Krieg im Sudan

Machtkampf und internationale Interessen auf Kosten der Zivilgesellschaft

von Julia Kramer
Krisen und Kriege
Krisen und Kriege

Seit Mitte April herrscht Krieg im Sudan. Zwischen der sudanesischen Armee (SAF) unter General Fattah al-Burhan und der Miliz „Rapid Support Forces“ (RSF) unter General Mohammed Hamdan Daglo („Hemedti“) tobt ein Machtkampf, der auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgefochten wird.

Eben diese Zivilbevölkerung hat mit großem Mut viele Jahre gewaltfrei für ein Ende der Militärherrschaft, und für „Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit“ gekämpft – mit dem Höhepunkt der Dezember-Revolution 2018/2019 und dem Sturz von Diktator Al-Bashir im April 2019. Mit der Strategie der „weichen Landung“ einigte man sich in den darauffolgenden Verhandlungen auf eine Übergangsregierung unter militärischer Beteiligung – mit Al-Burhan als Vorsitzendem des und Hemedti als Mitglied im 9-köpfigen Souveränitäts-Rat sowie dem Zivilisten Abdallah Hamdok als Premierminister -, mit dem Ziel einer rein zivilen Regierung auf der Grundlage von freien Wahlen. Das Massaker gegen Zivilist*innen während des „Sit-In“ vor dem Militärhauptquartier am 3. Juni 2019 zeigte bereits, wie verletzlich dieses Konstrukt ist. Am 25. Oktober 2021 erfolgte dann ein Militärputsch und die zeitweilige Verhaftung von Premierminister Hamdok. Al-Burhan war nun als Präsident des Militärrats an der Macht, mit Hemedti als seinem Vize. Zivile Proteste blieben weiter an der Tagesordnung, aber konnten das Militär letztlich nicht in seine Schranken weisen. Weder die Bewegung noch die internationale Gemeinschaft brachten die Kraft auf, eine wirkliche Entmachtung des Militärs und der Miliz durchzusetzen, mit Entflechtung von wirtschaftlichen Strukturen, juristischer Aufarbeitung etc.

Internationaler Einfluss und Interessen
Das Ringen um die Macht der beiden Generäle ist zu einem großen Teil von internationalen Einflüssen und Interessen befeuert: Saudi-Arabien zum Beispiel unterstützt Hemedti, da es weiterhin von der RSF Söldner für den Krieg im Jemen beziehen möchte. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate (mit denen Deutschland seit 2022 ein langfristiges Wasserstoff-Abkommen hat) haben Hemedti konsistent gestärkt und aufgerüstet. (1)

Die Regierung Ägyptens wiederum kann keine gelingende demokratische Transformation im Nachbarland als Inspiration für ihre eigene Bevölkerung wollen und unterstützt das sudanesische Militär.

Die USA haben eine Sicherung des Roten Meeres als Verkehrsweg als nationales Interesse erklärt – ein stabiler Sudan unter Militärregierung ist da möglicherweise zuträglicher als ein demokratisches, aber weniger stabiles Land.

Außerdem habe das sudanesische Militär den USA in Aussicht gestellt, den von Russland dort geplanten Militärhafen nicht bauen zu lassen (2) Russland wiederum hat schon in der Vergangenheit das sudanesische Militär u.a. im Bezug auf die Niederschlagung demokratischer Bewegungen beraten – so auch kurz vor dem Putsch im Oktober 2021. Bereits 2018 wurde Sudan als „Russlands Schlüssel zu Afrika“ bezeichnet. (3) Interessanterweise erleben die Machthaber in Russland und Sudan gerade parallel, wie sich Milizen gegen sie wenden, wenn auch bislang mit unterschiedlichen Resultaten. Doch auch wenn die Wagner-Gruppe im Ukraine-Krieg zumindest vordergründig ihre Rolle verloren hat, ist es wahrscheinlich, dass sie in Afrika (u.a. der Zentralafrikanischen Republik, Libyen und Sudan), vielleicht unter anderem Namen, präsent bleibt. Satellitenbilder von CNN weisen unterdessen darauf hin, dass der ost-libysche Militärführer Haftar sowie die Wagner-Gruppe Militärhilfe für die RSF leisten (4). Haftar, die Wagner-Gruppe, die UAE und andere Akteure, haben großes Interesse, von Hemedtis Gold-Minen in Darfur und anderen Bodenschätzen zu profitieren – es droht ein internationaler Konkurrenzkampf um sudanesische Ressourcen, analysiert der britische Professor Paul Rogers (5). China baut schon seit langem seine wirtschaftliche Präsenz im Sudan, wie auch in anderen afrikanischen Staaten, aus.

Aber auch die EU hat Hemedti skandalöserweise in der Vergangenheit im Zuge der EU-Migrationspolitik gestärkt. So hat die EU im Rahmen des Khartoum Agreement Grenzschutz in Sudan gefördert – ein „Arbeitsbereich“ der RSF, damals noch unter Al-Bashir. Italien soll sogar noch 2022 RSF-Einheiten in „Terrorismusbekämpfung“ und der Eindämmung illegaler Einwanderung ausgebildet haben. (6) Wie auch während der Revolution besteht die Befürchtung, dass EU-Akteure sich nicht hinter die Zivilgesellschaft stellen, sondern diese um einer ungerechten vordergründigen „regionalen Stabilität“ willen opfern werden.

Angesichts dieser zahlreichen internationalen Interessen wird der Krieg im Sudan teilweise bereits als Zeichen des Versagens einer „multipolaren“ Welt im Zuge des langsamen Endes der US-amerikanischen Vorherrschaft angesehen.

Katastrophale Situation im Land
Gleichzeitig ist die sudanesische Zivilbevölkerung – die zum größten Teil weder hinter dem einen noch dem anderen General steht - insbesondere in Khartoum und Darfur von Kämpfen und Luftangriffen betroffen, kann kaum die Häuser verlassen, und hat zeitweilig kaum mehr Nahrung und Wasser sowie medizinische Versorgung zur Verfügung. Junge Männer werden zum Kämpfen gezwungen oder als Gefangene gezwungen, falsche Loyalitätsbekundungen vor laufender Kamera zu machen. In Darfur wird angesichts des gezielten Mordes an Angehörigen der „afrikanischen“ Ethnie der Massalit bereits von Genozid gesprochen – mit ähnlichen Gräueltaten wie im Darfur-Krieg 2003 bis 2007. Hunderttausende sind auf der Flucht – die nur punktuell und in manche Richtungen möglich ist. Ägypten hat sein Abkommen zur visafreien Einreise für sudanesische Männer ausgesetzt. Die Strecke von Khartoum nach Medani ist wegen der Gefahr von Vergewaltigungen berüchtigt. Die Stadt Renk im Südsudan ist bereits völlig überlaufen. Die Grenze zum Tschad ist extrem riskant, besonders für Massalit und andere „afrikanische“ Ethnien.

Trotz der Erschütterung über die sinnlose Gewalt und Zerstörung kann die sudanesische Zivilbevölkerung auf einen hohen Organisierungsgrad aus der Revolution zurückgreifen:

So organisieren zum Beispiel zivilgesellschaftliche Initiativen in Darfur und Khartoum medizinische Versorgung, nachdem die öffentlichen Krankenhäuser fast komplett zerstört wurden. Dabei müssen sie teils im Untergrund arbeiten, da praktizierende Ärzte in Gefahr sind, von den Konfliktparteien gekidnappt zu werden und für sie arbeiten zu müssen.

Trotz der schlechten Internetverfügbarkeit spielen soziale Medien eine wichtige Rolle, um sich z.B. gegenseitig über die Positionen von mobilen RSF-Lagern oder Checkpoints zu informieren. Die Struktur der revolutionären Nachbarschaftskomitees wurde noch ausgebaut, um auf regionaler Ebene gegenseitige Unterstützung zu organisieren. Manche sprechen sogar von einer Parallelregierung, die die eigentlichen Regierungsaufgaben übernimmt: Für menschliche Sicherheit, u.a. im Sinne von Gesundheitsversorgung, Nahrungsverfügbarkeit und sicherer Mobilität zu sorgen – Ansätze von dynamischer Weiterarbeit ohne Kollaboration, wie sie im Konzept der Sozialen Verteidigung verankert ist. Selbst Friedens-Demos fanden in Khartoum, El Fasher und an anderen Orten statt.

Lokale Gruppen und Sudanes*innen in der Diaspora fordern ein Ende der Kämpfe, humanitäre Korridore und endlich eine wirkliche zivile Regierung. Dabei erleben sie immer wieder, dass sie z.B. hier in Deutschland nicht annähernd dieselbe Aufmerksamkeit und Unterstützung wie die vom Ukraine-Krieg betroffenen Menschen bekommen.

Angesichts der direkten oder indirekten Verstrickungen der vielen staatlichen und nichtstaatlichen bewaffneten Akteure im Krieg im Sudan, inklusive der EU, wird deutlich: Hier spitzen sich letztlich dringend notwendige transnationale Kämpfe der Zivilgesellschaft um Menschenrechte und eine friedliche und gerechte Welt zu. Stellen wir uns solidarisch hinter die sudanesische Zivilgesellschaft und tragen mit zu ihrer menschlichen Sicherheit bei, und dass ihr demokratischer Wille nicht Waffengewalt und Habgier zum Opfer fällt!

Anmerkungen

(1) Siehe auch: https://www.middleeastmonitor.com/20230426-sudan-bloody-war-shows-uae-is...

(2) Siehe auch: https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/sudan-welche-in...

(3) Siehe auch: https://moderndiplomacy.eu/2018/07/17/russias-key-to-africa

(4) Siehe auch: https://edition.cnn.com/2023/04/20/africa/wagner-sudan-russia-libya-intl... (aufgerufen am 7.7.2023)

(5) Siehe auch: https://www.opendemocracy.net/en/sudan-conflict-evacuations-al-bashir-de...

(6) Siehe auch: www.zdf.de/nachrichten/politik/sudan-konflikt-rsf-armee-eu-100.html  

Wer von unten organisierte zivilgesellschaftliche Nothilfe für besonders gefährdete Gruppen in verschiedenen Teilen Sudans unterstützen möchte, kann dies hier tun: https://www.kurvewustrow.org/spendenaufruf-sudan

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