Frankreich

Larzac nach 35 Jahren erneut bedroht

von Wolfgang Hertle

1981 annullierte F. Mitterand als neugewählter Präsident das Vorhaben, den Truppenübungsplatz auf dem südfranzösischen Larzac-Plateau um 14000 ha zu erweitern, 35 Jahre später mobilisieren LandwirtInnen und andere politisch Aktive gegen die Stationierung von 1.200 Fremdenlegionären.

Die protestierenden Larzac-BewohnerInnen stehen für über 40 Jahre vielfältigen Widerstands: 1971-1981 gegen die Erweiterung des Truppenübungsplatzes und seitdem mit diversen Protestaktionen, u.a. gegen Atombombenversuche, Genmanipulation von Lebensmitteln, die neoliberale Globalisierung, Fracking und vieles mehr.

1995 fuhren wir nach Tahiti, aus Solidarität unter den Widerstandsbewegungen und trugen T-shirts mit dem Aufdruck ‚Larzac-Maori-Solidarität‘ “, erklärt Christine, 62. Wie viele andere ließ sie sich in den 1970er Jahren auf dem Larzac nieder und stellt sich heute u.a. als Feldbefreierin vor, aktive Gegnerin des Flughafen-Projektes Notre-Dame-des-Landes, Unterstützerin von Flüchtlingen. In diesem Schmelztiegel der Protestbewegungen, des Zivilen Ungehorsams und des Antimilitarismus schlug am 31.7.2015 die Ankündigung des Verteidigungsministers, auf dem Larzac die 13. Halbbrigade der Fremdenlegion zu stationieren, wie „eine Bombe“ ein. 460 Legionäre kamen 2015, bis 2018 sollen es 1200 werden.

 „Seit 2011 gab es Gerüchte über die baldige Schließung des Truppenübungsplatzes, und wir dachten schon, es sei endlich soweit, dass der Larzac völlig zivil und friedlich würde“ meint der 80-jährige Alain. Damit ist es vorerst vorbei. „Ausgerechnet die Fremdenlegion. Die schlimmste Einheit der ganzen Armee!“, hört man von Bauern, „ein schreckliches Symbol, ein Schlag ins Gesicht des Larzac, vor allem aber eine Provokation.“

Vieles läuft ähnlich wie Anfang der 70-er Jahre: die Entscheidung wurde in Paris ohne vorherige Abstimmung mit den AnwohnerInnen getroffen. Beamte und PolitikerInnen in der Region wurden lange vor den Bauern informiert und mit Geldzusagen geködert. Mit der Ankunft zusätzlicher Soldaten soll viel öffentliches Geld in die Region fließen. Im August 2015 war noch von 40 Millionen Euro die Rede, im Oktober versprach die Regierung schon 116 Millionen, um der Region die Stationierung schmackhaft zu machen. Wie damals behaupten interessierte Kreise, der Larzac sei eine unterentwickelte Region. Offensichtlich versucht der Staat mit gewissem Erfolg, die Bevölkerung zu spalten und die Volksbewegung zu schwächen, die hier so viele Kämpfe geführt hat.

Damals - heute
Die Einigkeit der Larzac-Bevölkerung war eine wesentliche Voraussetzung, um die Erweiterung des Militärgeländes zu verhindern, sie ist heute nicht im selben Maße gegeben wie im Widerstand damals. Unter Mitterand hatte der Staat die bereits erworbenen 6000 ha Fläche langfristig an die Bauerngemeinschaft verpachtet. Seither entwickelte sich die Region aktiv weiter: die Bevölkerung wuchs von 1970 bis 2012 um 26 % (eine im Vergleich zum übrigen Frankreich einzigartige Entwicklung), die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe stieg - anders als im Rest des Departements, wo die Zahl der Höfe in den vergangenen Jahren um 1600, d.h. um 10 % zurückging. Die Zahl der nichtbäuerlichen Betriebe nahm von fünf im Jahr 1971 auf 46 (1996) zu.

Ein kleiner Ausschnitt aus den vielen Verbesserungen der regionalen Ökonomie: seit 2003 gibt es z.B. in Millau „le marché paysan“, ein von 30 Höfen getragener Laden zur Direktvermarktung lokaler Produkte. Die wirtschaftlichen Aktivitäten wurden diversifiziert. Produzierten die Larzac-BäuerInnen noch 1971 ausschließlich Schafsmilch für die Käseindustrie in Roquefort, so enthält die Produktionspalette heute auch Hühner, Rinder, Schweine, Angoraziegen. Neu gegründet wurden eine Brauerei, eine Bäckerei, die Käserei „Les bergers du Larzac“, neu entstand eine Hutfabrikation, der Anbau und Verarbeitung von aromatischen Pflanzen und manches mehr. In den Sommermonaten sind die Produkte auf Wochenmärkten in Montredon, Potensac und La Courvertoirade zu finden, daneben in Geschäften, Restaurants und Campingplätzen.

Die Revitalisierung der landwirtschaftlichen Aktivitäten und des Handwerks, die sich seit Beginn des Kampfes entwickelte,  hätte es nicht gegeben ohne die intensive Arbeit des Nachdenkens, des miteinander Diskutierens und Teilens. All das geschah, ohne dass die BäuerInnen auf Anweisungen von oben gewartet hätten. Die wirtschaftliche Entwicklung ist Ausdruck der individuellen und kollektiven Kreativität und der Vitalität des sozialen Gefüges mit einem Netzwerk von Vereinen und Kollektiven, die in ihrer Vielfalt alle Lebensbereiche berührt.

Trotzdem wird erneut behauptet, der Larzac sei „unterentwickelt“ und die Ankunft der Fremdenlegion die „einzige Möglichkeit“, die Wirtschaft der Region anzukurbeln. Angenommen, der Larzac wäre tatsächlich unterentwickelt, weshalb hilft der französische Staat erst jetzt, als Folge einer militärischen Umstrukturierung? In Wirklichkeit geht es darum, verschwinden zu lassen, was vor Ort seit Jahrzehnten aufgebaut wurde und was Wege zu weiteren machbaren Möglichkeiten aufzeigen kann.

Widerstand gegen die Fremdenlegion
Wer bisher den Larzac als Beispiel für vorbildlichen gewaltfreien Widerstand einer betroffenen Bevölkerung angesehen hat, könnte enttäuscht sein, dass der Antimilitarismus nicht dazu geführt hat, den seit 1900 bestehenden Truppenübungsplatz aufzulösen. Doch das war nie der Kern der Einigkeit der 103 Bauernfamilien, die sich gemeinsam gegen die Vertreibung zugunsten eines Militärcamps wehrten. Als sich die zivile Bewegung 1981 erfolgreich durchgesetzt hatte, entstand ein beidseitig akzeptierter Status quo: Die Armee bleibt innerhalb ihres Geländes und die Bauern auf ihrem Terrain. Darin liegt der Unterschied zur heutigen Situation - in der Motivation wie in den Möglichkeiten des Widerstandes. Es geht evtl. um die Intensivierung der Nutzung des Camps, jedoch nicht um die Vergrößerung seiner Fläche. Die neuen Auseinandersetzungen entzünden sich um Manöver und Übungsmärsche der Fremdenlegionäre außerhalb des „Camp du Larzac“. Trupps von Soldaten marschieren mit Waffen und Sturmgepäck durch Dörfer und nutzen für ihre Gewaltmärsche landwirtschaftliche Wege. Angeblich gibt es dafür auf dem 3000 ha großen Gelände zu wenig Raum, da es durch jahrzehntelange Übungen, u.a. durch nicht explodierte Granaten und Munition, belastet sei!

Die im Sommer 2015 gegründete Gruppe von Larzac-BewohnerInnen gegen die Verstärkung der militärischen Präsenz in der Region, das Collektiv Gardem Lo Larzac (1), organisiert Öffentlichkeitsarbeit mit Flugblättern, Leserbriefen und über facebook sowie Kundgebungen und Versammlungen in der Kreisstadt Millau. Am 18. Juni (2) fand beim Weiler La Blaquière ein Aktionstag unter dem Motto „Larzac debout“ statt. In La Blaquière steht der berühmte illegal gebaute Schafstall, ein Symbol des konstruktiven Widerstandes, „eine Stein gewordene Demonstration“. (3)

Anmerkungen
1 „Lasst uns den Larzac bewahren“ - nicht zu verwechseln mit der seit 1975 monatlich erscheinenden Zeitschrift Gardarem Lo Larzac (Wir werden den Larzac bewahren).

2 Am 18. Juni 1940 rief General de Gaulle über die BBC die Franzosen auf, den Widerstand fortzusetzen.

3 Empfehlenswert ist der preisgekrönte Dokumentarfilm Tous au Larzac aus dem Jahr 2011: Larzac - Gewaltfreier Widerstand in Südfrankreich  http://www.castor.divergences.be/spip.php?article541.

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Rubrik

Friedensbewegung international