Argumentationstraining mit Aktiven in der Asylarbeit

Parolen Paroli bieten!

von Renate Wanie

Konfrontierende Diskriminierungen und Beleidigungen von Aktiven in der Asylarbeit sind in der letzten Zeit keine Seltenheit: „Sie unterstützen ja kriminelle Ausländer!“, „Die wollen doch nur unser Geld! Und Sie befürworten das auch noch!“, sind nur zwei  Beispiele für Aussagen, mit denen sie konfrontiert sind. Wie sollen Freiwillige, die mit diesen Aussagen angesprochen und gleichzeitig wegen ihres Engagements beschimpft werden, angemessen reagieren?

Seit einigen Monaten führe ich sogenannte Argumentationstrainings durch. Teilnehmende sind Menschen, die aktiv Geflüchtete unterstützen, z.B. geben sie Deutschunterricht, begleiten Geflüchtete zu Ämtern oder zum Arzt, vermitteln Arbeitsmöglichkeiten. Und sie bringen eine reichhaltige Sammlung von verbalen Erfahrungen mit, mit denen sie zunehmend diskriminierend konfrontiert sind: von NachbarInnen und inzwischen auch von Bekannten am Stammtisch, zum Erstaunen der Betroffenen. Dies macht zunächst sprachlos. Zu hören ist die Einschätzung, dass die Stimmung in der Gesellschaft umgeschlagen sei, von der anfänglichen „Willkommenskultur“ zu vorurteilsvollen Einstellungen, auf dem Hintergrund von meist nebulösen Bedrohungsängsten.

Vorgehen
Der Wunsch der Teilnehmenden ist, in dieser meist unerwarteten konfrontativen Situation ein adäquates Verhalten zu finden und angemessen und möglicherweise schnell zu antworten. Ziel eines solchen verbalen Trainings ist es, dies herauszufinden. Oft fordern diejenigen Sprüche besonders heraus, die die Betroffenen stark berühren und gegen ihr Werteempfinden  verstoßen.

Mit der Methode „Parolen Paroli bieten“ ist es im Schutzraum des Workshops möglich, sich nach einem bestimmten Verfahren zu konfrontieren und sich eine solcher Parolen oder Beleidigungen entgegen zu schleudern. In der anschließenden Reflexion wird die gerade erlebte „Anmache“ aus der Sicht von beiden Rollen (Betroffene und Anmachender) zunächst analysiert und dann bewertet: Was wurde wahrgenommen? Welche Antworten haben wie gewirkt? Welche wirkten eher eskalierend, welche deeskalierend, welche waren ein Schlagabtausch? usw. Die Situationen werden mit weiteren Parolen abermals beurteilt.

Wie geht es am besten?
Ein erster Schritt könnte sein, zunächst für sich persönlich zu klären: Möchte ich antworten? Oder lieber schweigen, Sprachlosigkeit zulassen oder gar ignorieren? Die Aggression des Gegenübers könnte mich hindern, wie auch meine Konfliktvermeidung. Zu bedenken ist auch: Gegen sogenannte Stammtischparolen ist es manchmal schwer anzukommen, da hinter diesen Parolen häufig ein geschlossenes Weltbild und Politikverständnis stehen.

Doch es gibt mehrere Arten zu antworten, je nach Situation und den individuellen Möglichkeiten: Z.B. nachfragend, bei einem Thema bleiben, mit logischen Argumenten eventuell nachdenklich machen, eigene Position beziehen, Ich-Sprache  oder auch Unterstützung von außen holen und andere ansprechen. Diese Reaktionen wirken eher deeskalierend.

Zu fragen ist zudem: Was möchte, was kann die von einer Beschimpfung betroffene Person in einer situativen Diskriminierung erreichen? Ein Vorsatz könnte sein, Einfluss zu nehmen auf die Meinungsbildung derer, die anmachen und die eigene andere Meinung, die sich auf die Menschenrechte gründet, entgegenzusetzen, Diskriminierung öffentlich oder im Privaten nicht stehen lassen.

Strikt vermeiden: Belehrung und Besserwisserei (lernen geschieht nicht durch Belehrung), außerdem nicht diffamieren, herabsetzen oder beschimpfen.

Motto: Nicht siegen, sondern verständigen!

Beweggründe und Sichtwechsel
Eine Orientierung können persönliche Werte geben, die mich zum Widerspruch bewegen. Wertvorstellungen, wie ‚die Würde des Menschen ist unantastbar‘ oder religiöse Bindungen schaffen möglicherweise eine innere Klarheit in schwierigen Situationen. Rechtsradikale Werte hingegen sind gegen den Menschen gerichtet, sie basieren auf der Ideologie der Ungleichheit und Ungleichwertigkeit.

Hilfreich für ein Argumentationstraining ist auch, mit der Methode „Streitlinie“ einen Perspektivwechsel anzuleiten. Ziel dieser Übung ist es, im Rollenwechsel die Sicht der gegnerischen Seite mehr kennenzulernen, dabei gleichzeitig die eigene Position zu vertiefen und eventuell auch zu verändern. Respektieren der Gedanken anderer bedeutet zunächst nicht, zuzustimmen, sondern zu verstehen, ehe wir diskutieren oder urteilen. Dabei etwas über die Funktion von Vorurteilen und Stereotypen zu erfahren, kann eine gute Vorbereitung für die nächste verbale Konfrontation sein.

Vorurteile
Vorurteile erfüllen bestimmte Funktionen: Zuallererst helfen sie, die Welt zu ordnen in scheinbar unübersichtlichen Verhältnissen (Ordnungsfunktion). Sie können ein Gefühl von Unsicherheit verringern und dazu beitragen, das eigene Selbstwertgefühl und Gruppenzugehörigkeitsgefühl (z.B. zum Nationalstaat) zu stärken, wie wir es in in der Pegida-Bewegung vorfinden. Vorurteile werden meist auch gegen andere eingesetzt, z.B. gegen diejenigen, die anders aussehen oder Angst machen. Vorurteile können auch Identität stiften, indem sich Menschen der eigenen vermeintlich „besseren“ Kultur zuordnen – so wie es  Aktive in der Asylarbeit z.B. zu hören bekommen: „Der Islam passt nicht zu Deutschland!“

Arbeitsblätter zum Mitnehmen ergänzen am Ende das Argumentationstraining, z.B. über Orientierungsregeln zum Verhalten in Bedrohungssituationen, zur Differenzierung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit oder Grundlagen zur Kommunikation.

Zuletzt ein Appell für Aktive in der Arbeit mit Geflüchteten, die wegen ihres Engagements verbal angegriffen werden:

  • Diskriminierung im öffentlichen Raum nicht stehen lassen
  • Mut zur offenen Kritik
  • Nein-Sagen zum Unrecht, auch wenn es herrschende Meinung ist
  • durch eigene Bewegtheit eventuell andere in Bewegung bringen.
  • Eine gewaltfreie Auseinandersetzung macht eine gute Kommunikation wahrscheinlicher.

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