Frieden mit einem Schlag?

Mit blauen Helmen und starken Fäusten

von Wolf-Dieter Narr

(1) Uralte Sehnsüchte und nüchterne Interessenkalküle mischen sich. Es möge endlich eine Macht geben, mit deren Hilfe alle gewaltsamen Kon­flikte sogleich ausgetreten werden könnten wie eine Flamme, die zum Feuer werden will. Diese Macht soll uns von allem menschlichen Horror entlasten, ohne die Verhältnisse, in denen wir ansonsten leben, jeden­falls soweit wir einigermaßen privi­legiert sind, anzutasten.

Auf einen Weltstaat und  seine UNO-artigen Vorformen konzentrieren sich die Hoffnungen. Sie könnten die Wegbereiter und Garanten des neuen, des so nötigen Weltfriedens werden. Die menschlich bewohnte Welt ist ohnehin im Guten wie im Bösen eine Einheit geworden. Die vorausgeeilte Weltökonomie erfor­dert längst neue Formen der Politik. Also laßt uns den Weg hin zu einem Weltstaat beschreiten. Dieser Weltstaat, ja schon eine verbesserte und  verstärkte Gewaltausstattung der UNO,  müßte in der Lage sein, die human allgemeinen Interessen, die Menschenrechte, gegen alte parti­kulare Gewalten durchzusetzen.

 

(2) Die Sehnsüchte nach einem Ende genozidaler Konflikte in dieser Welt sind verständlich. Es wäre schlimm, sie wären nicht vorhanden. Sie müßten stärker, praktischer werden. Nur: Die Endstation Sehnsucht Weltstaat und UNO-hafte Vorfor­men weisen in die falsche Richtung. Statt zu friedenspolitischem Handeln zu motivieren, wirken sie als Flucht aus der eigenen Verantwortung. Den UNO- oder Weltstaatssöldnern soll dieselbe in verhängnisvoller Stellvertreterpolitik, nein im Sinne eines uns und Politik stellvertretenden Krieges aufgehalst werden. Zudem geht die so verständliche Friedens­sehnsucht, die auf mächtige Ein-für­allemal-Löser setzt, einen seltsamen Pakt mit den Interessen mächtiger Staaten aus dem Weltnorden ein. Dieser Pakt gleicht dem, was man das pactum leoninum nennt, den Pakt der Maus mit dem Löwen. Der sehnsüchtig verschleierte Blick läßt verkennen, daß es in dieser gegen­wärtigen Welt, und insbesondere unter diesen (kriegs- und ökono­miemächtigen) Staaten, keine neutrale Macht gibt, die ohne höchst einseitige eigene Interessen allge­meine Belange verfolgte.

Das, was als überlegene Macht, als Weltstaat allenfalls zustande kommen könnte/eröffnet den Weg zum Frieden und die Wege aus der Ge­fahr nicht. Militärische Interventio­nen der UNO mögen das eigene Gewissen und vom Gebot, selbst zu handeln, entlasten. Die Arbeit tun in der Tat die anderen (die UNO-Söld­ner). Doch den Frieden können sie nur für diejenigen befördern,   die geübt sind im Wegsehen und die morgige Gewaltausbrüche nicht mehr auf ihre heute bereiteten Ursa­chen zurückführen können. Weil sie geschwind vergessen:

 

(3) Kein Argument hält genauerer friedenspolitischer Überprüfung stand, das für einen Weltstaat und seine Vorformen spräche. Weltweite Ein­richtungen muß selbstverständlich in vermehrter und verbesserter Form geben. Jedoch: diese weltweiten Ein­richtungen und die von ihnen ausge­henden Handlungen fördern nur dann friedsamere Zustände, wenn sie ihrerseits ohne Gewalt auskommen. Dort, wo Einrichtungen der UNO bis heute erfolgreich waren, waren sie dies aufgrund ihrer gewaltfreien Vorgehensweise. Das Fehlen des Gewaltinstruments machte sie nicht interessenfrei- wie könnten irdische Institutionen schlechterdings neutral wirken; jedoch: die von ihnen vor­nehmlich vertretenen menschenrechtlichen  Interessen bewiesen ih­ren allgemeineren, nicht einer Partei zugeordneten Charakter. Dort aber, wo auf  die militärische Interventionspolitik der UNO (oder gar eines weltstaatlichen   Gewaltmo­nopols) gesetzt wird, wird Friedens­(und Menschenrechts-)Politik ein­seitigen Interessen untergeordnet. Das angeblich friedenschaffende Mittel wird dann seinerseits zur Ur­sache der nächsten Konflikte, die er­neut weitere "Frieden schaffende" Interventionen im blutbeschmierten Blaugewand nötig machen.

 

a) Der 2. Golfkrieg bot einen Vorgeschmack. Wenn UNO-Trup­pen oder von der UNO legitimierte Streitkräfte heute in Gewaltkonflikte intervenieren, um Frieden zu er­zwingen, dann tun sie dies-den Inter­essen der mächtigsten Staaten ge­mäß. Dieselben dominieren auch den Sicherheitsrat. Es handelt sich um die Staaten, die nördlich losziert sind. Die  UNO-Interventionen wer­den konsequent zu Interventionen der Nordmächte gegen die südlichen Ohnmächte. Die Bestätigung dieser Spaltung allein erzeugt 'neue Aggres­sionen‘, sie zieht die UNO auf eine Seite der konflikthaften Auseinandersetzung und programmiert die nächsten Gewaltkonflikte, selbst wenn  dieselben zunächst in und zwischen den ohnmächtigen Staaten stattfinden sollten.        

 

b) Der human immer kostenreiche und nie nur einen Blinddarm chirurgisch entfernende kriegerische Ein­satz sorgt dafür, selbst wenn er kurz­fristig erfolgreich sein sollte, daß die Ursachen der Konflikte nicht beho­ben werden. Die kriegerische Inter­vention entläßt die Politik aus der Pflicht und bedingt hinterher eine Politik, die den Krieg als ihr Mittel behält. Diese Feststellung gilt sowohl für die Gruppen, die unmit­telbar in einen Gewaltkonflikt involviert sind als auch für die Staaten, die die UNO-Interventionen legitimieren, finanzieren und/oder selbst ausführen. Die überall als ein zentraler, wenn auch nicht exklusiver Aggressionsfaktor wirksame Ungleichheit zwischen und in den Staaten wird, indem kriegerisch interveniert Wird, gerade belassen. Die nördlichen Mächte haben keinerlei Anlaß, sich auch nur im geringsten um ihre Gewalt befördernde Rolle zu    kümmern. Als Profiteure des Weltmarkts und der Weltungleichheit kommen ihnen kriegerische In­terventionen wie gerufen. Sie zer­schlagen potentielle Gefahren für sie selber, ohne irgendwelche ökono­misch-politischen Änderungen nahe­zulegen. Kurzum: die angeblich dem Zwecke des Friedens dienenden In­terventionen erhalten, ja verstärken, die Ungleichheit, deren strukturelle Gewalt die aktuelle Gewalt maßgeb­lich bewirkt:

 

c) Nur im Vorbeigehen mag er­wähnt werden, daß die Institution ei­nes Weltstaats nur in Form einer despotischen Herrschaft denkbar wäre. Sie bedeutete das Ende aller Besonderheiten einschließlich de­mokratischer Organisation, die be­sondere Räume und besondere Ge­sellschaften voraussetzt.

 

(4) Wer Frieden will, darf weder auf Wunderwaffen noch auf Wunderinstitutionen setzen. Auch UNO-um­mäntelte Kriege werden nicht zum "gerechten Krieg" transformiert, der seinerseits nachkriegerischen Frieden vorbereitete. Über welche Fä­higkeiten zum Wegsehen müssen diejenigen verfügen, die beispiels­weise Bosnien und Somalia  "nur" in seinem jetzigen Grauen beobachten, dem sie "schlagartig" ein Ende set­zen lassen wollen. Als sei die Vorgeschichte ohne Interesse; als dürfe man die Nachgeschichte auslassen, wenn Gewalttaten über Jahrzehnte fortwähren - nur das Interesse der Weltmächte und der Weltmedien ist dann  weitergewandert. Wer Frieden will, der muß auf Politik setzen; auf eine Menschenrechtspolitik, die  den Interventionsbegriff nicht kennt, weil sie unhumane Grenzen nicht achtet. Eine solche Politik verlangt aber mehr denn je, darauf zu drän­gen, die Außen-, die Wirtschafts- ­und die ausländerfeindlich ge­trimmte Innenpolitik der führenden Staaten zu ändern. Auch wenn man darob nicht selten schier verzweifelt, weil  Fortschritte so langsam erfol­gen, weil sie so voll von Rück­schritten sind und weil die Situation in Bosnien oder Somalia oder ... oder ... jetzt nach Hilfe schreit und einen geradezu totalen friedenspoli­tischen Einsatz der Staaten notwen­dig machten, die stattdessen lieber, wie die BRD, unogewandet ab und an intervenieren wollen, um ansonsten alles beim alten zu lassen. Bei der Ungleichheit in der Welt, von der die BRD und die meisten ihrer Bürgerlnnen profitieren, und bei dem nach außen gerichteten Schutzwall gegen Asylsuchende und uner­wünschte Ausländerinnen insge­samt.

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Wolf-Dieter Narr ist Hochschullehrer, Mitbegründer und langjähriger Sprecher des Komitee für Grundrechte und Demokratie