In Leipzig muss Klügeres entstehen

„Leipzig bleibt friedlich!“

von Lutz Mükke
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Aus dem Gründungsmythos der vereinigten Bundesrepublik ist Leipzig nicht wegzudenken. Hunderttausende friedliche Demonstrant*innen zogen im Herbst 1989 durch Leipzigs Innenstadt. Die Bilder gingen um die Welt. Die Mächtigen in Leipzig und Ostberlin bekamen kalte Füße und für die Führung in Moskau war es ein weiterer Impuls zur Erkenntnis, dass es an der Zeit war, auch in der DDR andere Zeiten anbrechen zu lassen. Für den Fall der Berliner Mauer - und ein Stück weit auch für das Ende des Kaltes Kriegs - spielte Leipzig eine wichtige Rolle.

Solche Situationen wie 1989 in Leipzig kommen in der Weltgeschichte nicht so häufig vor: Mit Kerzen und Plakaten bringen einfache Leute eine waffenstarrende Übermacht zum Wanken - und diese Übermacht schießt nicht. Diese reife Leistung gehört seitdem nicht zu Unrecht zu unserer Geschichtsschreibung. Obwohl jenen, die nicht geschossen haben, seit Jahrzehnten beharrlich so gut wie jede Anerkennung versagt wird.

Seit der Wende sonnt sich die Stadt Leipzig nun in ihrem Narrativ der „Heldenstadt“ und der „Stadt der Friedlichen Revolution“. Jedes Jahr im Oktober wird der Geschehnisse gedacht. Die Leipziger Leipzig Tourismus und Marketing GmbH etablierte das jährliche Lichtfest, zu dem meist zehntausende Menschen kommen. Viele Prominente hielten die Leipziger Rede zur Demokratie in der Nikolaikirche. Manche exzellent, manche nicht der Rede wert, aber meist sehr staatstragend. Das Erbe von 1989 geriet in Leipzig über die Jahre ein wenig zum nach Ideen suchenden Event. Den Anschluss an die nationale und internationale Friedensbewegung hat die Stadt nie mit der nötigen Verve gesucht und betrieben, obwohl „Leipzig 1989“ durchaus in die Liga weltgeschichtlicher Ereignisse wie dem Marsch auf Washington der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA oder Gandhis Zivilen Ungehorsam gehört.

Unsere Initiative „Leipzig bleibt friedlich!“ trat das erste Mal zu den Feierlichkeiten am 9. Oktober 2020 in die Öffentlichkeit. Während der Sonntagsreden im Nikolaikirchhof entrollten wir an einer Fassade ein Transparent mit der Aufschrift „Leipzig bleibt friedlich! Kein Militärdrehkreuz am Flughafen Leipzig/Halle“. Und gingen mit folgender Petition an die Öffentlichkeit (Auszug):

„Wir lehnen die jüngsten Pläne der deutschen und US-amerikanischen Rüstungskonzerne Rheinmetall und Lockheed Martin/Sikorsky ab, am Flughafen Leipzig/Halle ein Logistikzentrum für das Betreiben einer Flotte von 44 bis 60 Militärgroßhubschraubern der Bundeswehr ansiedeln zu wollen. Wir wollen nicht, dass der Rüstungskonzern Rheinmetall seine Tochterfirma Aviation Systems in die Region Leipzig/Halle verlegt und hier ein neuer Standort für Luftwaffentechnik etabliert wird. Wir nehmen mit zunehmender Sorge wahr, wie der zivile Flughafen Leipzig/Halle schleichend und ohne einen gesellschaftlichen Diskurs darüber zu einem immer größer werdenden internationalen Militärdrehkreuz ausgebaut wird. (…) Diese Entwicklung passt weder zur Historie unserer Stadt noch zu unserem heutigen Selbstverständnis.“

Auch kritisierte unsere Initiative Militär- und Waffentransporte über den Flughafen Leipzig/Halle in Kriegs- und Krisengebiete wie Mali, Afghanistan, Irak oder Syrien, die zum Großteil camoufliert über zivile Fluggesellschaften abgewickelt worden sind und werden. Schon bevor der Russland-Ukraine-Krieg am 24. Februar 2022 in schockierenden Ausmaß explodierte, kritisierten wir, dass über Leipzig Militärmaterial nach Kiew transportiert wurde. Über Jahrzehnte ist der zivile Flughafen Leipzig/Halle still und leise zum Drehkreuz für die Bundeswehr, die Vereinigten Staaten und die Nato geworden.

500 Briefe richteten wir persönlich an Stadträt*innen, Gemeinderät*innen und Landtagsabgeordnete in Sachsen und Sachsen-Anhalt, an die Bundeskanzlerin, die Verteidigungsministerin, an Sachsens Ministerpräsidenten, Leipzigs Oberbürgermeister, den Verteidigungsausschuss und an die Flughafenholding. Die zahlreichen Antworten darauf sind spannende Dokumente der Zeitgeschichte, die bedauerlicherweise zu oft über indifferente Statements nicht hinaus gehen. Unser Anliegen wurde auch im Leipziger Stadtrat (SPD Bürgermeister) eingebracht. Dort hält man jedoch den wirtschaftlichen Nutzwert des Flughafens für zentral.

Aktuell nimmt „Leipzig bleibt friedlich!“ mit Schrecken wahr, wie die Welt in alte Konfrontationsmuster zurückfällt. Wir solidarisieren uns mit allen, denen der Ukraine-Krieg gerade unglaubliches Leid und Unrecht zufügt. Wir sind erschüttert, dass in dem Land der Pflugscharen die Schwerter klingen und unterstützen alle, die mit friedlichen Mitteln um den Frieden in der Ukraine ringen, damit die Schwerter wieder zu Pflugscharen werden.

Den von der aktuellen Bundesregierung avisierten krassen Kurswechsel in der Militär- und Sicherheitspolitik unseres Landes lehnen wir ab: das 100-Milliarden-Euro-„Sondervermögen“ für die Bundeswehr ebenso wie das Anheben des Militärhaushalts auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Militärische Hochrüstung wird weder den Ukraine-Krieg beenden noch unsere Welt sicherer machen.

„Leipzig bliebt friedlich!“ möchte solchen Plänen positive Entwürfe aktiver Kriegsvermeidung durch langfristig angelegte Friedensdiplomatie, -analyse und -kommunikation entgegensetzen. Wir wollen Leipzig zu einem Weltfriedensort ausbauen und wollen, dass hier eine internationale Diplomatieschule, Treffpunkte und Plattformen für gewaltfreie Kommunikation und ein globales Friedens- und Konfliktforschungsinstitut entstehen. Den dramatischen aktuellen Entwicklungen begegnen wir wie 1989 mit dem Anspruch „Frieden schaffen, ohne Waffen. Schwerter zu Pflugscharen.“

Wer wir sind? Eine Fotografin, ein Architekt, eine Studentin, eine PR-Managerin, ein Designer, ein Schauspieler, zwei Journalisten, ein Geschäftsführer, eine Kindergärtnerin, ein Kulturwissenschaftler... Zu den Unterstützern unserer Petition gehören auch ein ehemaliger Bundesverwaltungsrichter oder eine Reihe prominenter Musiker und Künstler bspw. Gerhard Schöne, Konstantin Wecker und Hans-Eckardt Wenzel. Die meisten von uns verbinden viel mit 1989.

Aufgrund seiner Geschichte kann Leipzigs Beitrag zum Weltfrieden nicht im Ansiedeln von Rüstungsindustrie und im camouflierten Auf- und Ausbau eines Militärdrehkreuzes bestehen. An diesem Standort muss Klügeres entstehen.

Website: www.leipzig-bleibt-friedlich.org

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Dr. Lutz Mükke, Initiator und Vorsitzender von „Leipzig bleibt friedlich!“, war 1989 aktiv in der evangelischen DDR-Friedensbewegung.