Leserbrief

Muss die Friedensbewegung sich neu aufstellen?

von Jürgen Kelle
Hintergrund
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Den Artikel von Daniel Seiffert, „Friedensbewegung : Sich neu aufstellen und zuspitzen“ in Heft 6/2020 Friedensforum halte ich für einen zerstörerischen Angriff auf die Bündnisfähigkeit der Friedensbewegung. Natürlich ist es berechtigt, sich zu fragen, warum etliche Aktivitäten, Beispiel Ostermarsch, so wenig Zulauf haben in der aktuellen, zugespitzten und gefährlichen Situation für den Frieden. Was muss getan werden, um jüngere Menschen auch für die Friedensfrage zu interessieren und zu aktivieren?

Daniel Seiffert setzt dafür ganz oben bei der Strategie der Bündnispolitik an, vor allem zielt er auf „eine Erneuerung der Antikriegsbewegung“. Dazu „ muss sie sich ideologisch  und organisatorisch öffnen für neue Bündnispartner*innen und zum anderen muss sie sich auf der Straße radikalisieren“. Was er dazu als Beispiele bringt, ist schon interessant: „Ende Gelände“, „Seebrücke“ und die „kurdische Freiheitsbewegung“ führt er dabei an (Fridays for Future hat er gar nicht erwähnt). Die ersten beiden Bewegungen sind von seiner Beurteilung her „in weiten Teilen der Bewegung  wahrscheinlich konsensfähig“, dem ich auch zustimmen kann. Eine Anmerkung dennoch: Ich denke, dass die Friedensbewegung organisatorisch recht offen ist, was er mit „ideologisch öffnen“ meint, erschließt sich mir zuerst nicht ganz, bekommt aber im Folgenden doch einen bemerkenswerten Inhalt.

Für die dritte „Bewegung“ macht er nämlich kurzen Prozess mit nicht einsichtigen Bündnispartnern, die hier nicht mitziehen wollen. Er findet, dass „absolute Pazifist*innen“ und auch die Mitstreiter*innen in der Friedensbewegung, die die völkerrechtswidrige Einmischung und Kriegsführung der Nato und anderer Teilnehmer gegen Syrien unter Zuhilfenahme übelster Kopfabschneider und Terroristen ablehnen - er nennt sie „ Verteidiger*innen des Diktators Assad“-, „ein Hindernis für die Erneuerung“ sind.

Da macht sich aber Daniel Seiffert zu einem ausgesprochen interessanten Bündnispartner für alle Nato-Verfechter und für alle diejenigen, denen ein Bündnis mit den USA eine Herzenssache ist, wie wie es auch die „kurdische Bewegung“ auf dem von ihr gehaltenen Territorium praktiziert. Sie kann ja auch hervorragende Ölgeschäfte mit dem großen Bündnispartner machen.

An diesen Statements kann man nachvollziehen, dass die Vorschläge Daniel Seifferts sehr gut geeignet sind, Keile in die Friedensbewegung  zu treiben, einer Zersplitterung Vorschub zu leisten und allen kriegsgeilen Militaristen ein frohes Lächeln zu entlocken. Was stellt sich Daniel Seiffert als Voraussetzung vor, um in der Friedensbewegung mitzumachen?

Ich habe eine andere Vorstellung davon, wie ein breiteres Bündnis entstehen kann. Das Wichtigste ist, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu einigen, der ein breites Bündnis ermöglichen kann. Das war einmal der Krefelder Appell! Ob wir derzeit eine solche Plattform haben, darüber bin ich mir nicht ganz sicher – ist es der Aufruf „Abrüsten statt Aufrüsten“? Oder einer von mehreren Aufrufen, für die Unterschriften gesammelt wurden?

Ein weiterer Punkt, den Daniel Seiffert unter dem Begriff „zuspitzen“ formuliert, bedeutet wohl, eine Radikalisierung zu erreichen, um über diesen Weg „gemeinsam mächtig (zu) werden“. Er unterstellt dabei  der „alten“ Friedensbewegung, zu wenig andere Aktionsformen des zivilen Ungehorsams durchzuführen. In diesem Zusammenhang mischt er die Erfahrungen vom 28. August in Kassel mit hinein, dass die Polizei nicht eingegriffen hat. Er vermutet, dass „die Konzerne keine Bilder einer von der Polizei gewaltsam geräumten Blockade“ haben wollen. Das ist für ihn nicht genug, er überlegt, „wie wir zu einem permanenten Ärgernis werden können“, um über diesen Weg zu einer „Erneuerung  der Bewegung voranzukommen“. Er favorisiert offensichtlich eine Radikalisierung bei den Aktionsformen.

Hier kann ich nur überlegen, ob wir tatsächlich schon die Breite in der Bewegung haben, mit radikaleren Aktionsformen neue aktive Mitstreiter*innen  zu gewinnen. Welches sind unsere Zielgruppen? Wie ist das Bewusstsein in diesen beschaffen, wann sind radikalere Aktionsformen sinnvoll eingebettet in einer Protestbewegung? Diese Fragen müssten viel mehr diskutiert werden, um nicht Gefahr zu laufen, dass sympathisierende Bevölkerungsschichten sich wieder von uns abwenden. Die Radikalisierung in der damaligen Studentenbewegung hat sich nicht niedergeschlagen in einer breiteren Massenunterstützung. Daniel Seiffert dagegen setzt auf „Zuspitzung“, um damit „in der Frage der Erneuerung der Bewegung voranzukommen“. Meiner Meinung nach führt das beim gegenwärtigen Bewusstseinsstand der Menschen zu einem weiteren Rückzug aus der Friedensbewegung.

Einfache Forderungen nach einer Zuspitzung von Aktionsformen halte ich ohne tiefer gehende und breite Diskussion für kontraproduktiv. Die Mühen der Ebenen sind aber: in das Gespräch mit den Menschen zu kommen, sie aufzuklären und ihnen Mut zu machen, sich für den Frieden einzusetzen. Das halte ich derzeit für die größte Herausforderung und Aufgabe. Und dazu müssen wir breite Bündnisse aufbauen.

Daniel Seiffert wirft der „alten“ Friedensbewegung vor, dass ihre „typische  Aktionsform…meist als Fototermin für Journalist*innen“ konzipiert wird. Das ist schon eine sehr fragwürdige Abwertung von z.B. Aktionen um Büchel oder Ramstein. Im selben Artikel bedauert er gleichzeitig, dass die Blockade von Rheinmetall in Kassel nicht gewaltsam geräumt wurde, da die Konzerne „versuchen, die Berichterstattung  durch ihre Deeskalationsstrategie so gering wie möglich zu halten“ – also sein Ziel ist genauso Presseberichte, Fotos etc. zu erhalten, was er der „alten“ Friedensbewegung vorwirft. Gut gebrüllt, Löwe!

Aber diese meine Gedanken sind ja nicht relevant für Daniel Seiffert, denn offensichtlich gehöre ich ja nach seiner Einschätzung auch zu denen, die „ein Hindernis für die Erneuerung“ sind und deren „Ideologie…überwunden werden“ muss.

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Jürgen Kelle ist aktiv beim Friedensforum Düsseldorf.