Israel-Palästina - ein Reisebericht

Mauern versus Brücken

von Matthias Jochheim
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

So lautet das Motto einer internationalen Konferenz zu den Folgen der über den Gaza-Streifen verhängten Belagerung und Blockade, die das palästinensische „Gaza Community Mental Health“-Zentrum im Oktober dort abhalten wird – und dies kann auch als wesentlicher Inhalt der Reise benannt werden, die eine Gruppe deutscher Friedens- und Solidaritäts-Aktivisten im Juni in die besetzten palästinensischen Gebiete unternahm. Anlass war die Einladung aus Bili’n, einem Dorf in der Westbank nicht weit von Ramallah, dessen Bewohner  durch den Bau der israelischen „Trennungsmauer“ circa 60 % ihrer Landwirtschaftsflächen verlieren, und sich nun schon seit Jahren unter aktiver Teilnahme auch israelischer und internationaler MitstreiterInnen gewaltlos dagegen zur Wehr setzen, mit Demonstrationen, Sitzstreiks, Klagen vor israelischen Gerichten und eben auch mit internationalen Tagungen in ihrem schönen und gastfreundlichen Dorf. Dies Treffen diente nicht nur der Rezeption sehr aufschlussreicher und gut präsentierter Vorträge über die fortschreitende Enteignung und Entrechtung der Palästinenserinnen in der Region, sondern war für uns ausländische Gäste auch Ausgangspunkt für direkte Lage-Erkundungen und eine Vielzahl persönlicher Gespräche und  Kontakte mit palästinensischen und israelischen Aktiven. So konnte ich die Reise nutzen, mir in Tel Aviv von Miri Weingarten die aktuellen Erfahrungen der israelischen Ärzte für Menschenrechte (PHR) schildern zu lassen , konnte mit der Medizinstudentin Nada Qawasmi auf dem Campus der Al Quds- Universität über das von ihr mit organisierte und von unserer IPPNW-Sektion finanziell unterstützte internationale Studierenden-Projekt „Palestinian Refugee Camp-Project“ (ReCap) diskutieren, und zum Abschluss beim Treffen mit den israelischen IPPNW-Kollegen Dr. Friedmann und Dr. Carel meine Eindrücke und ihre Erfahrungen und Lagebeurteilungen austauschen.

Schwierigster und belastendster Teil der Reise war der 5-tägige Aufenthalt im Gaza-Streifen, den ich zusammen mit einer bei Pax Christi aktiven Journalistin durch kirchliche Unterstützung einschieben konnte. Nur wenige Reisende erhalten die Genehmigung der israelischen Behörden, in diese von der israelischen Regierung zum „Feind-Gebiet“ erklärte und mit Mauern und Zäunen hermetisch abgeriegelte Enklave einzureisen. Ich muß zugeben, dass wir bei der Wiederausreise erstmal ein beinahe euphorisierendes Gefühl der Erleichterung, ja der Befreiung empfanden, denn das Eingeschlossen-Sein, die Perspektivlosigkeit und Ohnmacht, wie sie die Menschen heute dort erfahren müssen, ist eine dauernd präsente Wirklichkeit, die in allen Gesprächen und Kontakten spürbar wird - zusammen mit einem tiefen Unverständnis, dass die „freie Welt“ das Unrecht der kollektiven Bestrafung einer gesamten Bevölkerung durch die Belagerung dort offenbar gleichgültig hinnimmt oder sogar unterstützt.

Miri Weingarten sprach an, dass die EU-Regierungen, die die Treibstofflieferungen in den Gaza-Streifen finanzieren, offenbar in keiner wahrnehmbaren Weise gegen die Reduzierung der Lieferungen auf weniger als die Hälfte des benötigten Umfangs bei der israelischen Regierung Einspruch eingelegt hat, was ihnen eigentlich als Teil des „Quartetts“ gut angestanden hätte. Die Auswirkungen gerade auch für die Krankenhäuser sind gravierend: die Stromversorgung ist immer wieder unterbrochen, selbst der Treibstoff für die dann benötigten Generatoren in den Hospitälern nicht gesichert, und die überlasteten Geräte wie auch die übrige medizinische Technik fallen durch die (auf Grund der Blockade) fehlende Ersatzteilversorgung immer wieder aus, so dass auch viele operative Eingriffe nicht durchgeführt werden können. Der Zusammenbruch der  Ökonomie, eine Arbeitslosigkeit weit über 50% und das Absinken von rund 80% der Bevölkerung auf Armutsniveau sind weitere offenbar gewollte Folgen der von einem israelischen Minister so benannten „Diät“, auf die die Gaza-Bevölkerung wegen ihrer Wahlentscheidung für die Hamas gesetzt worden ist.

Auch fast tägliche Luft- und Panzerangriffe gehören zu dieser kollektiven Bestrafung, allein zwischen Januar und April fielen diesem Beschuss über 300 Palästinenser im Gaza-Streifen zum Opfer, 62 davon Kinder (FR 11.6.08).

Natürlich stellt dies keine Rechtfertigung für den Beschuss israelischer Ortschaften mit „Kassam“- Flugkörpern vom nördlichen Gaza-Streifen aus dar, die im gleichen Zeitraum vier israelische Zivilisten tödlich trafen. Die Blockade ist aber weder eine angemessene noch eine zielführende Antwort auf diese Angriffe.

Dr. Tawahina, Direktor des Gaza Community Mental Health Programme, wies uns auf die ganz offenen Langzeitwirkungen der bedrückenden Belagerungssituation hin, die durch die quasi-Gefangennahme von 1,4 Millionen Menschen unter den Bedingungen des generalisierten Mangels und der ständigen „gezielten Tötungen“ gekennzeichnet ist. Er zog die Parallele zu den Erfahrungen der palästinensischen Jugendlichen, die während der ersten Intifada für Steinwürfe mit dem Brechen ihrer Arme bestraft wurden: aus dieser Generation seien die späteren Selbstmordattentäter hervorgegangen.

Wir haben Miri Weingarten und Ahmed Tawahina zu unserem IPPNW-Kongress „Kultur des Friedens“ im September eingeladen, beide sind ein Teil der „bridges versus walls“.

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Matthias Jochheim ist ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapeut und wirkt im AK Süd / Nord der IPPNW mit.