorschläge wur­den aber nicht aufgegriffen, statt dessen wurden die ersten be­waffneten Blauhelmeinsätze durch­ge­führt. (9) Zu dieser Zeit gab es auch eine Vielzahl ver­schiedener Vorschläge, kon­struk­tive Friedensdienste auf na­tionaler oder internationaler Ebene aufzubauen. (10)

Ende 1960 fand in Indien die Drei­jahres­konferenz der WRI statt. Die indischen Teil­nehmer stell­ten die Shanti Sena vor. Auf der Tagung wurde der Aufbau ei­ner Internatio­nalen Frie­dens­brigade beschlossen. Dazu sol­lte 1961 eine unabhängige Or­ganisation gründet werden. (11) Die Gründung der World Peace Brigade (WPB) fand über Neu­jahr 1961/62 in der Nähe von Bei­rut statt. An ihr nahmen 55 De­legierte verschie­dener Or­ga­nisationen und Länder teil. Es wurde ein sehr umfassendes Pro­gramm beschlossen. Es sah vor, daß die World Pe­ace Bri­gade zur Kriegsbeendigung in Krie­ge intervenieren, Un­ab­häng­ig­keitsbewegungen und Wi­der­standsorganisationen un­ter­stüt­zen und durch anti­mi­li­taristische Aktionen gegen die Aufrüstung kämpfen sollte. Auf der Tagung wurden auch schon die ersten Aktionen geplant.

Erste internationale Aktionserfah­rungen

Die World Peace Brigade führte drei Aktio­nen durch: Einen Frie­densmarsch zur Un­ter­stüt­zung der Un­ab­hängig­keits­bewegung in Nord Rho­de­sien, heute Sambia (Februar bis Ok­tober 1962), die Aktion Every­man III (Oktober 1962) und ei­nen Friedensmarsch von Delhi nach Peking (Oktober 1963 bis Januar 1964). (12)

Das wichtigste und er­folg­reichs­te Projekt war der Frie­dens­marsch zur Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung in Nord Rhodesien 1962. Der Marsch kam nicht über die Planungs- und Vor­be­rei­tungs­phase hinaus, denn die Engländer setzten Neu­wahlen an und die Un­ab­hän­gig­keits­be­we­gung verzichtete auf den Marsch. Groß­bri­tannien entließ das Land kurze Zeit später in die Un­abhängigkeit. Die Beteiligung der World Peace Brigade ver­stärk­te durch die Ankündigung des Marsches den internatio­na­len Druck auf die Kolonialherren und trug damit zur schnelleren Un­abhängigkeit bei. Trotzdem wa­ren die Einschätzungen der Rol­le der World Peace Brigade un­ter den Teil­nehmern sehr un­terschiedlich. Einige ka­men zu einem positiven Ergebnis bei der Beurteilung der Einwirkung. An­dere hielten die Aktion für ei­nen Fehlschlag, da der Marsch und andere direkte Aktionen nicht stattgefunden hatten und die afrikanische Un­ab­hän­gig­keits­bewegung den Eindruck be­kam, Gewaltfreiheit würde nur aus Reden bestehen. M. Scott, ei­ner der Projektorgani­sa­to­ren, schreibt, daß die World Peace Bri­gade es bewusst Kaunda und seiner Organi­sation über­las­sen hätten, den Zeitpunkt des Marsches festzulegen. (13)

Mit den drei "Everyman" - Ak­tio­nen wurde gegen Atomtests pro­testiert. Die beiden er­sten Ak­tionen, Everyman I und II, wandten sich gegen Atomtests der USA und hatten vor der Grün­dung der World Peace Bri­ga­de stattgefunden. Mit Every­man III fuhren die Teil­neh­mer­Innen nach Polen und Lenin­grad, um dort Flugblätter gegen Atom­tests zu verteilen. Die Mann­schaft wurde nicht an Land ge­lassen und mußte trotz des Ver­suches, es schwimmend zu er­reichen, un­verrichteter Dinge zu­rück­kehren. (14)

Als eine Reaktion auf den Krieg zwi­schen Indien und China 1962 plan­te die World Pe­ace Brigade ihre dritte Aktion, den Delhi-Pe­king-Friedensmarsch. Die Shan­ti Sena hatte sich nicht auf eine gemeinsame Reaktion in die­sem Konflikt einigen können. Des­halb organisierte der Teil der Shanti Sena, der auch für ei­nen zwischenstaatlichen Ein­satz eintrat, in Zusammenarbeit mit der World Peace Brigade 1963 die­sen Marsch. (15) Der Marsch wur­de schon vor der chinesi­schen Grenze durch die indische Re­gierung gestoppt und nicht in die Grenzregion ge­lassen. Der Ver­such, über andere Staaten aus­zuweichen, scheiterte, da Chi­na die Visa zur Einreise ver­weigerte. Dieser Marsch wur­de von vielen Seiten kri­ti­siert, da er ent­weder als pro-indisch oder als pro-chi­ne­sisch betrachtet wurde. Die Teil­nehmerInnen hat­ten große Schwierig­keiten, ihr­en unparteilichen Standpunkt nach außen hin zu verdeutlichen und ihr Ziel, zum Abbau von Feind­bildern und zur Ver­stän­di­gung beizutragen, deutlich zu ma­chen. (16)

Die drei Aktionen weisen auf das größ­te Problem der World Peace Bri­gade hin: Die Organisatoren stürz­ten sich in Aktionen und ver­nachlässigten den Aufbau ei­ner eigenen Struktur. Die World Peace Brigade wurde nicht auf­gelöst, aber sie ergriff auch keine Aktivitäten mehr. Ein Be­richt der WRI spricht davon, daß viele Fehler gemacht wurden: ein sehr umfassendes Programm, ei­ne feh­lende Or­ga­ni­sa­tions­struktur und ein großer Ak­tionismus ohne eine Basis.

Vom Vorteil, manchmal kleine Brötchen zu backen

Im Umfeld der World Peace Bri­gade sammelten einzelne Personen wich­tige Er­fahrungen für die Zu­kunft, indem sie sich aktiv bei der Vermittlung und In­ter­ven­tion in Konflikten be­tei­lig­ten. Wegweisende Erfah­rungen wurden im Nagaland ge­macht. Die Volksgruppe der Nagas kämpfte seit Mitte der 50er Jah­re für ihre Unabhängigkeit von Indien. Es gelang, einen Waf­fenstillstand zwischen den Na­gas und der indischen Zen­tral­regie­rung zu vermitteln, ihn über mehrere Jahre zu sta­bi­lisieren (1964-1972) und darüberhinaus einen Friedensprozess in Gang zu bringen, so daß der Konflikt nach der schließlichen Aufkündigung des Waf­fenstill­stands für einen länge­ren Zeitraum deeska­liert blieb. Ein weiteres Projekt wur­de in Zypern angegangen. Dort begannen Freiwilligenteams nach vielen Gesprächen mit Ver­ant­wortlichen auf der grie­chisch- und türkisch-zy­prio­tischen Seite in den Dörfern, die für das Projekt vorgese­hen wa­ren, ein Klima vorzubereiten, das die Rückkehr von Ver­trie­be­nen ermöglichen sollte. Mit­ten in diese Arbeit platzte der Putsch in Zypern und die nach­fol­gende tür­kische Invasion, die das Projekt beendete. Eine sei­ner Wir­kungen zeigte sich da­rin, daß zwischen den Be­völ­kerungsgruppen in dem Dorf, in dem erste Häuser für die Rück­füh­rung wieder­aufgebaut wor­den waren, soviel gegen­sei­tiger Respekt zwischen den Be­völ­kerungsgruppen entstanden war, daß es während der Invasion nicht zu Übergriffen kam, sondern sich die Nachbarn vielmehr ge­gen­seitig nach Kräften schütz­ten. (17)

Lernen aus der Geschichte: Peace Brigades International

Aktive aus der Friedensbewegung, die z.T. schon bei der World Peace Brigade, den Shanti Sena oder einem der beiden ge­nannten Pro­jekte mitgearbeitet hatten, wag­ten 1981 einen or­ga­ni­sa­to­rischen Neu­anfang. In Grind­stone in Kanada entstanden die Internationalen Friedens­bri­gaden: Peace Brigades In­ter­national. Obwohl auch hier noch zu hohe Erwartungen an die ei­genen Handlungsmöglichkeiten ge­stellt wurden (18), gelang es, eine stabile Organisations­form zu entwickeln und die selbst­gesteckten Ziele realis­ti­scher als bisher zu benennen. Als unabhängige, unparteiliche Drit­te Partei wollten die PBI in Konflikten eingreifen, so­fern sie von einer Kon­flikt­par­tei gerufen würden. Mit ei­nem klaren Mandat ließen sie den Kon­fliktparteien die Ver­ant­wor­tung zur Lösung der Probleme und konzentrierten ih­ren Anteil da­rauf, bedrohten und ge­fähr­de­ten Personen durch ihre An­we­senheit und Aktivität den Schutz- und Freiraum zu ver­schaf­fen, damit diese ihre Ar­beit fortsetzen konnten. Die In­ternationalen Friedensbriga­den entwickelten einen wirksamen Men­schenrechtsschutz von Per­so­nen und klei­neren Kollek­ti­ven.

Inzwischen arbeiten auch andere Or­ganisa­tionen mit ehemals ty­pischen PBI-Aktions­formen, bei­spielsweise So­lidaritäts­grup­pen aus der "Dritte Welt"-Be­wegung, die seit 1993 die Rück­kehr guatemaltekischer Flücht­linge begleiten und den Ein­gliede­rungsprozess be­ob­ach­ten wollen. Auch die Be­ob­ach­terdelegationen in Kurdistan 1994 oder das "Ecumenical Mo­ni­toring Pro­gramme for South Af­rica" (1992-1994) vom Öku­me­nischen Rat in Genf wenden sol­che Methoden an.

Eingreifen zur Beendigung von Kriegen?

Die Herausforderung, die in dem 1932 erstmals formulierten Ziel der Kriegsbeendi­gung liegt, wird an den Aktionen deutlich, mit denen sich Friedensgruppen seit dem En­de des Ost-West-Konfliktes in Si­tuationen von Krieg und Kriegs­vorbereitungen bege­ben. Den Anfang in den 90er Jahren mach­ten die Aktionen der Frie­dens­bewegung gegen den Golf­krieg 1990/91. Die Mitglie­der des "Gulf Peace Team" (GPT) und der "Initiative Frie­den am Golf" (IFAG) reisten ab Oktober 1990 in den Irak und boten sich für die vom Irak festgehaltenen Gei­seln als Er­satz an. Nach der Frei­lassung der Geiseln begann das GPT, eine Präsenz zwischen den Fron­ten zur Verhinderung des Krieges aufzu­bauen. Sie nah­men damit de facto, aller­dings ohne es zu wissen, die Idee der "Peace Army" auf: Zi­vi­listen könnten durch eine Prä­senz zwischen den Fronten ei­nen Krieg verhindern. Das GPT ver­suchte, die Zustimmung von al­len Konfliktseiten zum Aufbau ei­nes Camps zwischen den Fron­ten im irakisch- saudi-ara­bi­schen Grenzgebiet zu erhalten, be­kam aber von amerikani­scher und saudi-arabischer Seite keine Zu­stimmung für eine Präsenz. Das internatio­nale Camp mit 25 Teil­nehmerInnen aus 11 Ländern ent­stand auf irakischer Seite kurz nach Weihnachten 1990 und dauer­te bis ei­nige Tage nach Kriegs­beginn an. Parallel zum GPT entwickelte sich in der BRD die In­itiative Frieden am Golf (IFAG). Später ging es IFAG da­rum, durch eine Anwesenheit von Frei­willigen u.a. in Bagdad ihre Solida­rität mit der vom dro­henden Krieg gefähr­deten Zi­vilbevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Die OrganisatorInnen be­mühten sich im Anschluss an den Krieg um humani­täre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Irak und waren zu dieser Zeit eine der wenigen Or­ganisationen, die bis in den Herbst 1991 im Süden des Irak humanitäre Hilfe lei­steten. (19)

Seit dem Beginn des Krieges im ehe­maligen Jugoslawien 1991 hat ei­ne große Anzahl von Gruppen und Organisationen versucht, in den Konflikt einzugreifen: sei es mit der Organisierung von Frie­densaktionen oder mit Mär­schen in oder am Rande der Kriegs­gebiete. Mehr oder we­ni­ger bewusst, ver­suchten sie als eine "Friedensbrigade" zu han­deln und wollten z.T. erneut durch eine Präsenz zwischen den Fron­ten zur Kriegs­beendigung bei­tragen. Das Balkan Peace Team (BPT) bündelt wiederum die Er­fah­rungen der Friedensbrigaden, und verbindet sie mit dem Ver­such, präventiv in einem Kri­sen­ge­biet aktiv zu werden. (20) Im Balkan Peace Team (BPT) ha­ben sich 1994 nach längerer Dis­kussion einige Or­ga­ni­sa­tio­nen wie der Internationale Ver­söhnungsbund, die WRI, Peace Bri­gades International u.a. zu­sam­mengeschlossen, um durch ei­ne langfristige Präsenz im ehe­maligen Jugo­slawien zur De­es­kalation im Krisengebiet bei­zutragen. (21) (vgl. Christine Schweitzer in diesem Heft)

Dieser Abriss zeigt, daß seit dem En­de des Ost-West-Konflikts bei ge­sellschaftlichen Akteuren ei­ne zunehmende Bereitschaft zum gewaltfreien Eingreifen be­steht. Sie wagen sich in den Be­reich der internationa­len Po­litik vor und greifen dort ak­tiv ein. Ihre Wirkung ent­fal­ten die Akteure dabei sowohl auf gesellschaftlicher, als auch auf staat­lich-in­stitutioneller Ebe­ne. Die verwendeten Ak­tions­formen umfassen sowohl dis­soziative, d.h. die Kon­flikt­parteien trennende Metho­den, als auch assoziative, ver­bin­dende Methoden, ohne daß die­se sich, wie in mili­tä­risch­en Einsätzen (z.B. in So­ma­lia) wider­sprechen. In die­ser integrativen Wirkung liegt die Stärke dieser Ansätze.

Eine Idee - für die die Zeit reif ist?

Aber die Herausforderung, einen Krieg durch gewaltfreies Ein­grei­fen zu stoppen, bleibt bis­lang ungelöst. Dies haben in jüng­ster Zeit immer wieder Grup­pen versucht. Soweit be­kannt, waren die meisten von ih­nen nicht in den Lernprozess ein­gebunden, den die Shanti Sena/ Friedensbrigade- Akti­vis­tInnen mitgemacht haben. Als Bei­spiele seien genannt: "Gulf Peace Team" und "Initiative Frie­den am Golf" im 2. Golf­krieg, im Krieg im ehemaligen Ju­goslawien die "Friedens­ka­ra­wane", die Märsche "Mir Sada" nach Sarajewo und "Sjeme Mira" nach Mostar. Wir können davon aus­gehen, daß es in den zahl­rei­chen Konfliktgebieten, z.B. in Russland, weitere solcher ge­walt­freier Inter­ventions­ver­su­che gibt, von denen wir nur noch nichts oder nur wenig wis­sen.

Neben diesen Aktivitäten sind Über­legun­gen zu neuen Organi­sa­tionsformen festzu­stellen. Da­zu gehört in Deutschland die Dis­kussion über den Zivilen Frie­densdienst (vgl. Theodor Ebert in diesem Heft) und in den USA die Diskussion um Peace Teams. (22) In der deutschen sicher­heits­politischen Diskussion um staat­liche zivile Konflikt­be­ar­beitungskompetenz begegnen sich zuneh­mend die "Welten" staat­licher Akteure und ge­sell­schaftlicher Organisatio­nen in kon­frontativem, aber auch auf­ge­schlossenem Dialog. Damit wer­den mögli­cherweise neue Hand­lungsräume für eine zivile Konfliktbearbeitung er­schlos­sen. Neue Chan­cen und Per­spek­ti­ven könnten sich dadurch er­ge­ben, daß es eine größere po­li­tische Unterstützung für sol­che Projekte gibt. Fi­nan­ziel­le und gesetzliche Res­trik­tio­nen, die die Arbeit be­hindern oder unmög­lich ma­chen, müssten aufgehoben und z.B. in einem Freiwilligengesetz ge­re­gelt werden, in dem die ar­beits­platz- und versicherungs­recht­liche Sicherheit für die Or­ganisationen und ihre Mit­ar­beiterInnen geschaffen wird. (23)

Möglicherweise stehen wir heute an dem Punkt: Gerade angesichts der praktischen Schwäche ziviler Kon­fliktbearbeitung müs­sen wir ihre Stärken weiterentwickeln. An­gesichts einer Verteilungs­un­gerechtigkeit, die größer ist denn je, und angesichts der mi­li­tärischen Verwundbarkeit der hoch­industrialisierten Staaten (24) sind wir dazu ver­dammt, zi­vile Mittel auch als die "letz­ten" Mittel zu entwickeln.

 

Quellen und Anmerkungen: (1) Christian Büttner hat die Kon­zep­te der Friedensbri­gaden in sei­ner Diplomarbeit ein­gehender un­tersucht. Büttner, Christian W., Friedensbriga­den: Zivile Kon­fliktbearbeitung mit ge­walt­freien Methoden, Münster 1995. (Im Er­scheinen). Der fol­gende Aufsatz be­zieht sich auf diese Arbeit, sofern nicht an­dere Belegstellen angegeben sind. Bezug des Sonder­drucks über BSV, Postfach 2110, 32378 Min­den. Barbara Müller: Ziele, Me­thoden und Wirkungen bis­he­ri­ger Eingreif­versuche. The­sen, Darstellung, Liste der Fall­beispiele. 1993. (Unver­öf­fentlicht). (2) Büttner 1995 (Anm. 1) (3) Dieser Lernprozess, die Systematisierung der Erfah­rungen, die Re­cherche nach weiteren Fällen ge­walt­freien Intervenierens und die Ein­ordnung in die Kon­flikt­theo­rie sind Gegenstand des er­sten umfassenden Forschungs­vor­habens "Intervention in es­ka­lierte Konflikte durch ge­walt­freie Aktion" des "In­sti­tuts für Frie­densarbeit und Ge­waltfreie Konfliktaustra­gung", Haupt­str. 35, D-55491 Wah­lenau. Sie werden 1996 eine ers­te Studie zur Syste­ma­ti­sie­rung gewaltfreier Interven­tio­nen in gewaltförmige Kon­flik­te vorlegen. (4) vgl. Bütt­ner 1995, (Anm. 1) S. 10 ff. (5) vgl. C.W. Büttner: Auf der Suche nach einer ge­walt­freien Al­ternative zum Krieg. In: gewaltfreie ak­tion, Heft 99/100, 26. Jg., 1+2. Quar­tal 1994, S. 1-7. (6) Sie­he: The Task of Peace-Making, Re­ports of the World Pacifist Mee­ting in Santiniketan and Se­va­gram 1949, Hrsg.: The World Pa­ci­fist Meeting Committee, Cal­cutta, 1951, S. 1f. Mit dem Be­griff Sa­tyagraha machten die Teil­nehmer den di­rekten Bezug zu Gandhi deutlich. Dieser ver­stand unter Satyagraha zum einen den Weg zur Wahrheitssuche und der spirituel­len Selbstver­wirk­lichung, zum anderen die ver­schiedenen Methoden ge­walt­freien Han­delns, z.B. Zi­vi­len Ungehor­sam. (7) Siehe Bütt­ner 1995 (Anm. 1), Ka­pitel 4.1 und 5.1. (8) In Sal­vodor de Madariaga: "Blue­print for a World Commonwealth" in: Perspectives on Peace 1910-1960, Carnegie Endowment for In­ter­national Peace, Lon­don 1960, S. 47-64, der gemeinsame Vor­schlag mit Jaya­prakash Na­ra­yan ist auf den Seiten 60-63 ab­ge­druckt. (9) Thomas Weber: From Maude Royden's Peace Army to the Gulf Peace Team. Journal of Peace Research, Vol. 30, No. 1, 1993, S. 45-64. S. 48f. (10) Siehe: Ruppe, L. M.: "Peace Corps", in: Encyclo­pedia of Peace. S. 180-182. J. Galtung: Nor­wegian Peace Corps, The War Re­si­ster, 3. Quartal 1961, Nr. 9., S. 5-8; Fritz Vilmar: Ein Welt­friedensdienst, in: Frank­fur­ter Hefte, Heft 12, Dezember 1958, S. 841-849 u.a. mehr. Das US-Peace Corps wurde zu Beginn des Jahres 1960 von Se­nator Hum­phry vorgeschlagen und nach dem Wahlsieg J.F. Kennedys im März 1961 aufgebaut. Es ist von der Konzeption eine Entwick­lungs­hilfeorganisation mit dem Schwer­punkt auf der Ausbildung. Die Grün­dung des Deutschen Ent­wicklungsdienstes (DED), der das Peace Corps als Vorbild hat, er­folgte 1963 während des Kennedy - Be­suchs in der BRD. Josef Freise: Eirene. In: Pax Christi: Friedens- statt Mi­li­tär­einsätze, Idenstein 1994, S. 49. Das norwegische Pe­ace Corps woll­te Entwicklungshilfe or­ga­ni­sieren. Es wurde von der nor­wegischen Sektion der WRI, de­ren Vorsitzender Johan Gal­tung war, angeregt. (11) The Gan­dhi­gram Statement, in: The War Resisters, Nr. 89, 1. Quar­tal 1961, S. 27/28, die glei­che Ausgabe enthält auch ei­nen Konferenzbe­richt. Über das ganze Jahr verteilt, er­schie­nen in den Zeitschriften vie­le Artikel zu die­sem Vor­schlag. (12) Büttner 1995 (Anm. 1), bes. Ka­pitel 4.2. (13) Berichte in Hare, A. Paul and Herbert H. Blum­berg Ed.: A Search for Peace and Jus­tice. Reflecti­ons of Mi­cha­el Scott. Lon­don, 1980 S. 138-149; Charles Wal­ker: Nonviolence in Africa. In: S.T. Bruyn and P.M. Rayman: Non­violent Action And Social Change, New York 1979, S. 165-185. (14) Be­richt: Every­man III Boat in Leningrad, in: Sar­vo­da­ya, Vol XII, Dezember 1962, Nr. 6, S. 229-230. (15) Siehe Bütt­ner 1995 (Anm. 1) Ka­pitel 4.1. (16) Berichte über den Delhi-Pe­king Marsch in: Gan­dhi Marg, Vol. 7, April 1963, S. 81-83, ebd., July 1963, S. 210-213, The Delhi-Pe­king Friend­ship March, War Re­sis­tance, 1. Quartal 1964, S. 17-18 (Ab­schlußerklärung vom 30. Ja­nu­ar 1964). (17) Eine de­tai­llier­tere Darstellung der Pro­jek­te siehe Büttner 1995 (An­m. 1) Kapitel 5.2 und 5.3. (18) Mündliche Mitteilung von Ueli Wil­derberger, 16.7. 1995. (19) Eine Übersicht über die Aktivi­täten und Initiativen im Irak gibt der Band: Die Vision einer gewaltlosen Frie­dens­armee, Bürgerdiplo­maten in Bag­dad 1990/91, Schriftenreihe zum Frieden Nr. 6, Hackbarth: St.Georgen, 1991. (20) Balkan Peace Team: Declaration of Goals and Principles. Zur Entwicklung des einzel­nen Pro­jekte des BPT sie­he Rundbriefe Nr. 1, März 1994 und 2, Mai 1994. Kontaktadresse: BPT, Marienwall 9, D-32423 Min­den. Tel.: (+49) 571 - 20776. (21) Christine Schweit­zer: Das ers­te Team hat seine Arbeit auf­ge­nommen. Rundbrief Bund für Soziale Ver­teidigung, 5. Jahr­gang, Nr. 2, 1994, S. 1. (22) Elise S. Boulding: In­ter­national Nonviolent Peace Teams/ Peace Service News­letter, 5-30-1995 und Forum Loccum Ex­tra: Zivile Konflikttransformation, Gut­achten im Auftrag der Ev. Aka­demie Loc­cum, Loccum 1994, er­stellt von Christine M. Mer­kel. (Bezug: Pf. 2158, 31545 Reh­burg - Loccum. (23) Bei­spiel­haft bei den Tagungen der Evange­lischen Akademie in Loccum zur Friedlichen Streit­bei­legung, im Juni 1995 beim Werk­stattgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung. (Dokumentation Nr. 8: Zivile Kon­flikt­be­ar­bei­tung und Ge­waltprävention. Zu beziehen über Heinrich-Böll-Stif­tung, Brückenstr. 5-11, 50667 Köln). (24) Barbara Mül­ler: Pas­siver Widerstand im Ruhr­kampf. Eine Fallstudie zur ge­waltlosen zwischen­staat­li­chen Konfliktaustragung und ihren Erfolgsbedingungen, S. 23 (Im Erschei­nen). Be­zug des Son­derdrucks über BSV, Postfach 2110, 32378 Minden.

 

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Barbara Müller ist Vorsitzende des Bundes für Soziale Verteidigung, Mitarbeiterin im Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung und Mitglied des Initiativkreises der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung
Christian Büttner ist Redakteur der Zeitschrift "gewaltfreie aktion" und war an Vorbereitung und Durchführung der Tagung mitbeteiligt.