Dr. Till Müller-Heidelberg (Mitglied des Bundesvor­standes der Humanistischen Union)

Redebeträge der Auftaktekundgebungen: Ost (Bonn-Beuel, Wasserwerk)

von Till Müller-Heidelberg

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger - hätte Willy Brandt jetzt ge-sagt, der berühmteste deutsche Asylant, wenn er heute hier wäre.

Wir treffen uns heute, um die Grundrechte zu verteidigen, um den menschlichen, humanitären Cha­rakter unserer Verfassung zu schützen. Grundrechte stehen nicht nur den Deutschen zu, sie sind Men­schen-rechte, sie gelten auch für Ausländer. Diese begrüße ich deshalb besonders.

1.    Die Bundesregierung sagt, das Grundrecht auf Asyl sei in anderen Zeiten beschlossen worden; in der heutigen Kri­sensituation lasse es sich nicht mehr aufrechterhalten.

      Grundrechte sind nicht für Schönwetterperioden geschaf­fen; dann brauchen wir sie nicht in der Ver­fassung. Die Verfassung bewährt sich, wenn Grundrechte auch in schwierigen Zeiten respektiert wer­den.

2.    Die Bundesregierung sagt, das Asylgrundrecht werde missbraucht. Der Missbrauch müsse gestoppt werden durch eine Änderung der Verfassung.

      Verfassungsbeschwerden beim Bundesverfassungsgericht, die jedem Bürger offenstehen, werden zu 97% vom Bun­desverfassungsgericht als "of-fensichtlich unbegründet" zu­rückgewiesen. Von den rest­lichen 3% hat nur 1% Erfolg. Wo hätte deshalb je ein Spitzenpolitiker vom Miß-brauch der Ver­fassungsbeschwerde gesprochen und deren Ein­schränkung oder Abschaffung gefordert?

      Artikel 16 Abs. 2 S.2 Grundgesetz lautet: "Politisch Ver­folgte genießen Asylrecht". Ich lese nicht, daß in diesen 4 Wor­ten unseres Grundgesetzes der Missbrauch verfassungs­rechtlcih geschützt wäre. Wenn das nicht der Fall ist, braucht man auch die Verfassung nicht zu ändern, um an­geblichen Missbrauch zu verhindern.

3.    Dies wissen auch die Spitzenpolitiker. Wenn sie dennoch die Forderung nach Änderung der Ver­fassung und Einschrän­kung oder Abschaffung des Asyl-Grundrechtes aufstellen, dann begehen sie stattlichen Missbrauch.

      a) Kriegsflüchtlinge wollen nicht auf Dauer bei uns blei­ben, sondern nur vorübergehend. Sie wollen kein Asyl. Solange jedoch Bundesre-gierung und Bundestag kein Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge schaffen, zwingen sie die Flüchtlinge in das Asylrecht - dabei handelt es sich um 1/3 der Asylbewer­ber.

      b) Wer aus dem Ausland zu uns flüchtet und keinen Asyl­grund gelten machen will, wird von den Kommunalbehör­den geradezu gezwungen, trotz-dem einen Asylantrag zu stel­len, weil dann Bund und Länder finanziell die Verant­wortung tragen müssen, sonst die Kommunen nach dem Sozialhilferecht.

      Der Staat produziert also selbst gegen den Willen der Be­troffenen hohe Asylbewerberzahlen - und beklagt sich hinterher dar­über!

      c)Asylbewerber stellen weniger als die Hälfte der Zuwan­derer ins-gesamt dar (1992: 450.000 von 1,1 Millionen). Wer dennoch über zu viele Asylbewerber redet und meint, deshalb die Verfassung ändern zu müssen - und wer auch noch gleichzeitig Anwerbeverträge mit den-selben osteu­ropäischen Staaten schließt - 140.000 in diesem Jahr aus denen wir angeblich mit unberechtigten Asylbewerbern über­schwemmt werden - der betreibt staatlichen Missbrauch.

      d) Die Spitzenpolitiker beklagen die lange Dauer der Asyl­verfahren. Von den 3.500 Stellen des Bun­desamtes für die Anerkennung von Asyl-bewerbern hat Bundesinnenmini­ster Seiters bis heute 2.000 Stellen nicht besetzt. Wer sorgt hier also für die lange Dauer von Asylverfahren und für den Missbrauch?

4.    Wer Lösungsvorschläge für die Probleme der Zuwanderer und Flücht-linge unterbreitet und dabei weiß, daß seine Vorschläge die Probleme nicht lösen können, der betreibt Missbrauch.

      a) Politiker fordern die Änderung der Verfassung durch Aufnahme der Genfer Flüchtlingskonvention in den Art. 16 GG. Dies würde zu einer Ausweitung des Asyl-Begriffs und folglich nicht zu weniger, sondern zu mehr Asyl-Be­werbern führen, wie bereits der Hohe Flüchtlingskommis­sar der UNO aus­geführt hat.

      b) Politiker fordern die Änderung des GG, um Entscheidun­gen anderer EG-Staaten über Asyl-Anträge anerkennen zu können. Dabei handelt es sich für 1991 um 100 Fälle von insgesamt 256.111 Asylan­trägen, also 0,039%. Und das soll eine Lösung der Flüchtlingsfrage darstellen, die eine Änderung der Verfassung erfordert!

Fernseh-Leute

Auf der Kennedey-Brücke

      c) Gefordert werden Länderlisten, um den angeblichen Zu­strom von mißbrauchenden Ausländern gleich an der Grenze verhindern zu können. Die Länderlisten gibt es in den Köpfen der Entscheider des Bundesamtes längst. An der Grenze stellen lediglich 7% der Asylbewerber ihren Antrag, 93% wären also von vorneherein nicht betroffen. Und auch bei den Länderlisten von sogenannten Nicht­verfolgerstaaten dürften nach unserer Verfassung (zuletzt Entscheidung des Bundesverfassungsge­richtes vom 25.8.1992 2 BvR 1433/92) die Antrag-steller nicht an der Grenze abgewiesen werden. Im übrigen gibt es kein Land, aus dem Asylbewerber kommen, mit einer Anerken­nungsquote Null!

      d) Bei offensichtlich unbegründeten Anträgen soll "kurzer Prozess" gemacht werden. Das soll die Masse sein. Das Bundesamt in Zirndorf jedoch erklärt - im Gegensatz zu den Politikern - durch seinen Präsidenten, lediglich 30% der Anträge mit fallender Tendenz für offensichtlich unbegrün­det.

5.    Wer behauptet, mit solchen offensichtlich untauglichen Vorschlägen die Probleme der Asylbewer­ber und Flücht­linge zu lösen, betreibt Missbrauch!

6.    Warum ist dann die SPD-Spitze bei ihren Petersberger Be­schlüssen dennoch umgefallen und fordert nun ebenfalls die Verfassungsänderung?

      Zum einen, weil angeblich das Volk das will. Wenn die Politiker behaupten, eine Verfassungsände­rung löse die wirklichen Probleme, dann ist es kein Wunder, wenn we­nigstens ein Teil des Volkes dies noch glaubt und das dann auch will.

      Das Volk will aber nicht die Verfassungsänderung, sondern das Volk will die Lösung der Probleme - der Wohnungsnot und der Arbeitslosigkeit. Darum muß die Politik sich kümmern. Und es darf nicht sein, daß die Regierung die Wohnungsnot wegen der angeblichen zu vielen Asylbe­werber beklagt, der Verteidigungsminister aber leere Ka­sernen nicht für die Unterbringung der Asylbewerber frei­gibt.

      Es wird gesagt, die Politik müsse endlich Handlungsfä­higkeit beweisen. Ja. Aber durch Handlungen und nicht durch Schein-Handlungen. Die Änderung des GG beweist keine Handlungsfähigkeit, sondern nur die Handlungsunfä­higkeit, sich wirklich um die Probleme zu kümmern. Auf die Frage im Peters­berger Kreis, ob denn jemand glaube, durch die geforderte Verfassungsänderung kämen weniger Asyl­bewerber und Flüchtlinge ins Land, wurde eingestan­den: Das wird nicht der Fall sein!

      In Wirklichkeit läuft die SPD-Spitze lediglich der CDU hinterher. Sie glaubt, dem politischen Druck der CDU nicht mehr gewachsen zu sein, und meint, wenn sie mit der CDU die Verfassung ändere, werde der CDU das schöne Wahl­kampfthema Asyl-Missbrauch aus der Hand geschlagen. Hier irrt die SPD-Spitze. Spätestens nach einem Jahr wird auch das von den Politikern für dumm verkaufte Volk feststel­len, daß weder die Verfassungsänderung noch die sonsti­gen vorgeschlagenen Verschärfungs­maßnahmen an den Problemen etwas geändert haben, und die Unglaubwürdig­keit der Politiker und Politikverdrossenheit der Wähler wird gestiegen sein. CDU und CSU werden dann die Messlatte für die SPD halt noch höher hängen.

7.    Wir appellieren an die Delegierten des SPD-Parteitages:

      Folgt nicht der SPD-Spitze! Tragt nicht zu noch mehr Unglaubwürdigkeit der Politiker bei. Fordert mit Nachdruck die wirkliche Handlungsfähigkeit der Politik, nämlich:

      - Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge,

      - ein Zuwanderungsgesetz,

      - schnelle rechtstaatliche Entscheidungen mit mehr Leuten,

      - Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunfts­staaten (keine Waffenlieferungen in Krisengebiete, keine stillschweigende Duldung von politischer Ver­folgung und Menschenrechtsverletzungen bei unseren eigenen Verbündeten wie z.B. der Türkei),

      - Bekämpfung der wirklichen Probleme der Bundesre­publik, nämlich mehr Wohnungen und mehr Ar­beitsplätze!

Verteidigt das Grundgesetz und damit das uneingeschränkte Asylrecht, denn das Basteln an der Ver­fassung geht weiter: Schon heute fordern die Ultras aus der CSU die schlichte Ab­schaffung des Asyl­rechts und morgen wird es die ganze CDU sein, wenn die noch für dieses Jahr beabsichtigte Änderung des Art. 16 GG nichts gebracht hat. Und auch dieses ist nicht der Schlusspunkt: Schon heute wird in die­sem Zusammenhang die Einschränkung des Rechtsstaats gefordert.

Das lassen wir uns nicht gefallen!

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