Können zwei so unterschiedliche Aufgabenfelder zusammenwirken?

Menschenrechtsarbeit und zivile Konfliktbearbeitung

von Christoph Klotz

Mit der Weiterentwicklung der Instrumentarien des internationalen .Menschenrechtsschutzes haben sich neue Aufgabenfelder für die zivile Konfliktbearbeitung ergeben. Zugleich kann die Menschenrechtsarbeit von den Methoden und Strategien der zivilen Konfliktbearbeitung ganz praktisch profitieren. In seinem Beitrag zeigt Christoph Klotz auf, wie Nichtregierungsorganisationen aus den historisch gewachsenen, recht unterschiedlichen Aufgabengebieten des Friedens- und der Menschenrechte zu einer neuen Zusammenarbeit gefunden haben.

Wer sich heute mit dem Thema Frieden und Menschenrechte befasst, wird schnell feststellen, dass der Frieden nicht „verfasst" ist. Dieses Problem der Nicht-Justiziabilität des Friedensbegriffes begegnet uns nicht nur im deutschen Vereinsrecht, welches bis heute eine Gemeinnützigkeit für diesen Aufgabenbereich erschwert. Auch im Kontext internationaler politischer Konflikte und ihrer Bearbeitung ist der Friedensbegriff vielseitig interpretierbar. Nicht zählbar sind die Beispiele, in denen bewaffnete Akteure und unterdrückerische Regime den Frieden für sich reklamieren. Im Kontext internationaler Friedensverhandlungen wird Frieden häufig zu einem schwammigen Zustand, zur Rechtfertigung eines Status Quo. Ökumenische Gruppen fordern deshalb zu Recht einen gerechten Frieden.

Die Methoden der zivilen gewaltfreien Konfliktbearbeitung sind weiterentwickelt worden. Heute stehen effektive Handlungsmöglichkeiten bereit, denen aufgrund der politischen Rahmenbedingungen noch zu wenig Aufmerksamkeit zukommt. Mit Frühwarnsystemen, Gesprächen und stiller Diplomatie zur Schaffung einer Verhandlungsgrundlage zwischen verfeindeten Parteien, mit Trainings zur Ausbildung in gewaltfreier Aktion, mit internationaler Beobachtung und vielem mehr arbeiten zivilgesellschaftliche Gruppen effektiv daran, den Ausbruch von Gewaltkonflikten zu verhindern, mit unterstützenden Aktivitäten die Machtbalance zugunsten der Opfer zu verschieben und der inhaltlichen Auseinandersetzung den Raum zu geben, den sie benötigt, damit Konflikte gewaltfrei ausgetragen werden können. Allerdings fehlt bis heute für diese wichtige Arbeit ein international rechtlich verbindlicher Rahmen.

Ganz anders die Menschenrechte: Das internationale Menschenrechtssystem hat sich in den letzten Jahrzehnten, vor allem in den 90er Jahren, stark ausdifferenziert und weiterentwickelt. Das internationale humanitäre Recht und die Menschenrechtspakte der 1., 2. und 3. Generation, die daraus abgeleiteten Konventionen als verbindlich einklagbare Normen, die entstandenen Institutionen wie die UN-Menschenrechtskommission (jetzt Menschenrechtsrat), die UN-Sonderberichterstatter und UN-Missionen vor Ort, regionale (z.B. interamerikanische), und internationale Gerichtshöfe (welche z.B. einem Staat Schutzmaßnahmen für bedrohte Personen auferlegen können) bieten neue Handlungsmöglichkeiten. Diese Verfasstheit der Menschenrechte gibt nicht nur klassischen Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, FIDH, OMCT, Frontline, Human Rights Watch, sondern auch anderen bedeutenden Akteuren wie z.B. Friedensdiensten ein umfassendes Instrument für ihre Arbeit an die Hand.

Wie diese beiden Kraftfelder - Menschenrechte und Frieden -wirksam kombiniert werden können, kann beispielhaft an den Veränderungen beschrieben werden, welche die Organisation peace brigades international durchlebt hat. Sie versteht sich heute als eine Friedens- und Menschenrechtsorganisation. Vor 25 Jahren im Kontext internationaler Friedensbewegungen auf Initiative u.a. der Quäker und historischen Friedenskirchen entstanden, auch vom Ideal der Gewaltfreiheit des Buddhismus und von Gandhi beeinflusst, entwickelte sie aus den praktischen Erfahrungen der Friedenseinsätze in den Militärdiktaturen der 80er Jahre und den Bürgerkriegen der 90er Jahre in Zentralamerika, Haiti, Kolumbien, Balkan und Sri Lanka eigene Methoden der zivilen Konfliktbearbeitung. Die Präsenz internationaler Freiwilligen-Teams in Konfliktgebieten und der unbewaffnete Begleitschutz für zivilgesellschaftliche, gewaltfrei handelnde Akteure wie Frauenorganisationen, Gewerkschafter, Gemeinschaften von Vertriebenen, Friedensgemeinden, Bewegungen zur Verweigerung des Zwangsdienstes in paramilitärischen Gruppen etc. wurde zum Schwerpunkt ihrer Arbeit.

Methodisch beruht die Arbeit von pbi stark auf der zivilen Konfliktbearbeitung. Es bedarf der Konflikt- und Risikoanalysen, um Menschen in Bedrohungssituationen begleiten und einen effektiven Schutz zu garantieren. Auch die Kommunikation mit Konfliktparteien ist von Bedeutung, beruht der Schutz bedrohter Personen doch auf der Fähigkeit, Vertrauen und Akzeptanz bei den Konfliktparteien zu erreichen und eine wirksame Sanktionsmacht ihnen gegenüber zu entwickeln. Auch in den Trainings greift pbi auf die Erfahrungen der zivilen Konfliktbearbeitung zurück, wenn etwa lokal angepasste Modelle für Schutz und Sicherheitsvorkehrungen, sowie fü die gewaltfreie Konfliktaustragung mit lokalen Gruppen erarbeitet werden sollen.

Andererseits hat die internationale Absicherung dieser schützenden Präsenz in den Konfliktgebieten erst durch die neueren Entwicklungen im Menschenrechtsbereich ihr heute wichtigstes Handlungsfeld erhalten.

Denn mit der Verabschiedung der Deklaration zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger durch die UNO-Vollversammlung im Jahre 1998 gelang es nationalen und internationalen Menschenrechtsinitiativen (u.a. dem Forum Menschenrechte) ein neues wirksames Arbeitsinstrument zu schaffen.

Erstmals genießen alle zivilgesellschaftlichen Gruppen und ihre MitarbeiterInnen, welche sich für die Rechte Anderer einsetzen, einen speziellen Schutz, den die Staaten als Garanten der Bürgerrechte zu garantieren haben. Dieser Schutz ist bitter nötig. So hat das von den Organisationen FIDH und OMCT bereits 1997 ins Leben gerufene „Observatorium zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger" die Methoden der Bedrohung ausführlich beschrieben: Der Raub materiellen und finanziellen Eigentums, Beschattungen, Diffamierungskampagnen, Einschüchterung, willkürliche Verhaftungen, Misshandlung und Folter, extralegale Hinrichtungen, gewaltsames Verschwinden lassen und vieles mehr. Alle diese Aktivitäten zielen darauf, die zivilgesellschaftlichen Organisationen·und ihre Mitglieder im privaten wie auch im öffentlichen Leben zu isolieren und zum Schweigen zu bringen.

Mit der Verabschiedung der Deng-Prinzipien (1999) wurden erstmals auch Intern Vertriebene unter einen besonderen rechtlichen Schutz gestellt - nach Schätzungen der UN sind mindestens 20 Millionen Menschen als Folge bewaffneter Konflikte und menschengemachter Katastrophen hiervon betroffen.

Es folgten die Entschließungen nationaler Parlamente wie z.B. des Deutschen Bundestages Ende 2003 und die Verabschiedung der EU-Richtlinien zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger in 2005. Mit den Parlamenten und Parlamentariern erhielten die Menschenrechtsorganisationen neue Verbündete im Kampf zum Schutz der Menschenrechte. Dies ist umso wichtiger im gegenwärtigen Kontext des sogenannten Kampfes gegen den Terror, welcher international verbindliche Menschenrechtsstandards aushöhlt, und vor dem Hintergrund eines veränderten internationalen Konfliktgeschehens, welches das Mandat der Unabhängigkeit humanitärer Organisationen mehr und mehr untergräbt, ihre Arbeiterschwert und manchmal unmöglich macht.

Heute wird diese Arbeit zum Schutz der Menschenrechtsverteidiger auf alle möglichen gesellschaftlichen Gruppen ausgedehnt. Nicht nur Menschenrechts-, auch Friedensorganisationen und andere NROs, multilaterale Institutionen, Diplomatie, Parlamentarier,·Medien, Journalisten und Bürger sind aufgerufen, eine aktive Rolle im Schutz der Menschenrechte einzunehmen. Sie können erhebliche internationale Ressourcen mobilisieren, sie können Gewaltakte gegen Menschenrechtsverteidigerverhindern, ihrer Arbeit Legitimität verschaffen und den Schutz regional·und international ausweiten.

Friedens- und Menschenrechtsorganisationen haben zu einer neuen Zusammenarbeit gefunden. Der unbewaffnete Begleitschutz für bedrohte Menschenrechtsverteidiger und die internationale Beobachtung vor Ort einerseits, die international vernetzte Unterstützung und Advocacy-Arbeit wie sie pbi, aber auch viele internationale Menschenrechtsakteure zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger leisten, greifen heute ineinander und ergänzen sich. Auf diese Weise wird der Schutz und die Sicherheit zivilgesellschaftlicher Schlüsselakteure - und damit verbunden ihr politischer Handlungsraum - nachhaltig verbessert.

Mehr Information über pbi und die AGDF im Internet:

www.friedensdienst.de
www.pbi-deutschland.de
www.peacebrigades.org
www. protectionline. arg

Die im Artikel genannten Dokumente finden sich im Internet:

  1. UN-Deklaration zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger (1998) www.urihchr.ch/huridocda/huridoca.nsf/ (Symbol)/ A. RES.53.1_44. En ?OpenDocument
  2. Die Deng-Prinzipien zum Schutz intern Vertriebener/ UNHCHR (1999/2006) www.protectionline.org/article.php?id_article=421
  3. Entschließung des Deutschen Bundestages (2003) www.protectionline.org/IMG/pdf/German_Bundestag_German_HRDs_ engl-2.pdf
  4. EU-Richtlinie zum Schutz für Menschenrechtsverteidiger (2005) www.protectionline.org/article.php?id_article=328

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