- eine flankierende Maßnahme zur Verhinderung der Flucht

Sanktionen gegen Transportunternehmer

von Olaf Neußner
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Anfang der achtziger Jahre war Osteuropa noch verschlossen  und Ju­goslawien ein friedliches Land. Asylsuchende kamen zum großen Teil aus Asien und Afrika nach Westeuropa, um hier um Schutz zu suchen. Als die Anzahl der außereuropäischen Flüchtlinge als wachsendes Pro­blem empfunden wurde, begannen Regierungen, die Visumspflicht auf immer mehr Herkunftsländer auszudehnen. Heute gibt es praktisch kei­nen Staat mehr, aus dem Asylsuchende nach Westeuropa kommen, und die nicht der Visumspflicht unterliegen. Die Kompetenz zur Aufstellung der Liste der visumspflichtigen Staaten wurde mit dem Maastrichter Vertrag der Europäischen Union übertragen, so daß die europäische Harmonisierung in diesem Bereich bald abgeschlossen sein dürfte.

Da Asylsuchende nicht aufgrund eines fehlenden Visums die Antragstellung verweigert werden kann, wenn das Auf­nahmeland erreicht ist (1), - das Zu­rückweissungs-Verbot gebietet dies -, konnte die Visumspflicht nur greifen, wenn Transportunternehmen (i.d.R. Fluggesellschaften) verboten wurde, Passagiere ohne gültige Visa zu beför­dern. Und ein solches Verbot bleibt na­türlich wirkungslos, wenn nicht Sank­tionen bei der Zuwiderhandlung drohen. Die traditionellen Einwanderungsländer führten solche Sanktionen bereits früher ein (USA: 1952, Australien: 1958, Ka­nada: 1976), während westeuropäische Staaten in den 80er Jahren nachzogen (z.B.: BRD: 1982, Belgien: 1987, GB:1987). Im noch nicht in Kraft ge­setzten Schengener Zusatzabkommen verpflichten sich die Vertragsstaaten nun auch auf internationaler Ebene, Sanktionen gegen Beförderungsunter­nehmen in innerstaatliches Recht aufzu­nehmen, so daß die Abschottung gegen auf dem Luft- oder Seeweg einreisende Asylsuchende auch europäisch standar­disiert wird.

Die Sanktionen bestehen meist aus zwei verschiedenen Komponenten: aus einer eher privatrechtlichen "Wiedergut­machung", worunter eine Rück­trans­portverpflichtung und die Er­stattung von Kosten, die durch den Auf­enthalt des Ausländers anfallen, zu ver­stehen sind, und aus Strafen, die meist als Bußgelder pro Passagier zu entrich­ten sind.

Auch wenn die entsprechenden Vor­schriften nur sehr selten explizit auf Asylsuchende Bezug nehmen, ist doch klar, daß sie neben den direkt betroffe­nen Transportunternehmen Verfolgte daran hindern zu fliehen. Hier stellt sich die Frage, ob die Sanktionen indi­rekt das non-Refoulement-Prinzip ver­letzen, wie es in Art. 33 der Genfer Flücht­lingskonvention (GK) oder auch im deutschen Grundgesetz seinen Nie­derschlag gefunden hat. Aus diesem Grund wurde im Schengener Vertrag ein Vorbehalt mit dem Hinweis auf die Verpflichtungen aus der GK aufge­nommen, die Chicagoer Konvention über die internationale Zivilluftfahrt wurde mit einer entsprechenden Klar­stellung ergänzt (1990 in Kraft getreten) und die noch nicht unterzeichnete euro­päische Grenzübertrittskonvention wird wohl auch einen solchen Zusatz enthal­ten. Diese Hinweise auf das non-Re­foulement-Gebot scheinen allerdings nur sicherzustellen, daß bereits trans­portierte Asylsuchende nicht zurückge­wiesen werden, nicht jedoch, daß Transportunternehmer Asylsuchende ohne die Gefahr, bestraft zu werden, be­fördern könnten. Damit bleiben die Re­gelungen praktisch wirkungslos. Inter­essant ist in diesem Zusammenhang, daß das deutsche Bundesverwaltungsge­richt Bedenken hatte, ob die Sanktionen gegen Transportunternehmen mit dem Asylrecht des Grundgesetzes vereinbar sei. Es setzte daher das Verfahren aus und legte die Sache dem Bundesverfas­sungsgericht zur Entscheidung vor, wo sie noch anhängig ist.

Bei der praktischen Anwendung der Sanktionsbestimmungen kommt es häu­fig zu Streitigkeiten über die Prüfungs­pflichten der Fluggesellschaften. Im all­gemeinen sind die Unternehmen bereit, Pässe und Visa beim check-in anzu­schauen, sehen sich jedoch nicht in der Lage, gute Fälschungen zu erkennen und auch eine erneute Kontrolle direkt vor dem Besteigen des Flugzeugs führen sie häufig nicht durch. Gerade diese verlangen viele Regierungen jedoch. In vielen Staaten kam es daher zu Ge­richtsverfahren, in denen es um die Prü­fungspflichten der Fluggesellschaften ging, und inwieweit Asylsuchende mit ungültigen Papieren fahrlässig transpor­tiert wurden. Die Resultate waren unter­schiedlich, häufig mußten die Gesell­schaften zahlen. Das hat dazu geführt, daß viele Fluggesellschaften aus Angst vor diesen Strafen keine Passagiere mehr befördern, bei denen sie ein Risiko eingehen. So gab eine türkische Airline in einem Gerichtsverfahren an, daß sie daher inzwischen keine Passagiere aus dem Iran und Afghanistan, typischen Herkunftsländern von Flüchtlingen, mehr nach Deutschland befördern würde.

Zusammenfassend bleibt festzustellen, daß Sanktionen gegen Transportunter­nehmen fast ausschließlich außereuro­päische Asylsuchende treffen, denen so der Luft- und Seeweg versperrt wird, wenn sie nicht durch einen glücklichen Umstand ein Visum erhalten können. Die europäischen Staaten haben sich dadurch, daß sie sich nicht selbst, son­dern private Unternehmen mit den Ver­folgten beschäftigen müssen, "elegant" um ihre völkerrechtlichen Verpflichtun­gen, Verfolgten Schutz zu bieten, ge­drückt.

(Anmerk. des Autors: Die hier geäu­ßerte Meinung stellt nicht notwendiger Weise die Ansicht von ai dar.)

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Olaf Neußner arbeitet als Assistent im Referat für politische Flüchtlinge von amnesty international in Berlin.