Nordirland: Mörder bleiben Soldaten

von Kathrin Vogler

Nach dem Friedensabkommen zwischen den Kriegsparteien ist Nordirland auf einem langen, schweren Weg zu Versöhnung. Die Opfer beider Seiten sind keineswegs vergessen, und die Wunden können erst heilen, wenn die Taten aufgeklärt und die Täter verurteilt worden sind. Die britische Armee indes misst immer noch mit zweierlei Maß. Kennzeichnend hierfür und für deutsches Rechtsempfinden besonders skandalös ist der Fall der Mörder von Peter McBride. Besondere Bedeutung hat er auch, weil in diesem Fall Deutschland als "Exil" für zwei Soldaten missbraucht wird, die wegen eines Kapitalverbrechens verurteilt sind und in Großbritannien zu scharfen Auseinandersetzungen Anlass geben. Der Fall in Kürze:

1992 erschossen die britischen Soldaten Wright und Fisher, die im Belfaster Stadtviertel New Lodge patroullierten, einen unbewaffneten jungen Iren, der nur wenige Minuten zuvor durchsucht worden war. Er war den Soldaten aufgrund der täglichen Kontrollen an dieser Stelle bekannt. Ein ziviles Gericht verurteilte die beiden Soldaten 1995 wegen Mordes ohne mildernde Umstände zu lebenslanger Haft.

Nach einer Kampagne von Teilen der britischen Armee und der britischen Presse wurden die beiden Soldaten nach drei Jahren im September 1998 von der damaligen Nordirlandministerin auf Bewährung freigelassen.

Seither versucht die britische Armee "besondere Umstände" zu definieren, die laut ihrer eigenen Richtlinien nötig sind, um Straftäter vor einer unehrenhaften Entlassung zu bewahren. Jean McBride kämpft seit nunmehr über zwei Jahren mit Unterstützung des in Derry ansässigen Menschenrechtszentrums Pat Finucane Centre gegen diese Versuche der britischen Armee, den Mord an ihrem Sohn im nachhinein zu legitimieren.

Bisher hat die Familie McBride alle zivilen Gerichtsprozesse gewonnen. So wurden die "besonderen Umstände", auf die der Armeerat seine erste Entscheidung gründete, auf Antrag der Familie McBride 1999 vom Belfaster High Court zurückgewiesen. Die Armee hatte argumentiert, es gäbe keinen Vorsatz für die Tat: ein eindeutiger Versuch, das zivile Gerichtsurteil, das keine mildernden Umstände anerkannte, de facto zu revidieren. Die Armee wurde vom Gericht angewiesen, ihre Entscheidung durch einen neuen Armeeausschuss zu überprüfen. Für die Armee war dies kein Grund, ihre Entscheidung zu revidieren. Im November 2000 entschied sie erneut, die beiden Soldaten in der Armee zu behalten. Auch gegen diese Entscheidung wurde der Familie McBride eine gerichtliche Klärung vor dem Belfaster High Court genehmigt. Die Familie des Opfers betrachtet dies als einen Akt von anti-irischem Rassismus. Angesichts der Tatsache, dass die britische Armee üblicherweise alle Soldaten entlässt, die zu einer Haftstrafe verurteilt werden - 1.400 Soldaten alleine im Jahr 2000 wegen Drogendelikten - scheint das Leben eines jungen irischen Katholiken nichts zu zählen. Die Angehörigen von Peter McBride fordern daher die sofortige Entlassung der beiden Mörder aus der britischen Armee.

In der britischen Armee gibt es keine Anzeichen einer Aufarbeitung oder gar Verurteilung der Tat. Im Gegenteil: am Jahrestag der Ermordung Peter McBrides ging eine zynische Postkarte "Merry Christmas from all ranks" beim Pat Finucane Centre ein. Die Karte stammte von in Kenia stationierten Mitgliedern der Scots Guards, des ehemaligen Regiments der beiden Soldaten.

Die Haltung der britischen Armee steht in einer ungebrochenen Tradition. Ein Mitglied des Armeeausschusses, der die Entscheidung über die beiden Soldaten traf, war General Mike Jackson. Mike Jackson war 1972 Adjutant des Befehlshabers Wilford an "Bloody Sunday", jenem Sonntag im Januar 1972, an dem vierzehn unbewaffnete Teilnehmer einer Bürgerrechtsdemonstration von britischen Soldaten ermordet wurden. Kurze Zeit darauf wurden die Opfer zu Tätern erklärt, um die Soldaten zu entlasten. Eine der umfangreichsten und teuersten Untersuchungen der britischen Rechtsgeschichte befasst sich seit März 2001 Jahres mit der Schuld der britischen Armee an diesem Massaker. Heute weiß man, dass damals Offiziere die Aussagen ihrer Untergebenen umformulierten, um die Verbrechen zu verschleiern.

Offenbar um die Angelegenheit McBride aus den Augen der Öffentlichkeit zu schaffen, wurden die Soldaten immer wieder in andere Kasernen versetzt. Im Sommer 2002 wurde bekannt, dass sie inzwischen in den Oxford Barracks in Münster dienen. Nachdem das Auswärtige Amt abgelehnt hatte, in dieser Sache aktiv zu werden, blieb den Menschenrechtsaktivisten nichts mehr übrig, als vor Ort an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Friedensforum Münster führte am 20. Juni 2002 mit Paul O`Connor vom Pat-Finucane Centre (Derry) und Uschi Grandel von der Irland-Solidarität eine Pressekonferenz in Münster und mit VertreterInnen verschiedener Organisationen und Parteien Informationsgepräche durch. Münsters Oberbürgermeister Dr. Tillmann schrieb auf die Bitte nach einem Gesprächstermin zwar zunächst: "Grundsätzlich verhält es sich so, dass für die Stadt Münster keine Handlungsmöglichkeiten in dem von Ihnen angedachten Sinne besteht. Die beiden von Ihnen genannten britischen Armeeangehörigen unterliegen dem NATO-Truppen-Statut. Selbst wenn man dieses wollte, könnte man als Stadt keinerlei Einfluss aus den Aufenthalt dieser Personen im Stadtgebiet ausüben. ..."

Dennoch erklärte sich sein persönlicher Referent bereit, die kleine Delegation zu empfangen und bei den britischen Streitkräften nachzufragen. Die Lokalpresse berichtete breit und kritisch, und der grüne Bundestagsabgeordnete Winfried Nachtwei setzte sich in Berlin für den Fall ein. Im neuen Jahr nun scheint wieder Bewegung in die Sache zu kommen. Kurz vor dem Jahreswechsel wurde in Münster bekannt, dass die Irish Guards mitsamt den Mördern von McBride in Kürze Köln verlassen werden.

Anscheinend hat die Öffentlichkeitsarbeit vor Ort, in Verbindung mit dem internationalen Druck auf die britische Regierung zu diesem erneuten Verschleierungsversuch geführt. Ein Ziel ist zwar erreicht: Die Mörder dienen nicht mehr in Münster. Doch bleiben sie weiter Soldaten der britischen Armee, die angibt, im Verbund mit den NATO-Partnern in Bosnien oder Afghanistan die Menschenrechte zu sichern.

Weitere Hintergrundinformation zum Fall Peter McBride, Presseartikel und Informationen in englischer Sprache sind auf der Webseite des Pat Finucane Centre http://www.serve.com/pfc zugänglich.

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