Nicaraguas Armee: Hüter der Stabilität

von Ralf Leonhard
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General Ortega bezeichnet sich als Revolutionär, rühmt sich aber gleichzeitig seiner freundschaftlichen Beziehungen zum konservativen Präsidialminister Antonio Lacayo und zu Präsidentin Violeta Chamorro. Mit der Politik seines Bruders Daniel Ortega, mit dem er einst den er­folgreichen Volksaufstand gegen die Somoza-Diktatur organisiert hatte, ist er immer weniger einverstanden. An der schon lange mißtrauischen Parteibasis entfesselte der General schließlich einen Sturm der Empö­rung, als er Mitte Januar dem Militärattach‚ der USA, Denis Quinn, aus­gerechnet die Camilo-Ortega-Medaille an die Brust heftete. Der nach dem 1978 im Volksaufstand gefallenen dritten Ortega-Bruder benannte Orden ist die höchste Auszeichnung der Sandinistischen Armee und wurde bisher vor allem verdienten Kämpfern gegen die von den USA gesponserten Contras verliehen. Kurz darauf empfing Ortega erstmals eine Delegation US-amerikanischer Militärexperten, die bei der Entwaff­nung von Zivilisten Hilfestellung leisten sollen. Der Besuch markiert den Beginn einer neuen Beziehung zum Erzfeind, die nach den Vor­stellungen Ortegas bald auch die Ausbildung nicaraguanischer Militärs in den USA beinhalten soll.

Den Revolutionären an der Basis, die beim Absingen der sandinistischen Hymne immer noch geloben, gegen "den Yankee, den Feind der Mensch­heit" zu kämpfen, gehen die politischen Winkelzüge des Generals entschieden zu weit. Doch während die Partei durch die Wahlschlappe vom Februar 1990 völlig aus dem Geleise geworfen wurde, ist die aus einem Guerillaheer hervorge­gangene "Sandinistische Volksarmee" (EPS) zwar verkleinert, aber moralisch ungebrochen aus den Umwälzungen hervorgegangen. Für sie liegt der ent­scheidende Einschnitt schon weiter zu­rück. General Humberto Ortega hatte schon vor den Wahlen begonnen, die militärischen Strukturen von der Partei zu trennen und der Armee eine eigene wirtschaftliche Basis zu verschaffen. Nämlich ab 1984, als der Krieg gegen die Contras seinem Höhepunkt zusteu­erte und die Streitkräfte 50 Prozent des Staatshaushaltes beanspruchten. Die Armee gründete damals eigene Unter­nehmen, die die Versorgung der Trup­pen sicherstellen sollten. Mit dem Re­gierungswechsel mußte nur noch die Rekrutierung für den Wehrdienst ausge­setzt und die parteipolitische Schulung in den Kasernen abgeschafft werden. Nach der Demobilisierung der Contras Mitte 1990 begann dann schließlich auch in der Armee eine drastische Re­duzierung der Truppen. Von über 90.000 Mann sind noch etwa 23.000 üb­riggeblieben. Den höheren Offizieren wurde bei ihrem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ein Grundstück oder ein Geschäft mitgegeben. Für die Truppen konnte die Armeeführung Gleichbe­handlung mit den demobilisierten Contras aushandeln. Das bedeutet ein Stück Land für die Soldaten bäuerlicher Herkunft, Stipendien für die, die sich weiterbilden wollen. Ausgeschieden sind vor allem die politischeren der Of­fiziere. Wer sich offen gegen General Ortega und seine Politik auflehnte, wie Oberst Javier Pichardo im August 1990, wurde in Pension geschickt. Eine Gruppe von Offizieren, die 1990 Boden-Luft-Raketen aus sandinistischen Be­ständen an die salvadorianischen Re­bellen verschob, wurde abgeurteilt und mehr als ein Jahr eingesperrt. Am Durchtrennen der Reste des geheimen Versorgungsnetzes für die FMLN soll auch der von Ortega dekorierte US-Mi­litärattach‚ maßgeblich beteiligt gewe­sen sein.

Die Armeeführung bemüht sich seither, ein neues Modell zu schaffen. Bisher waren die Streitkräfte in lateinamerika­nischen Ländern allgemein Bewahrer der bestehenden Ordnung oder Erfül­lungsgehilfen der Oligarchie. Die weni­gen sozialreformerischen Militärregimes wie in Peru oder Panama waren jeweils von der Person des starken Mannes ge­prägt und endeten mit dessen Tod (Velasco Alvarado, Torrijos). Nur in Kuba und im sandinistischen Nicaragua wurden Armeen aufgebaut, die gerade die Transformation der Wirtschafts- und Sozialstrukturen absichern sollten. Nach der Abwahl der Revolution befand sich die sandinistische Armee auf Neuland. Das Professionalisierungsprojekt mußte sich plötzlich unter widrigen Umständen bewähren. Denn es fehlte nicht an re­vanchistischen Politikern, die den altge­dienten Generalstab durch ehemalige Contra-Führer ersetzen wollten. Ein Schritt, der sicherlich Revolten provo­ziert hätte, durch die kluge Bündnispo­litik Ortegas aber vermieden werden konnte. Noch heute gibt es eine Gruppe namens "Movimiento Civilista", die für die völlige Auflösung der Armee ein­tritt. Nicht aus wirklichem Antimilita­rismus, wie die Verteidiger der Armee vermuten, sondern aus politischen Gründen. Doch diese Bewegung, der vor allem Politiker und Intellektuelle der äußersten Rechten angehören, hat wenig Aussichten auf Erfolg, seit auch die USA nicht mehr auf der Ablösung Gene­ral Ortegas beharren.

Die Sandinistische Armee, die noch immer so heißt, weil der Name in der Verfassung festgeschrieben ist, hält sich strikt an ihren Verfassungsauftrag und schreitet nur in Extremfällen ein. Als im Juli 1990 eine Streikbewegung eska­lierte und die Arbeiter Barrikaden er­richteten, wurden Soldaten nur zum Ab­bau der Barrikaden eingesetzt, nicht aber gegen die Streikenden. Selbst als sich Gruppen ehemaliger Contras wie­der bewaffneten, verharrte die Armee in defensiven Positionen, während Regie­rung und Armeeführung das Problem politisch zu lösen trachteten.

Das Sandinistische Volksheer ist viel­leicht die einzige Armee des Kontinents, die nicht gleichzeitig gegen die Zivilre­gierung konspiriert oder mit Putsch droht. Zweifellos ist ihr Gewicht aber deutlich größer als das der Streitkräfte in den zivilen Gesellschaften Westeuro­pas. Statt die Interessen der Oligarchie oder einer revolutionären Nomenklatura zu wahren, versteht sie sich als Garant der Verfassung und der politischen Sta­bilität. In einer chronisch labilen Regie­rungskonstellation ist das eine nicht zu unterschätzende Funktion.

 

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