Kommentar zur Krisen Mazedonien:

Mazedonien - "Stück aus dem Tollhaus"

von Clemens Ronnefeldt
Im Blickpunkt
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( c ) Netzwerk Friedenskooperative

Willy Wimmer, CDU-MdB und früherer Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, hat in einem Interview die derzeitige Situation in Mazedonien als "Stück aus dem Tollhaus" (FR, 28.6.01) bezeichnet.

Das Hamburger Abendblatt hatte berichtet, dass unter den 400 albanischen UCK-Kämpfern, die aus Aracinovo, dem Vorort der mazedonischen Hauptstadt Skopje, von der NATO abtransportiert wurden, sich auch 17 frühere US-Offiziere befanden, die als Instrukteure die albanischen Rebellen ausgebildet haben. Rund 70% der modernsten Ausrüstung, die man bei der UCK fand, seien US-amerikanischer Bauart gewesen.

Wenn seit dem Sommer 1999 die in den entsprechenden Sektoren eingesetzten KFOR-Soldaten im Kosovo offensichtlich von ihren Regierungen die Weisung hatten, Waffen- und Nachschubströme für die UCK nach Mazedonien nicht zu verhindern und statt dessen sogar eindeutig Partei für die UCK durch Ausbildung und Aufrüstung ergriffen, wie kann eine Organisation wie die NATO dann als glaubwürdige Konfliktvermittlungsinstanz auftreten?

Sollen bei einem Mazedonien-Einsatz deutsche Soldaten demnächst etwa Waffen einsammeln, die vorher z.B. ihre US-Kollegen ausgegeben und ihre deutschen Kollegen durchgelassen haben?

Wie kann es sein, dass aus dem NATO-Protektorat Kosovo trotz der Anwesenheit von derzeit rund 38 000 Soldaten von einigen hundert UCK-Kämpfern der Krieg auf ein unabhängiges Nachbarland getragen wird, das dem NATO-Programm "Partnerschaft für den Frieden" angehört?

In Mazedonien wird große Politik gemacht
Offensichtlich wird auf dem Balkan wieder ein Krieg für sehr viel weitreichendere Interessen instrumentalisiert - und gleichzeitig die Öffentlichkeit getäuscht.

Die spezielle Politik der USA, beide Konfliktparteien, also sowohl die UCK als auch die mazedonische Regierung, mit Waffen zu unterstützen, könnte auf eine Strategie der "kontrollierten Instabilität" hinauslaufen. Der Konflikt könnte jederzeit so gesteuert werden, dass die europäischen NATO-Länder mit ihren militärischen, finanziellen und diplomatischen Kapazitäten gebunden und geschwächt werden, bei gleichzeitiger Kontrolle durch die USA. Mit dieser Politik ließe sich aus US-Sicht der Konkurrent Europa noch eine Weile in Schach halten. Das Nachsehen hätten wieder einmal die NATO-Europäer.
 

Die NDR-4-Sendung "Streitkräfte und Strategien" wies bereits am 24.3.2001 darauf hin, dass in Mazedonien möglicherweise auch eine Art Stellvertreterkrieg zwischen den ungleichen Rivalen Russland, das die mazedonische Regierung unterstützt, und den USA, die bisher verstärkt die UCK förderten, stattfindet.

Der derzeitige Krieg ist ohne die großen Zusammenhänge z.B. der Aufkündigung der Strategischen Partnerschaft mit Russland seitens der neuen US-Regierung, wobei Russland wiederum von einer Konfliktlösung ausgeschlossen werden soll, kaum zu verstehen; ebensowenig ohne die ganze Frage der NATO-Osterweiterung und der damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen.

"Was heute in den unansehnlichen Straßen Mazedoniens geschieht, hat unmittelbare Auswirkungen auf die Nato-Erweiterung", schrieb der US-Publizist Robert D. Kaplan in einem Gastkommentar in der "Welt" (5.7.01) und führte aus:

"Die NATO hat eigentlich zwei Optionen. Sie kann entweder ihre Erweiterung auf Slowenien, die Slowakei und einige baltische Länder beschränken. Dann würde die europäische Landkarte in etwa derjenigen des mittelalterlich-christlichen Westens entsprechen, mit der orthodoxen Welt draußen vor den Toren. Diese Zivilisationsgrenze würde rasch diejenige des Kalten Krieges ablösen. Oder die NATO expandiert auch in Richtung Rumänien und Bulgarien, zwei orthodoxe Länder am Rande des jugoslawischen Kessels". Damit "gewönne die Allianz mit der großen Lösung einen Zugang zum Schwarzen Meer". Und den in der Kaukausregion lagernden Rohstoffen, könnte Herrn Kaplans Szenario noch hinzugefügt werden.

In Kürze wird vermutlich der deutsche Bundestag zu einer Sondersitzung zusammenkommen, um über einen Mazedonieneinsatz der Bundeswehr zu entscheiden. Die Frage, die sich stellt, lautet:

Sollen deutsche Soldaten Leib und Leben für Machtinteressen riskieren, die wieder einmal nicht offen auf den Tisch gelegt werden?

Es ist zu hoffen, dass möglichst viele Bundestagsabgeordnete aus den Fehlern der Kosovo-Abstimmung am 16.10.1998 ihre Lehren ziehen und sich gegen das Hineinschlittern in die nächste Katastrophe entscheiden.

Schritte aus der Eskalation
Eine Politik der Deeskalation könnte sich auf folgende "essentials" konzentrieren:
 

  1. Sicherung und eindeutige Anerkennung der Unverletzlichkeit der Grenzen Mazedoniens.
  2. Unterbindung der Waffen- und Nachschubzufuhr für die UCK.
  3. Sperrung der Konten für den UCK-Waffenkauf (vor allem in Deutschland und der Schweiz).
  4. Verhinderung der Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo.
  5. Verhinderung eines weiteren NATO-Einsatzes und NATO-Protektorates Mazedonien.
  6. Verlagerung der Zuständigkeit weg von der NATO hin zur UNO.
  7. Einberufung einer Balkankonferenz unter Leitung der UNO oder der OSZE.
     

Diese Schritte werden von den Hauptakteuren allerdings kaum von selbst eingeleitet werden - sie benötigen erheblichen Druck breiter gesellschaftlicher Kreise.

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Clemens Ronnefeldt ist seit 1992 Referent für Friedensfragen beim deutschen Zweig des Internationalen Versöhnungsbundes.