Neuorientierung in der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung gefordert

von Martin Singe
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In einer ausführlichen Stellungnahme hat das Komitee für Grundrechte und Demokratie von der Bundesregierung eine Neuorientierung in der Menschenrechtspolitik gefordert. Die Komitee-Stellungnahme bezieht sich auf den Zweiten Menschenrechtsbericht der Bundesregierung, der im Dezember 1993 im Parlament vorgestellt und anschließend an die Ausschüsse überwiesen wurde. Bereits im Dezember hatte eine Gruppe von Menschenrechtsgruppen kritisch Stellung bezogen. Das Komitee erweitert und pointiert nun die eigene Position.

Als erstes wird die Verengung des an­gewandten Menschenrechtsbegriffs kri­tisiert, der sich nur auf Verletzungen im individuellen Fall bezieht, aber struktu­relle Probleme systematisch ausblendet: "Daß Menschen und ihre Rechte nur im jeweiligen angemessenen sozio-politi­schen Kontext begriffen werden können, geht hierbei verloren."

Als völlig unzureichend wertet das Ko­mitee die Tatsache, daß der Regierungs­bericht nur auf Menschenrechtsverlet­zungen im Ausland eingeht. Allein schon die Zuweisung der Berichtser­stellung in den Bereich des Auswärtigen Amtes zeigt eine verfehlte Ausrichtung der Orientierung der Bundesregierung in Menschenrechtsfragen. So werden die "Menschenrechte zu einer beschränkten Angelegenheit einer Spezialabteilung des Außenministeriums".

Bezüglich der Menschenrechtsaktivitä­ten wirft das Komitee der Regierung "Menschenrechts-kasuistik" vor, d.h., daß aufkommende Probleme als Einzel­fälle in stiller Geheimdiplomatie behan­delt werden und je nach eigenen politi­schen Interessen selektiv und pragma­tisch verfahren wird.

Kritisiert wird auch, daß die Bundesre­gierung der von den "Dritte-Welt"-Staaten vorgeschlagenen Interpretation des "Rechts auf Entwicklung" stets scharf widersprochen hat. Während diese Staaten auch zwischenstaatliche Forderungen aus dem "Recht auf Ent­wicklung" ableiten wollen, rühmt sich die Bundesregierung, ein individualisti­sches Verständnis dieses Rechts in den internationalen Dokumenten durchge­setzt zu haben.

Das Komitee fordert als Konsequenzen aus der vorgetragenen Kritik eine Neu­konzeption der Menschenrechtspraxis und der entsprechenden Berichte der Bundesregierung:

1.    Die Menschenrechtsfragen im innen­politischen Bereich müssen unbe­dingt einbezogen werden.

2.    Eine menschenrechtlich fundierte Außen- und Außenwirtschaftspolitik muß an eine menschen-rechtlich ad­äquate Wirtschafts- und Sozialpolitik im Inneren rückgekoppelt werden.

3.    Die bisherige "Geheimdiplomatie" ist aufzugeben: "Menschenrechtspolitik und die Diskussion über die Men­schenrechte haben prinzipiell nur als öffentliche einen Sinn." Riskiert wer­den bei einer öffentlichen Menschen­rechtspolitik "in aller Regel gerade nicht die Lebenschancen der Men­schen, die gefährdet sind, riskiert werden vielmehr außenwirtschaftli­che und militärpolitische Machen­schaften bilateraler oder multilatera­ler Art zwischen Staaten, die allemal das Licht der Öffentlichkeit scheuen müssen".

4.    Die von Nichtregierungsorganisatio­nen geforderten neuen Institutionen für eine angemessenere Menschen­rechtsorientierung in allen Politikbe­reichen befürwortet das Komitee un­ter der Bedingung der Gewährlei­stung ihrer strikten Regierungsunab­hängigkeit - so z.B. die Einrichtung eines/r Menschenrechtsbeauftragten oder eines Instituts für Menschen­rechte.

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Martin Singe ist Redakteur des FriedensForums und aktiv im Sprecher*innenteam der Kampagne "Büchel ist überall! atomwaffenfrei.jetzt".