Rettet die Rüstungsindustrie: Offene Grenzen für Waffenexporte

von Jürgen Grässlin
Hintergrund
Hintergrund

Unter dem Deckmantel einer sogenannten "Harmonisie­rung" plant die Bundesregierung die Entschärfung bestehender Rüstungsexportge­setze, um die angeschlagene Rüstungsindustrie vor dem Kollaps zu ret­ten

1. Die Realität deutscher
Rüstungsex­porte

Im Jahr 1991 ist die Bundesrepublik Deutschland erstmals zum weltweit drittgrößten Exporteur konventioneller Waffen aufgestiegen und hat diesen Platz 1992 quantitativ gegenüber China und Frankreich ausgebaut. Nach Anga­ben des neuesten Jahresberichtes des Stockholmer Friedensforschungsinsti­tuts SIPRI liegt Europameister Deutschland 1992 mit konventionellen Waffentransfers in Höhe von 1,928 Milliarden US-Dollar nur denkbar knapp hinter Russland (2,043 Mrd.) auf Platz drei.*1

Wohin die BRD 1992 Großwaffensy­steme geliefert hat, ist dem im Oktober 1993 erstmals von den Vereinten Natio­nen veröffentlichten Register über kon­ventionelle Waffenexporte zu entneh­men: In den Empfänger­listen tauchen neben NATO-Staaten wie der Türkei (wo die Waffen nachweislich seitens der türkischen Armee gegen Menschen in Türkisch-Kurdistan eingesetzt werden) auch Indien oder Korea auf. Das UN-Waffenregister belegt zudem, daß die BR Deutschland mittlerweile jedes zehnte Großwaffensy­stem exportiert und im Bereich der großkal­librigen Ar­tillerie sogar weltweit führend ist.*2

Dabei sind rund 95% der legalen Waf­fenexporte im konventionellen Bereich vom Bundesausfuhramt (bzw. dem ehemaligen Bundesamt für Wirtschaft) in Eschborn genehmigt. Die weithin praktizierte Taktik der Bundesregierung, auf die sogenannten "Schwarzen Schafe" ů la Hippenstiel-Imhausen zu zeigen, lenkt gezielt von dieser Tatsache ab. Die wirklichen "Schwarzen Schafe" - verantwortlich für das Gros der legalen Exporte - sitzen auf der Regierungs­bank, bei den Kontroll­behörden in Eschborn sowie im Bundes­sicher­heits­rat.*3

Auch die Verlautbarungen über eine zu­künftig "restriktive" Auslegung der Kontrollgesetze zerplatzen wie eine Sei­fenblase ange­sichts der Realitäten der­zeit laufender bzw. bereits bewilligter Rüstungs­exporte:

*     Bis 1994 werden 46 Militärflugzeuge des Typs Phantom RF-4E im Rahmen des Militärhilfeabkommens III an die Türkei verschenkt.

*     Anfang 1993 hat der Bundessicher­heitsrat dem Ex­port von deutsch-amerikanischen Luftabwehr­raketen der Typen PA­TRIOT und RAM über die USA nach Taiwan zu­gestimmt.

*     Im Dezember 1992 hat der Bundessi­cherheitsrat das Freizeichen für den Export von 436 Panzermotoren an den französischen Rüstungs­konzern GIAT gegeben, der die Panzer an­schließend in die Vereinigten Arabi­schen Emirate liefert.

*     Derzeit werden 39 Kriegsschiffe der NVA fünf U-Boote sowie 5.000 Tonnen Munition an die Diktatur in Indonesien geliefert.

Mit diesen neuerlichen Waffentransfers in Spannungsgebiete und an menschen­rechtsverletzende Regierungen doku­mentiert die Bundesregierung die Fort­setzung ihrer jahrzehntelang praktizier­ten Exportpolitik. Die Sicherung der Arbeitsplätze in einer leistungsfähigen Rüstungsindustrie, deren Steigerung der Exportquote und die Gewinnmaximie­rung sind den liberalen "Christ" demo­kraten allemal wichtiger als huma­nistische Werte oder die Ver­wirklichung von Menschenrechten. Erst kommt das Fressen und dann die Moral.

2. Die Lamers-Initiative und ihre Folgen

Mit ihrem Standortpapier "Gemeinsame europäische Verteidigung, gemeinsamer Rüstungsmarkt, gemeinsame Rüstungs­exportpolitik" bekennen die CDU-Bun­destagsabgeordneten Karl Lamers, Erich Fritz und Andreas Schocken­hoff Farbe: Ihnen geht es darum, daß "in Deutsch­land eine ausreichend leistungsfähige Industriebasis erhalten bleibt und die deutsche Industrie kooperationsfähig bleibt". Genau diese sehen sie bedroht und fordern deshalb die "Verwirk­lichung eines gemeinsamen arbeit­steiligen europäischen Rüstungs­mark­tes".*4

Da "Kooperationen, insbesondere pri­vate Koopera­tionen, ständig zunehmen", befürchten die drei Autoren die "Ausgrenzung der deutschen rüstungs­technischen Betriebe", falls es nicht zu einer "Anpassung der deutschen Rü­stungsexport-Politik" kommt. Die schön gewählten Worte bedeuten nichts an­deres als eine drastische Ent­schärfung der - im Vergleich zu den anderen euro­päischen Staaten - relativ stringen­ten bundesdeutschen Exportgesetzgebung. Auch wenn diese in der Vergangenheit gnadenlos umgangen wurde, bestünde bei ent­sprechendem politischen Willen durchaus die Möglichkeit, die überwie­gende Zahl der derzeit laufenden Rü­stungsexporte zu unter­sagen.

Auf eine Große Anfrage der SPD-Bun­destagsfraktion erfuhr Hermann Bach­maier, daß "ca. 70% aller Rüstungsvor­haben im Rahmen von Kooperations­vereinbarungen vor allem auch mit an­deren Staaten durchgeführt werden".*5 So stellen alle großen Rüstungs­projekte, die sich derzeit in der Erforschungs- und Entwicklungsphase befinden, Koopera­tionsprojekte mit den NATO-Partnern dar. Beispielweise wird der Eurofighter 2000/Jäger 90 gemeinsam von deut­schen, britischen, italieni­schen und spa­nischen Firmen entwickelt. Der Panzer­abwehrhub­schrau­ber 2 (Tiger), der für die Krisenreaktionskräfte zum Unter­stüt­zungshub­schrauber UHU wei­terent­wickelt wird, ist eine deutsch-französi­sche Koproduktion.*6

Mit der Lamers-Initiative soll sicherge­stellt werden, daß sich die deutsche In­dustrie auch dann an einem Projekt be­teiligen kann, wenn die Großwaffensy­steme später in Nicht-NATO-Staaten und in Spannungsgebiete exportiert werden. Hierzu aber bedarf es laut Peter Kittelmann, dem außenwirtschaftspoliti­scher Sprecher der CDU/CSU-Bundes­tags­fraktion, einer "harmoni­sier­ten Rü­stungsexportpolitik".

Schon heute verbucht die BR Deutsch­land rund 41% aller Waffentrans­fers der Europäischen Union. Wenn Europamei­ster Deutschland nunmehr den Verlust seines Ein­flusses auf die Export­praxis seiner Nachbarn befürchtet, so kann die Angst der Bundes­regierung nur darin bestehen, anstehende lukrative Groß­aufträge und damit die Spitzenposi­tion im Konzert der europäischen Rüstungs­exportgi­ganten zu verlieren. Genau die­se Entwicklung aber wäre - in Bezug auf den dringend notwendigen sozialen und ökologischen Umbau der Indu­striege­sellschaft - begrüßenswert.

3. Deutschland auf dem Weg zur Supermacht

Der militärische Kurs der Bundesregie­rung ist eindeutig abgesteckt: Neben der Aushebelung der Rüstungsexportgesetze besteht das erklärte Ziel, durch eine Grundge­setzänderung den Einsatz deut­scher Soldaten out of area zu ermögli­chen. Deutsch­land soll "Verantwortung" übernehmen, um letztendlich einen Platz im UN-Sicherheitsrat zu erhalten. In Volker Rühes "Verteidigungspoliti­schen Richt­linien" heißt die entscheidende Formulierung: Die deutsche Politik läßt sich "von vitalen Sicherheitsinter­essen leiten", und dazu zählt die "Auf­recht­er­haltung des freien Welthan­dels und des ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt im Rahmen ei­ner gerechten Weltwirt­schafts­ord­nung".*7

Ist die Grundgesetzänderung erst einmal verabschiedet, so dürfen deutsche Sol­daten die "gerechte Weltwirtschaftsord­nung" rund um den Globus herbeischie­ßen und die Rohstoffzufuhr für die rei­chen Staaten der Nordhemisphäre frei­bomben. Dazu, so die Planung der Hardthöhe, bedarf es der Unterstützung optimal ausgerüsteter Armeen in den Militärbündnissen NATO bzw. Westeu­ropäi­sche Union (WEU) sowie in den westlich orientierten Staaten. Über die entsprechenden Waffenver­käufe an die Alliierten soll die deutsche Rüstungs­industrie und ihren eigenen Bestand si­chern. Um die Bundes­wehr zu einer schlagkräftigen Armee werden zu las­sen, entwickelt die Rüstungs­industrie derzeit eine völlig neue Waffengene­ration (von den Handfeu­erwaffen G 36 und MG 36 bis hin zu den Luftwaffen­systemen wie beispielsweise der Euro­fighter 2000, die Panzerabwehrhub­schrauber Tiger und UHU oder der NATO-Hubschrauber NH 90 mit den entsprechenden Bewaffnungen). Die Zeichen der Zeit stehen auf Militarisie­rung der Außen­politik.

Wer den Export von Waffen und Rü­stungsgütern tatsächlich verhindern will, muß ein völliges Rüstungsexportverbot ins Grundgesetz aufnehmen und damit in letzter Konsequenz die Rüstungspro­duktion abschaffen. Wer - wie die Ver­fasser des CDU-Standortpapieres - eine "Harmonisie­rung" der Exportgesetze verlangt, macht sich - im Wissen um die o.g. Tatsachen - mitschuldig und trägt aktiv zur Fortsetzung des Massen­mordens in der Dritten Welt bei.

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Jürgen Grässlin ist Sprecher der Kampagne »Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!«, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), Sprecher der Kritischen AktionärInnen Daimler (KAD) und Vorsitzender des RüstungsInformationsBüros (RIB e.V.).