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Militärrituale
Militarisierung des öffentlichen Raums
vonDas folgende Interview hat Markus Euskirchen (ME) mit Leuten vom AStA einer Universität durchgeführt.
ME: Du kritisierst „Militärrituale“ der Bundeswehr. Worum geht es?
In den vergangenen Jahren lehnten stabile zwei Drittel der deutschen Bevölkerung Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Dieser allgemeinen Kriegsunwilligkeit (Wette 2009) stellen sich Bundesregierung und Bundeswehr mit Propagandainitiativen im öffentlichen Raum entgegen. Militär- und Waffenschauen, öffentliche Gelöbnisse und Zapfenstreiche sollen Akzeptanz schaffen. 2009 fanden über 180 öffentliche Gelöbnisse und 12 große Zapfenstreiche statt. 1.346 mal trat das Bundeswehr-Musikkorps auf. 98 andere militärische Zeremonien wurden inszeniert. Zugleich sind nicht mehr genug Berufs- und Zeitsoldaten zu rekrutieren. Die Bundeswehr sucht diese Lücken durch Werbeoffensiven zu füllen. Dabei geraten die Einrichtungen ins Visier, an denen Jugendliche lernen, ausgebildet werden und eine berufliche Perspektive suchen. Werbeauftritte der Bundeswehr auf Festen, bei Messen, auf Sportfesten, in Schulen, Betrieben und Arbeitsagenturen sind an der Tagesordnung und werden durch offizielle Kooperationsabkommen institutionalisiert.
ME: Welchem Zweck dienen Deiner Meinung nach Militärrituale?
Bei Ritualen denken wir zunächst – wenn wir individuelle Alltagsrituale ausklammern – an Religiöses. Auch wenn Religiöses im engeren Sinne beim Militärritual nicht im Vordergrund steht, so geht es doch auch beim Militär um vermeintlich „Höheres“, nämlich den gemeinsamen Glauben an Abstraktes: die Nation, den Staat, das Vaterland, Freiheit, Demokratie, Treue, usw. Für derartige Vorstellungen wird aufmarschiert, der Treueschwur geleistet, der Kranz niedergelegt, das kommt auch explizit in den Feierreden zum Ausdruck. Nation oder Staat bilden dabei keinen Selbstzweck, sondern werden mit bestimmten Vorstellung verbunden, die diesen “Glauben” rational und gut begründet erscheinen lassen, z.B. dass Sicherheit und Wohlstand “für alle” garantiert wird („geht es der Nation gut, geht es “uns” gut“). Mit Demokratie werden im Sinne der Tugenden des bürgerlichen Staates Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit assoziiert, mit der Nation werden Zugehörigkeit und vor allem (ur-ursprüngliche) Gemeinsamkeit verbunden, wobei dieses Verhältnis naturalisiert wird („es war schon immer so, es ist nicht anders denkbar, es ist naturgemäß“). Da die Anrufung von Stolz, Ehr- und Nationalgefühl im militärischen Zeremoniell in ganz besonderer, eben ritualisierter Weise stattfindet, in der die emotionale Ebene ganz massiv angesprochen wird, ist der religiös aufgeladene Begriff des “Glaubens” nicht fehl am Platz. Es geht um die Mobilisierung und Stärkung des Glaubens an die nationale staatliche Ordnung und die sie tragende Wirtschafts- und Produktionsweise – durchgesetzt und garantiert in letzter Instanz durch das Militär. Die ritualistische Mobilisierung über einen tiefen, quasi-religiösen Glauben an diese Werte ist denn auch notwendig, weil es um die Rechtfertigung und die Herstellung von Bereitschaft zum Sterben und Töten auf Befehl geht. Und letzteres ist – wenn überhaupt – nur auf religiösem Wege zu rechtfertigen.
ME: Warum sind Militärrituale im öffentlichen Raum problematisch?
Staatstragende Kritiker der Militärrituale, z.B. die meisten Sozialdemokraten und Grünen, kritisieren am militärischen Zeremoniell in der Öffentlichkeit die Raumnahme, die Militarisierung des Öffentlichen. Das greift aber, indem es die Trennungen von öffentlich und privat und von zivil und militärisch voraussetzt, zu kurz und übersieht bzw. akzeptiert, dass es das Militär und seine Rituale auch bei einer weitgehenden Zivilisierung des öffentlichen Raums weiterhin gibt, und zwar innerhalb der Kasernenmauern und daher vielleicht weniger sichtbar, aber kaum weniger wirksam. Eine auf das Militärritual in der Öffentlichkeit beschränkte Kritik blendet aus oder vergisst (oder hat gar keine Kritik daran), dass das Militär den Herrschenden auch dann noch ihr als legitimes behauptetes Gewaltmonopol sichert, wenn die Rituale nur noch in den Kasernen stattfinden. Weil die öffentlichen Debatten um Militärrituale in der Regel derart eingeschränkt sind, wird denn auch – orientiert am gemeinsamen Ideal der „zivilen Gesellschaft“ – eher darüber gestritten, ob es nun besser sei, das Militär über öffentliches Zeremoniell, wie es dann heißt, einzubinden und damit der Öffentlichkeit auch eine Kontrolle zukommen zu lassen oder ob die Zivilität der Gesellschaft am besten durch ein in die Kasernen zurückgedrängtes Militär zu erreichen sei. Ein wirkliches Problem sind Militärrituale (ob öffentlich oder in der Kaserne) und Militär überhaupt nur für diejenigen, die sehen, wie die derzeit dominante Herrschaft und ihre Wirtschafts- und Produktionsweise die Menschen, ihre Verhältnisse untereinander und ihre materiellen („natürlichen“) Existenzgrundlagen mehr und mehr vernutzt und die dies auch ändern wollen und denen dabei in letzter Konsequenz der bewaffnete Staat in Form seines Militärs im Wege steht.
ME: Gibt es in der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung eher mehr oder eher weniger öffentliche Militärrituale?
Ich kenne keine verlässlichen Statistiken, die den Zeitraum "seit der Wiedervereinigung" umfassen. Für die 1990er Jahre, in denen ich mich intensiver mit den Militärritualen befasst habe, lassen sich allerdings zwei Punkte anmerken: Erstens startete der damalige Verteidigungsminister Rühe (CDU) Mitte der 90er Jahre so etwas wie eine Gelöbnisoffensive. Statt Gelöbnisse auf dem Kasernengelände zu zelebrieren, sollten jährlich bis zu 500 Gelöbnisse im öffentlichen Raum abgehalten werden. Nur die Wehrmacht in Nazi-Deutschland hatte sich derart offensiv öffentlicher Gelöbnisse bedient, um die Kriegsbereitschaft zu fördern. Allerdings konnten von den über 500 Gelöbnissen, die die Bundeswehr z.B. 1998 durchführte, aufgrund befürchteter oder angekündigter und tatsächlich stattfindender Proteste nur etwa 180 wirklich auf öffentlichen, meist zentralen Plätzen stattfinden. Die übrigen deklarierte die Bundeswehr als „öffentlich“, indem sie sie mit Tagen der offenen Tür in Kasernen verband. Zweitens begab sich die Bundeswehrführung auf die Suche nach einem aus ihrer Sicht angemessenen und geeigneten Durchführungsmodus für ein großes, zentrales Gelöbnis in der neuen Hauptstadt, zu der sie zu DDR-Zeiten ja noch gar keinen Zugang hatte. Am Ende dieser Suche stand das jährliche Gelöbnis am 20. Juli zunächst am Bendlerblock, dann vor dem Reichstagsgebäude. An diesen beiden Orten feiert die Bundeswehr seit einigen Jahren im jährlichen Wechsel ihr repräsentatives Gelöbnis im Abglanz des „militärischen Widerstands“. Sie bezieht sich mit diesem Ritual an diesem Datum und Ort auf Gestalten wie Stauffenberg und andere fast ausnahmslos national-konservative Wehrmachtsoffiziere und Kriegsverbrecher, die kein Problem mit Nazis und Vernichtungskrieg hatten, sondern nur damit, dass der Krieg mit Hitler, so wie dieser ihn führte, nicht zu gewinnen war. Parallel zu dieser Gelöbnisoffensive in den 1990ern wurden die Bundeswehr-Einsätze intensiviert und ausgeweitet. In den Folgejahren ist die Zahl wohl etwas gesunken, aber in der zweiten Hälfte der nuller Jahre wieder signifikant gestiegen – in etwa auf das Niveau von Mitte der 1990er Jahre (vgl. Antwort auf Frage 3, BT-Drucksache 17/4973). Berücksichtigt man den Personalabbau in der Bundeswehr über diesen Zeitraum hinweg, dann ist die Zahl der öffentlichen Gelöbnisse, relativ betrachtet, deutlich gestiegen. Das mit diesen Veranstaltungen verbundene Anliegen – Akzeptanzbeschaffung – wurde immer wieder auch spektakulär konterkariert: So etwa 1996 in Berlin, als das erste öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr in der Stadt vor dem Charlottenburger Schloss von mehreren Hundert Demonstrierenden gestürmt wurde und in Rauchwolken, Sirenen- und Trillerpfeifenlärm unterging und im Folgejahr erst einmal kein öffentliches Gelöbnis in Berlin stattfand. Oder 1980 in Bremen, als es anlässlich eines Rekrutengelöbnisses mit Zapfenstreich im Weserstadion zu massiven Straßenschlachten rund um das Stadion kam, und ein öffentliches Gelöbnis gepaart mit einem Zapfenstreich seitdem nirgendwo in Deutschland wieder vorkam.
ME: Worauf muss ein Kritiker/eine Kritikerin des Militärs bzw. von Militärritualen deiner Meinung nach achten?
An die Wurzeln geht die Kritik, wenn sie erklärt, dass Militärrituale in der Öffentlichkeit durchaus funktional sind für die Herstellung von Gehorsam und Korpsgeist in der Truppe und für die Akzeptanz militärischer Formen und Konfliktlösungsvorstellungen beim nicht-militärischen Rest der Gesellschaft. Beim Hinweis darauf geht es nicht etwa um linksradikales Besserwissertum oder darum, Bündnisansätze mit überzogener Kritik zu sprengen, sondern darum, Kritik, die sich vielleicht auf die „überkommenen Formen“ von Zapfenstreich und Gelöbnis oder die „Militarisierung des öffentlichen Raums“ beschränkt, um andere Perspektiven zu erweitern und dabei die eigenen kritischen Positionen am konkreten Fall zu überprüfen, sowie die Positionen anderer zu radikalisieren, damit die Kämpfe nicht nur defensiv um den zivilen öffentlichen Raum geführt werden, sondern offensiv zu sozialen Kämpfen werden, die einer militarisierten Außenpolitik weiterhin ihre Akzeptanz versagen und der Bundeswehr ihre Rekrutierungsgrundlage entziehen. Deutschland führt Krieg, Desertieren, Blockieren und Sabotage sind notwendig und legitim. Dabei geht es auch um die Herzen und Hirne der einfachen Soldaten: Erst wenn auch bei einem nennenswerten Anteil derer, die ein solches Militärritual aufführen sollen, die Treue in diesem Sinne erodiert, besteht die Chance bzw. der Freiraum, Gesellschaft orientiert an den Bedürfnissen von Menschen (und nicht von Märkten) zu organisieren, ohne schon beim Ansatz eines Versuchs in dieser Richtung in einer Welle staatlich-militärischer Repression unterzugehen.
Literatur
Euskirchen (2005): Militärrituale. Analyse und Kritik eines Herrschaftsinstruments, Köln: Papyrossa
Wette, Wolfram (2009): Wie friedfertig sind die Deutschen? in: Wissenschaft & Frieden 3/2009:
Okkupation des Zivilen.