Buchbesprechung

Politik des Hungers

von Christine Schweitzer

„Farmer und Kleinbauern haben lange Zeit ihre lokalen und nationalen Gemeinschaften ernährt. Der Kapitalismus hat, insbesondere in seiner neoliberalen Variante, darauf hingearbeitet, sie auf den Müllhaufen der Geschichte zu verbannen, indem er sie durch kapitalintensive Monokulturen für einen globalen Supermarkt mit Kunden aus der Elite und der Mittelschicht ersetzt. … Nun sind Kleinbauern und kleine Farmer aber äußerst zählebig. Heute, inmitten der globalen Krise, bieten sie uns eine Vision der Autonomie, der Diversität und der Kooperation.“ (S. 195) Diese Sätze des philippinischen Soziologieprofessors und Globalisierungskritikers Walden Bello, der auch Träger des Alternativen Nobelpreises ist, fassen die Kernthese seines neuen Werkes „Politik des Hungers“ zusammen.

Die Krise, die zwischen 2006 und 2008 durch die schlagartige Verteuerung von Grundlebensmitteln wie Reis, Mais, Weizen und Pflanzenöl entstand und die in rund 30 Ländern zu gewaltsamen Aufständen führte, ist aufgrund der ihr zeitlich unmittelbar folgenden Bankenkrise schon beinahe vergessen. Walden Bello untersucht ihre Ursachen und Auswirkungen, und nimmt dabei auch kritisch Stellung zu anderen bekannten Werken zum gleichen Thema, wie etwa Paul Colliers „The Bottom Million“. Er zeigt anhand der Beispiele von Mexiko, der Philippinen und afrikanischer Länder auf, wie Knappheit von Grundnahrungsmitteln durch sog. Strukturanpassungsprogramme, die von der Weltbank und dem Internationalen Weltwährungsfonds vorgeschrieben wurden, künstlich verursacht wurden. Zahlreiche Länder sind in den vergangenen Jahrzehnten von Selbstversorgern oder Exporteuren von Grundlebensmitteln zu Importeuren geworden. Jetzt droht durch die Konzerne, die den Bauern gentechnisch manipuliertes Saatgut aufzuzwingen suchen, sich diese Krise noch zu verschärfen, weil dieses Saatgut nicht fortpflanzungsfähig ist, und die Bauern zwingt, jedes Jahr neues Saatgut käuflich zu erwerben. Dieses Problem wird noch verschärft durch die Risiken der Gentechnik für Umwelt und Mensch, auf die Bello ebenfalls hinweist. Dies ist auch eine seiner Kritiken an Paul Collier, der die Ablehnung der Gentechnik als eine Ursache von Nahrungsmittelknappheit benennt.

In einem eigenen Kapitel befasst sich Bello mit China und dessen Landwirtschaftspolitik. Zwar hat es in China keine Strukturanpassungen gegeben und das Land ist immer noch in der Lage, seine wachsende Bevölkerung zu 90% selbst zu versorgen, doch gibt es auch hier besorgniserregende Veränderungen. Zwar weist Bello die öfters zu hörende These zurück, dass die gestiegene Nachfrage nach Lebensmitteln in China eine der Ursachen der Preiskrise der letzten Jahre gewesen sei, aber eine zunehmend ‚fleischlastige’ Ernährungsweise führe dazu, dass immer größere südamerikanische Bodenflächen in Sojabohnenplantagen für Tierfutter in China umgewandelt werden.

Allgemein stellt Bello fest, dass die Produktion von Tierfutter wie auch das bekannte Problem der Nutzung immer größerer Flächen für sog. Biotreibstoff (besser: Agrotreibstoffe) ebenso wesentlich zur Lebensmittelknappheit beitragen wie zur Zerstörung von Urwäldern und Biodiversität.

Und doch ist es „der kapitalistischen Landwirtschaft nie gelungen, die bäuerliche oder auf dem Familienhof beruhende Landwirtschaft zu eliminieren; diese besteht bis heute fort und ist nach wie vor eine bedeutende Nahrungsmittelquelle für die Bevölkerungen verschiedener Länder, insbesondere im globalen Süden“ (S. 51). Und die Bauern engagieren sich politisch, wie Bello in seinem Schlusskapitel mit einigen Beispielen illustriert. Bauernverbände sind Teilnehmer an den Weltsozialforen und kämpfen bei sich vor Ort für ihre Interessen. Bello, nicht blind für gender-Aspekte, weist darauf hin, dass in diesen Verbänden Frauen teilweise eine wichtige führende Rolle spielen. Er schließt sein Werk mit folgenden Sätzen: „Der Zusammenbruch der globalen Ökonomie und die Deglobalisierung der Produktion schreiten rasch voran. Damit nimmt der von Farmern und Kleinbauern betriebene Landbau für die lokal oder regional begründeten Alternativökonomien, nach denen die Menschen suchen, Modellcharakter an. Kleinbauern und ihre Verbündeten führen der Welt die Relevanz der Ernährungssouveränität … vor Augen. Sie zeigen, dass es sich tatsächlich um Ansätze handelt, die für jeden Gesellschaftssektor von grundlegender Bedeutung sind.“ (S. 197)

Das Buch ist gut geschrieben und flüssig zu lesen, ohne dass der Autor auf die wissenschaftlichen Referenzen für seine Thesen verzichten würde, so dass jeder anhand seiner Quellenangabe selbst weiter recherchieren kann. Es sei hier jeder/m empfohlen, die/der sich in wenigen Stunden einen Einstieg in die komplexe Materie der verschiedenen Dimensionen der weltweiten Ernährungskrise verschaffen möchte.

Walden Bello (2010) Politik des Hungers. Aus dem Englischen von Max Henninger. Berlin: Assoziation A. ISBN 978-3-935936-91-0. 200 Seiten, 16,00 €

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Hintergrund
Christine Schweitzer ist Co-Geschäftsführerin beim Bund für Soziale Verteidigung und Redakteurin des Friedensforums.